Bei der Leichtathletik-EM in Berlin sind die Augen auch auf Raphael Holzdeppe und Sosthene Moguenara gerichtet. Beide sind erfolgreich, privat sind sie verlobt. Das Sport-Paar hat in Berlin viel vor.
Wenn Leichtathleten ihre gewohnten Trainingsklamotten gegen schicke Ausgehkleidung tauschen und sich statt auf der Laufbahn auf dem roten Teppich fortbewegen, dann fühlen sie sich mitunter wie in einer fremden Welt. So dürfte es auch Raphael Holzdeppe und Sosthene Moguenara ergangen sein, als sie bei der Premiere von „Urban Records", dem Image-Film zu den Leichtathletik-Europameisterschaften 2018 in Berlin, im Zoopalast auftauchten.
Das Blitzlichtgewitter erfasste sie, jeder Fotograf wollte das beste Bild des Paares. Ein Reporter versuchte gar, die beiden farbigen deutschen Leichtathleten, die miteinander verlobt sind, mit einem gewagten Vergleich aus der Reserve zu locken. Wie sie sich als „Jay Z und Beyoncé der Leichtathletik" fühlen würden, wollte der Reporter wissen. „Ich weiß von nichts", antwortete die sichtlich überrumpelte Moguenara. Holzdeppe lächelte verlegen.
Der Stabhochspringer und die Weitspringerin sind als Paar ohne Frage ein Hingucker, auch wenn Liebschaften unter Sportlern bei Weitem keine Seltenheit sind. Aber Holzdeppe und Moguenara sind sportlich auch noch sehr erfolgreich. Bei der EM in Berlin greifen beide nach den Sternen, jeder für sich in seiner Sportart – aber mit der moralischen Unterstützung des anderen.
„Das Einzige, was wir machen können, ist uns gegenseitig zu motivieren", sagt Moguenara. Und das machen beide fast über das gesamte Jahr. Sie leben zusammen in der Pfalz, sie fliegen gemeinsam ins Trainingslager, sie nehmen an den gleichen Wettkämpfen teil. „Wir haben durch den Sport ein großes Privileg, die Welt bereisen zu können und viele verschiedene Orte und Kulturen kennenzulernen", sagt Holzdeppe. „Aber das dann auch noch gemeinsam erleben zu können, ist natürlich eine sehr schöne Sache." Die EM findet zwar in Deutschland statt, doch gerade wegen des Heimvorteils sind die kontinentalen Titelkämpfe für das Paar etwas ganz Besonderes. Vor allem für Holzdeppe. Der Weltmeister von 2013 hatte die WM 2009 im Berliner Olympiastadion verletzungsbedingt verpasst. Umso größer ist diesmal seine Motivation: „Es gibt normalerweise nur eine Chance für einen Athleten, bei Heim-Meisterschaften teilzunehmen. Jetzt bekomme ich schon die zweite Chance, die möchte ich auf jeden Fall nutzen."
Nutzen – damit ist eine Medaille gemeint. Mindestens. Vor den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg lag der Mann vom LAZ Zweibrücken mit einer Saisonbestleistung von 5,81 Meter auf Rang sechs der europäischen Bestenliste, er hatte als erster deutscher Stabhochspringer sein EM-Ticket in der Tasche. Deswegen verzichtete er bei den verregneten Deutschen Meisterschaften auch auf einen Start. Holzdeppe, den in den vergangenen Jahren zahlreiche Verletzungen immer wieder aus dem Tritt gebracht hatten, ist sich aber sicher: „Ich bin wieder da!"
