Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin stehen die deutschen Athleten naturgemäß besonders im Fokus. Hier erfahren Sie, welche Sportler aus anderen Nationen das Zeug zum EM-Star haben.
1. Dafne Schippers
Als einzige Europäerin kann es Sprinterin Dafne Schippers mit den schnellen Damen aus den USA und Jamaika aufnehmen. Schon zweimal wurde die Niederländerin Weltmeisterin über 200 Meter – als erst dritte Athletin der Geschichte konnte sie 2017 ihren Titel erfolgreich verteidigen. Über 100 Meter gewann sie im Vorjahr zudem WM-Bronze, über die doppelte Distanz auch Olympiasilber 2016. Danach war sie allerdings erst einmal enttäuscht: „Ich bin hergekommen, um Gold zu gewinnen. Mit Silber bin ich nicht glücklich", sagte sie bei den Olympischen Spielen zu den Reportern. In Europa ist sie jedoch kaum zu schlagen. Schippers hält mit 21,63 Sekunden auch den Europarekord über 200 Meter, es war die drittschnellste jemals gelaufene Zeit. Das Bemerkenswerte an diesen Leistungen ist, dass sie sich erst vor einigen Jahren ernsthaft den Sprintstrecken zugewandt hat. Zunächst war Schippers nämlich Siebenkämpferin und hatte in dieser Disziplin noch 2013 WM-Bronze geholt. Erst danach erklomm die 26-Jährige rasend schnell den Sprintthron.
2. Jimmy Vicaut
Er ist der schnellste Mann Europas. Jimmy Vicaut aus Frankreich lief die 100 Meter im Juli 2015 und dann erneut im Juni 2016 jeweils in 9,86 Sekunden und egalisierte damit den Europarekord von Francis Obikwelu aus Portugal. Da dieser jedoch ursprünglich aus Nigeria stammt, ehe er die portugiesische Staatsbürgerschaft annahm, ist Vicaut der schnellste europäische Sprinter aller Zeiten, der auch tatsächlich in Europa geboren wurde. Einen großen Titel hat das schnelle Kraftpaket indes noch nicht gewonnen. Zwar war er 2013 Halleneuropameister und gewann 2010 zudem auch im Freien EM-Gold mit der Staffel, doch im Einzel über 100 Meter hat er bei kontinentalen Meisterschaften bislang erst Silber und Bronze geholt. In Berlin will der Mann aus Paris diesen Makel endlich beseitigen.
3. Laura Muir
Diese Frau ist einfach nicht zu bremsen. Nach ihrem Sieg bei den Halleneuropameisterschaften 2017 versuchte ein Schiedsrichter, Laura Muir von ihrer Ehrenrunde abzuhalten, damit der Zeitplan nicht unnötig verzögert würde. Doch die Britin dachte gar nicht daran, den Moment des Sieges nicht gebührend zu feiern. Sie riss sich los und ließ sich breit grinsend trotzdem feiern. Gleich zweimal, über 1.500 Meter und über 3.000 Meter, hatte die 25-Jährige 2017 Hallen-EM-Gold geholt und zwar jeweils mit Meisterschaftsrekord – ein Beleg ihrer läuferischen Qualitäten auf allen Strecken. Bei den diesjährigen Hallenweltmeisterschaften sprang einmal Silber und einmal Bronze heraus, was angesichts der Umstände ebenfalls ein großer Erfolg war. Weil wegen eines Schneesturms sämtliche Flüge gestrichen wurden, setzte sich Muir kurzerhand in ein Taxi. Sieben Stunden brauchte sie zum Wettkampf, das Taxometer stand am Ende bei knapp 1.700 Euro. Alles aus Liebe zum Laufen.
