Mit der Art und Weise, wie Gesa Felicitas Krause mit ihrem Sturz bei der WM umgegangen ist, hat sie viel Sympathie gewonnen. Bei der Heim-EM will sie es aber besser machen.
Gesa Felicitas Krause hatte es geahnt. „Das wird das härteste Rennen meines Lebens", sagte die Hindernisläuferin vor dem WM-Finale über 3.000 Meter. Doch dass es so hart werden würde, hätte auch sie nicht gedacht. Krause stürzte bei einem Hindernis über eine Konkurrentin, im anschließenden Getümmel bekam sie ein Knie gegen den Kopf und einen Tritt auf den Knöchel. Den deutschen Fans im Londoner Stadion und am Fernseher stockte der Atem, sie litten mit der Medaillenhoffnung mit.
Für einen kurzen Moment wirkte Krause wie benommen, doch dann rappelte sie sich wieder auf und kämpfte sich über 2.000 Meter doch noch bis ins Ziel. Auf Platz neun statt auf den anvisierten Medaillenrang. Mit Schmerzen und ohne Chancen aufs Podest. Ihr einziger Antrieb war ihr Lebensmotto: niemals aufgeben! „Das ist schwer zu verkraften. Es tut weh, wenn man nicht eingreifen kann", sagte die WM-Dritte von 2015 damals. „Aber das ist Hindernislauf. Wenn das unmittelbar vor einem passiert, dann gehört das auch zu diesem Sport."
Das Krause-Drama ist ein Jahr her, aber es ist noch immer im Gedächtnis der Leichtathletik-Fans gespeichert. Wie die zierliche 25-Jährige damals ihr Pech erhobenen Hauptes ertragen hat, ohne verbittert oder gar anklagend auf ihre Konkurrentinnen zu schauen, bescherte ihr einen großen Sympathiebonus.
„Das gehört auch zu diesem Sport"
„Das war sportlich ein Tiefpunkt. Ich hätte aber nie gedacht, welche Öffentlichkeit dieser Sturz und ihr vorbildhaftes Verhalten danach bewirken würde", sagte ihr Heimtrainer Wolfgang Heinig. Die positiven Rückmeldungen zeigen „deutlich ihr Ansehen in der Gesellschaft und dass es sich lohnt, sportlich so konsequent zu sein wie sie."
Und nicht nur das: Krause fuhr nach dem WM-Rückschlag direkt ins Trainingslager, sammelte ihre Kräfte neu – und lief zwei Wochen später mit Wut im Bauch beim ISTAF im Berliner Olympiastadion zum deutschen Rekord (9:11,85 Minuten). An selber Stelle will das 50-Kilogramm-Leichtgewicht bei den Europameisterschaften wieder eine Erfolgsgeschichte schreiben. „Ich strebe nach Gold. Das sage ich immer noch, auch wenn der Saisonstart ein bisschen holprig war", sagt die Titelverteidigerin.
Mit ihrem Trainer hat sie nach guter Vorbereitung im Mai in der Trainingslehre etwas Neues ausprobiert. „Das war Neuland", sagt Heinig, „und wir haben den notwendigen Prozess der Regeneration unterschätzt." Bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg lief Krause, die für den Verein Silvesterlauf Trier startet, einsam zum Titel. Aber bei der EM warten ganz andere Kaliber, unter anderem die Norwegerin Karoline Bjerkeli Grovdal.
Mit dem Olympiastadion in Berlin verbindet Krause sehr viele positive Erinnerungen. Hier wurde die Sportsoldatin bei der Jugend-DM im Alter von 15 Jahren Deutsche Meisterin über 1.500 Meter. Bei der WM 2009, als Sprintkönig Usain Bolt seine große Show abzog, saß sie als Teenager auf der Tribüne und träumte davon, sich selbst auf der blauen Bahn feiern zu lassen.