Als großer Goldfavorit reist der französische London-Olympiasieger und Weltjahresbeste Renaud Lavillenie (Frankreich) nach Berlin. Um Lavillenie (31) oder auch den erst 18 Jahre alten Schweden Armand Duplantis, der in diesem Jahr bereits 5,93 Meter übersprungen hat, zu schlagen, wird sich Holzdeppe strecken müssen. Mit großspurigen Ansagen hält er sich diesmal zurück, denn das war im Vorjahr mächtig nach hinten losgegangen. Vor der WM in London hatte sich der Olympia-Dritte von 2012 die Goldmedaille zum Ziel gesetzt – doch nach drei ungültigen Versuchen war das WM-Finale für ihn beendet, bevor es so richtig begonnen hatte. Auch in diesem Jahr waren ihm in Hof und beim Diamond-League-Meeting in Paris zwei Salto nullo passiert.
„Die zweite Chance möchte ich auf jeden Fall nutzen"
Auch damit muss man bei Holzdeppe immer mal wieder rechnen, sehr zum Leidwesen seiner Verlobten. Die fiebert nämlich bei jedem Wettkampf vor Ort mit, wenn sie nicht selbst gerade in die Grube springt. „Er macht es immer so spannend. Das mag ich auch nicht", sagt Moguenara. „Aber so ist er halt."
Lange Zeit war seine Nervenstärke das große Plus von Holzdeppe, so holte er sich 2012 sowohl bei der EM als auch bei Olympia in London Bronze. Ein Jahr später war er auf dem sportlichen Höhepunkt: In London kürte sich Holzdeppe mit einem nahezu perfekten Wettkampf zum Weltmeister, vor dem großen Favoriten Lavillenie. Doch der Weltmeister fiel in den Jahren nach seinem großen Triumph tief. Nichts wollte mehr klappen, dazu kamen immer wieder Verletzungen. Erst als er gemeinsam mit seiner großen Liebe Moguenara von München zurück in die heimische Pfalz zu Trainer Andrej Tivontchick zog, kehrten die Erfolge zurück. 2015 gewann er WM-Silber, im Olympiajahr verletzte er sich schwer am Knöchel. Er wurde trotz fehlender Norm für Rio nominiert, doch in der Qualifikation war Endstation. „Rio 2016 war so ein bisschen zum Vergessen", sagt Holzdeppe. Bei Olympia in Tokio 2020 „möchte ich nicht nur dabei sein, sondern wieder versuchen, vorne mitzuspringen".
Dieses Ziel hat auch seine Verlobte. Bei der WM in London war Moguenara zwar qualifiziert, aber auch überwältigt von den Eindrücken. „Als ich das Olympiastadion betrat", erinnert sie sich, „war ich gar nicht mehr ich selbst. Es war, als würde ich mich selber von außen betrachten." In früheren Jahren war es noch schlimmer, damals sei sie eine „ziemliche Chaotin" gewesen und habe „die Wettkämpfe manchmal gar nicht so richtig wahrgenommen, auch wenn ich gewonnen habe". Sie habe vor allem für ihren Vater den Sport betrieben.
Das hat sich geändert, Moguenara hat längst der Ehrgeiz gepackt. Vor der DM in Nürnberg war die Weitspringerin die Nummer sechs in Europa (6,84 Meter), in Deutschland ist in dieser Saison nur Malaika Mihambo (6,99 Meter) weiter gesprungen. Ihre Bronzemedaille bei der Hallen-WM im März hat ihr sichtlich Selbstvertrauen gegeben. Vielleicht kann sie schon bald ihre Bestleistung von 7,16 Meter, mit der man weltweit ganz vorne landen kann, wieder angreifen. „Ich glaube, es fehlt noch etwas. Aber daran kann man gut arbeiten", sagt sie. „Mental bin ich stark. Das habe ich alles schon drauf."
Auch beim Stabhochsprung stellt sich die Weitspringerin gar nicht so schlecht an. „Das Debüt war sehr gut", erinnert sich Holzdeppe. „2,80 Meter beim ersten Versuch, da war ich sehr beeindruckt." Moguenara klagte nach dem „Fremdspringen" allerdings über „zwei Wochen Schmerzen". Bei der EM in Berlin kämpft jeder für sich in seiner Disziplin um eine Medaille. Aber sie wissen auch, dass der andere nicht weit weg ist und zuschaut.