4. Mahiedine Mekhissi-Benabbad
Als vierfacher Europameister ist der Franzose Mahiedine Mekhissi-Benabbad einer der erfolgreichsten Leichtathleten der vergangenen Jahre. Auch gegen die starke afrikanische Konkurrenz sah der Hindernisläufer im weltweiten Vergleich immer gut aus, wie seine insgesamt drei Medaillen (zweimal Silber, einmal Bronze) bei Olympischen Spielen sowie zwei WM-Bronzemedaillen beweisen. Der 33-Jährige ist allerdings auch ein Enfant terrible, der das Maskottchen der EM in Berlin schon jetzt zittern lässt. Sowohl bei der EM 2010 als auch bei der EM 2012 hatte Mekhissi-Benabbad nach seinem Sieg das Maskottchen attackiert und umgeschmissen. 2011 hatte er sich außerdem nach einem6. Rennen in Monaco im Ziel einen Faustkampf mit seinem Landsmann Mehdi Baala geleistet. 2014 hatte er in Führung liegend sein Trikot ausgezogen und schon auf der Zielgerade wild wedelnd damit gejubelt. Das wurde ihm als unsportliches Verhalten ausgelegt und Mekhissi-Benabbad nachträglich disqualifiziert.
5. Ivana Spanovic
Kaum eine Leichtathletin ist so modebewusst wie die serbische Weitspringerin, die stets großen Wert auf ihr Äußeres legt. Vor zwei Jahren bekam sie dafür sogar den „Style Award" der serbischen Ausgabe der Zeitschrift Elle verliehen. „Alle reden immer darüber, was ich anhabe, über meine Haare, meine Nägel, mein Make-up", sagte sie einmal in einem Interview mit dem Leichtathletik-Weltverband IAAF. „Aber ich bin eben ein Mädchen. Ich brauche das." Dabei gäbe es auch aus sportlicher Sicht genug zu erzählen über die 28-Jährige, die auf dem Kontinent klar die Nummer eins in der Sandgrube ist. Bei den vergangenen drei Europameisterschaften – 2015 und 2017 in der Halle, 2016 im Freien – gewann sie jeweils die Goldmedaille, ebenso bei den Hallenweltmeisterschaften Anfang des Jahres. Ihre Bestleistung: 7,24 Meter.
6. Karsten Warholm
Jung, erfolgreich und äußerst unterhaltsam: Kein Wunder, dass 400-Meter-Hürdenläufer Karsten Warholm bereits als potenzieller Nachfolger von Sprinter Usain Bolt gehandelt wird, wenn es um die Frage geht, wer der nächste Superstar der Leichtathletik werden könnte. Früher war der Norweger ein erfolgreicher Mehrkämpfer gewesen, unter anderem als Jugendweltmeister 2013; erst seit 2015 ist er erfolgreich auf der Hürdenstrecke unterwegs. Im vergangenen Jahr gewann er als 21-Jähriger überraschend die Goldmedaille in der vielleicht schwierigsten aller Laufdisziplinen – er war damit der jüngste Weltmeister aller Zeiten auf dieser Strecke und der erste Norweger seit 30 Jahren, dem wieder ein WM-Titel auf der Laufbahn gelungen war. Sein Erfolgsrezept? „Ich bin jung, ich bin dumm – ich bin einfach drauflosgerannt." Nachdem er sich in dieser Saison weiter verbessern konnte, ist er nun in Berlin der Gejagte.
7. Anita Wlodarczyk
An ihren letzten großen Auftritt in Berlin hat Hammerwerferin Anita Wlodarczyk schmerzhafte Erinnerungen. Nicht wegen der Leistung – bei den Weltmeisterschaften 2009 gewann sie die Goldmedaille und stellte im zweiten Durchgang mit 77,96 Meter sogar einen neuen Weltrekord auf. Allerdings hatte sie danach so überschwänglich gejubelt, dass sie sich am Fuß verletzte und keinen weiteren Versuch mehr durchführen konnte. Der Sieg war ihr trotzdem nicht mehr zu nehmen. Auch bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016, den Weltmeisterschaften 2015 und 2017 sowie den Europameisterschaften 2012, 2014 und 2016 hieß die Siegerin immer Anita Wlodarczyk, die schon jetzt als die beste Hammerwerferin aller Zeiten gilt. Die Polin, die am Schlusstag der EM 33 Jahre alt wird, ist weltweit die einzige Athletin, die jemals die 80-Meter-Marke übertreffen konnte – ihr jüngster Weltrekordwurf flog im August 2016 bis auf 82,98 Meter.
