Digitale Teilhabe der Generation 65 plus? Ist oft Fehlanzeige – zu kompliziert sind die Geräte und die Angebote von Online-Dienstleistern. Ein Start-up aus Berlin will jetzt Abhilfe schaffen.
Sie ist 81 Jahre alt und mittlerweile eine begeisterte Nutzerin des Internets. Roswitha Müller kommt geradezu ins Schwärmen, wenn sie davon erzählt, wie unproblematisch sie sich jetzt mit ihrer Familie austauschen, mit Freunden per E-Mail verabreden kann. Für sie eine ganz neue Erfahrung, denn frühere Begegnungen mit Computern und ihre Versuche sich im Netz zu orientieren, ließen sie frustriert zurück.
„Es war einfach viel zu kompliziert", sagt Roswitha. Und meint damit nicht nur die Bedienung des Computers selbst, sondern auch die verwirrend unterschiedlich aufgebauten Seiten verschiedenster Anbieter von Online-Dienstleistungen: von der Bank bis hin zum Lebensmittellieferanten. Und obwohl die 81-Jährige nur allzu gern ihre Überweisungen online abgewickelt hätte – schließlich ist der Weg zu ihrer Bankfiliale nicht gerade kurz – scheiterte sie immer wieder an der für sie unübersichtlichen Internetseite ihrer Bank. Hatte Angst, Fehler zu machen. Und gab schließlich auf.
Durchaus an der digitalen Welt und ihren Möglichkeiten interessiert – damit gehörte Roswitha vermutlich zu einer kleinen Untergruppe der „Nicht-Onliner" aus der Generation 65 plus, die gern online sein möchten, sich aber nicht trauen. Laut aktuellem Digital Index – einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums – sind knapp über die Hälfte der über 65-Jährigen momentan noch offline – nur 48 Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig im Internet unterwegs zu sein und dabei vor allem Suchmaschinen, Office-Programme oder auch Navigationsdienste zu nutzen. Ihre weniger internetaffinen Altersgenossen schrecken nach wie vor aus unterschiedlichen Gründen vor der Nutzung digitaler Angebote zurück – die Bandbreite reicht von mangelndem Interesse über fehlende Kompetenz im Umgang mit Computern bis hin zur Aussage, dass man keinen Vorteil für sich dabei sehe.
Webseiten sind oft viel zu kompliziert
Schon heute aber sehen Altersforscher, IT-Spezialisten und Wirtschaftsverbände einen riesigen Nachteil für diejenigen voraus, die mit der digitalen Entwicklung nicht mindestens in Teilbereichen mithalten können, sich dem Medium aus Desinteresse oder Angst verweigern. Denn es sei absehbar, dass in wenigen Jahren Servicefunktionen öffentlicher und privater Anbieter – vom Beantragen einer Kfz-Zulassung bis hin zur Reisebuchung nur noch online möglich sein werden, sagt Paul Lunow, der Gründer des Berliner Start-Ups Nepos.
Er hat mit seinem Team die vergangenen drei Jahre damit verbracht, ein Tablet für die Generation 65 plus zu entwickeln – angeregt von seiner Großtante. Luise Lunow bezeichnet sich als „technisch nicht begabt", möchte aber dennoch gern online sein – schon allein, um sich mit ihrer Familie regelmäßig austauschen zu können. „Ich hatte aber einfach immer wieder Angst vor dem falschen Klick, davor etwas zu bestellen, ohne es zu wissen oder einen Fehler beim Onlinebanking zu machen," erinnert sie sich. Für Großneffe Paul ein klarer Fall – die bislang gebräuchlichen Laptops und Tablets sind einfach nicht auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten. Und dass es keine einheitliche Logik für die Nutzung eines Onlineangebots gebe, jeder Anbieter Nutzer anders über seine Seiten führe, mache die Sache auch nicht einfacher.
Nepos – also Neffe – heißt das Tablet, das Paul Lunow mit seinem Team deshalb Ende des Jahres auf den Markt bringen will. Es zeichnet sich durch eine völlig neu entwickelte Bedienoberfläche aus, ein „Universal Interface", das bei allen Funktionen der gleichen Logik folgt. Alle Inhalte – vom Versenden von E-Mails bis zum Bestellen von Online-Einkäufen nach Hause – werden in der immer gleichbleibenden Reihenfolge dargestellt. Was eine Bedienung leicht verständlich und schnell erlernbar macht.
Diese Erfahrung haben auch die insgesamt rund 300 Tester gemacht, Frauen und Männer der Generation 65 plus, Bekannte von Luise Lunow, Bewohner mehrerer Seniorenresidenzen. Auch Roswitha Müller ist so dazugestoßen und seitdem ein Internet-Fan. Denn es sei so praktisch, sich mit Freunden und Familie auch über Kilometer hinweg digital „unterhalten" und spontan Fotos versenden zu können, findet die 81-Jährige. Und will jetzt in ihrem Sportverein Werbung für das „so leicht zu bedienende Gerät" machen.
Großes Interesse nicht nur bei Älteren
Das neue Tablet sei nicht altersgebunden, betonen Paul Lunow und sein Partner Florian Schindler. Es gebe ja durchaus auch jüngere Menschen, die zwar digitale Angebote nutzen wollen, aber keine Lust hätten sich zu sehr mit technischen Details auseinanderzusetzen. Auch für sie sei das ergonomisch geformte Gerät gut geeignet, da es selbsterklärend sei. So sind beim Nepos-Tablet beispielsweise nur runde Flächen anklickbar und rund um das Display kann man entgegen dem Uhrzeigersinn weitere Untermenüs aufklappen. Nepos leitet den Nutzer zum Beispiel Schritt für Schritt durch das Verschicken von E-Mails – zeigt mit einem entsprechenden Smiley abschließend an, dass die Post versandt wurde.
Ende Mai wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um das nötige Kapital für die Herstellung von 5.000 Geräten zusammenzubekommen – 250.000 Euro habe man darüber bereits sammeln können, sagt Paul Lunow. Zwei Millionen Euro sind schon während der Entwicklungsphase in das Projekt geflossen darunter auch Förderungen durch sogenannte „Business Angels – Unternehmen, die ein Start-up mit Kapital und Know-how unterstützen. Parallel zur Kapitalsuche laufen weitere Tests in Seniorenresidenzen und Gespräche mit möglichen Partnern.
„Wir konzentrieren uns im ersten Schritt darauf, über offene Schnittstellen im Netz verfügbare Angebote auch auf dem Nepos-Tablet zugänglich zu machen. Dazu gehören E-Mail, YouTube, RSS Feed, Podcasts und natürlich das normale Internet über unseren Browser. Dadurch vermeiden wir, zum Start hin in langwierigen Verhandlungen stecken zu bleiben", erläutert Paul Lunow. „Wir stoßen in der Wirtschaft, bei Medien und im Alten- und Pflegebereich auf hohes Interesse."
Wenn das Gerät serienmäßig produziert sei, könne man damit bei weiteren potenziellen Partnern an die Tür klopfen, sagt Nepos-Gründer Florian Schindler. Er geht davon aus, dass viele der infrage kommenden Unternehmen bereits entsprechende Konzepte für die Bereitstellung ihrer Inhalte „in der Schublade" hätten.