Auch vom ISTAF kennt sie die grandiose Stimmung, die bei Leichtathletik-Events in Berlin herrschen kann. „Wenn dort ein deutscher Athlet vorgestellt wird, tobt das Stadion", sagt Krause. „Das ist eine unheimliche Motivation, das sind Gänsehautmomente. In diesem Stadion zu laufen ist mit das Größte, was man sich vorstellen kann." Der Heimvorteil kann pushen oder auch ein Rucksack sein. Es sei wichtig, sagt Krause, „sich vom Hype rund um die EM nicht erschlagen zu lassen".
Wenn man jemandem zutraut, in dieser Atmosphäre cool und konzentriert zu bleiben, dann ist es Krause. „Sie war nie das kleine Mädchen vom Dorf, das ich an die Hand hätte nehmen müssen, sondern ist von ihren Eltern zu Selbstständigkeit und Charakterstärke erzogen worden", erklärt ihr Heimtrainer Heinig, der seit zehn Jahren mit der Hindernisläuferin zusammenarbeitet. Krause reflektiert ihr Training, ihre Wettkämpfe, ihr Leben. Sie ist willensstark und zielstrebig, für den höchst anstrengenden Hindernislauf nicht die schlechtesten Voraussetzungen.
Um sich im internationalen Wettstreit mit den starken Afrikanerinnen auf Augenhöhe zu messen, trainiert auch Krause für mehrere Wochen auf dem Schwarzen Kontinent, im vergangenen Januar und März weilte sie in Südafrika, um Ausdauer zu bolzen.
Dass die Afrikanerinnen eine völlig andere Grundlagenausdauer besitzen, akzeptiert Krause. Sie arbeitet sich in dieser Hinsicht Stück für Stück heran. „In der Breite", sagt sie, „können wir die Afrikanerinnen niemals schlagen." Aber bei einem Wettkampf, wenn das Tempo nicht so hoch ist, die Favoritinnen an den Hürden ins Straucheln kommen – dann kann auch Krause die weltbesten Läuferinnen schlagen. Auch die magische Neun-Minuten-Grenze ist ein Ziel von ihr, von der ist sie noch fast zwölf Sekunden entfernt. „Das ist möglich", sagt sie, „aber nur in vielen kleinen Schritten."
Die magische Neun-Minuten-Grenze ist ein Ziel von ihr
Stetig nach vorne ging es für die Ausnahmeläuferin schon immer. 2011 wurde sie U20-Europameisterin, zwei Jahre später erreichte sie als „Küken" des DSV-Teams bei der WM in Südkorea einen beachtlichen neunten Platz. Erst kurz zuvor hatte sie ihr Abitur bestanden. Bei Olympia 2012 lief sie als Achte ins Ziel, danach trat sie aufgrund ihres Studiums im Marketing und Event-Management sportlich etwas kürzer. Sie kehrte mit einem Paukenschlag zurück: WM-Bronze 2015 in Peking. Es war die erste Laufmedaille im Einzel für den DLV seit 14 Jahren. Im Olympiajahr holte Krause erst EM-Gold und dann Platz sechs in Rio.
Verbessert sie sich weiter so konstant wie sie es bisher in ihrer Karriere getan hat, ist der Sprung aufs Podest bei Olympia in Tokio ein nicht unrealistisches Ziel. „2020 bin ich 28 Jahre alt und im besten Alter", sagt Krause. „Und wenn dann auch noch die Sterne auf meiner Seite stehen, dann möchte ich um eine Olympia-Medaille laufen." Krause hofft, dass sie mit dem Sturz bei der WM in London ihr Pech bei großen Wettbewerben aufgebraucht hat.
Experten sagen ihr auch großartige körperliche Voraussetzungen für den Marathon nach, doch das ist für Krause noch Zukunftsmusik. Solange sie „das Kribbeln verspüre, wenn ich die Spikes schnüre", wolle sie weiter auf der Bahn über Hindernisse springen und mit Konkurrentinnen um die beste Position rangeln. Es muss ja nicht immer so hart sein wie bei der WM 2017.