8. Renaud Lavillenie
Der größte Stabhochspringer ist Renaud Lavillenie mit seinen nur 1,76 Meter wahrlich nicht – aber ganz sicher der beste. 2014 überquerte der Franzose in der Halle 6,16 Meter und überbot damit den Weltrekord des Ukrainers Sergey Bubka, der bis dahin als unantastbar galt. Lavillenie ist der kleinste Stabhochspringer, der jemals die Sechsmetermarke übersprungen hat. Seine geringe Körpergröße macht er dadurch wett, dass er so schnell anläuft und den Stab so hoch greift wie kein anderer und damit eine immense Katapultwirkung erzeugt. „Ich liebe beim Stabhochsprung das Gefühl von Risiko und Kontrolle", hat er einmal gesagt. Dreimal war Lavillenie schon Europameister, 2012 holte er außerdem olympisches Gold. Doch der 31-Jährige ruht sich auf seinen Erfolgen nicht aus. Er ist ein Perfektionist, der sogar zuhause in seinem Garten eine Stabhochsprunganlage aufgebaut hat, auf der er auch nach Feierabend noch fleißig trainiert.
9. Marija Lassizkene
Es war der 23. Juni 2016: Der Tag, an dem Hochspringerin Marija Lassizkene zuletzt einen Wettkampf verloren hat. Seitdem hat die 25-Jährige alles gewonnen – keine andere Leichtathletin in Europa ist so lange ungeschlagen. Im vergangenen Jahr gewann Lassizkene zum zweiten Mal den Weltmeistertitel, im Frühjahr 2018 dann Gold bei der Hallen-WM. Ihren ersten WM-Titel hatte sie 2015 noch unter ihrem Mädchennamen Marija Kutschina geholt. Nachdem der russische Leichtathletikverband aufgrund der Doping-Vorkommnisse von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen wurde, bestritt Kutschina ein Jahr lang keinen offiziellen Wettkampf, ehe sie 2017 ihr Comeback auf der Weltbühne gab. Bei den Europameisterschaften in Berlin wird sie unter neutraler Fahne starten. Im sehr wahrscheinlichen Fall eines Sieges würde für sie deshalb keine russische Nationalhymne gespielt werden.
10. Nafissatou Thiam
Hinter Mariya Lasitskene ist Nafissatou Thiam in diesem Jahr die zweitbeste Hochspringerin Europas. Dabei ist die Belgierin eigentlich gar keine Spezialistin für diese Disziplin, sondern einfach nur eine ausgezeichnete Mehrkämpferin. Im Siebenkampf scheint die Goldmedaille auch in diesem Jahr wieder für die 23-Jährige reserviert, die schon bei Olympia 2016 und bei den Weltmeisterschaften 2017 die Königin der Athleten gewesen war. Mit 7.013 Punkten übertraf sie dazu im vergangenen Jahr als vierte Frau überhaupt die magische Marke von 7.000 Punkten, wofür sie am Ende der Saison zur Welt-Leichtathletin gewählt wurde. Dass sie auf einmal im Rampenlicht steht, ist der Tochter einer Belgierin und eines senegalesischen Vaters gar nicht so recht. Lieber arbeitet sie akribisch an ihren schwächeren Disziplinen 200 Meter und 800 Meter. „Ich glaube, dass ich in diesen Disziplinen noch deutlich besser werden kann", sagt die Frau mit den geflochtenen Zöpfen. Die Konkurrenz dürfte das mit Ehrfurcht zur Kenntnis nehmen.