In Mike Newells intensiver Dramedy „Deine Juliet" landet Autorin Lily James auf der Ärmelkanalinsel Guernsey, um ein Buch über die Kriegserfahrungen eines ungewöhnlichen Buchclubs zu verfassen. Dabei findet sie selbst das ganz große Glück.
Keine Frage, ein paar Tropfen wahrhaftig wahrgenommener Liebe können viel mehr sein als ein Meer von Vernunft und Verstand. Vor allem viel mehr als ein Ozean voller Worte, die dieses Gefühl nur subjektiv eingrenzen können. So auch in Mary Ann Shaffers Bestseller „Deine Juliet", der ursprünglich den pittoresken Zusatz „Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf" trug. Darin ist zu erfahren: „Sophie, ich schwöre, mit mir stimmt etwas nicht. Ich finde alle Männer, die ich treffe, unerträglich. Vielleicht sollte ich meine Ansprüche tiefer schrauben – nicht so tief, dass ich dem schnalzenden Arzt etwas abgewinnen könnte, aber doch ein bisschen tiefer. Ich kann nicht mal dem Krieg die Schuld geben – ich habe mich noch nie gut mit Männern ausgekannt, oder?" Nun, alsbald wird sie es lernen – schneller, als ihr lieb ist.
London, am Ende der 1940er-Jahre, zur Zeit des Wiederaufbaus. Juliet Ashton (Lily James) steckt noch in der spätpubertären Phase einer Karriere als Journalistin und Schriftstellerin, doch ihr Intimus und Verleger Sidney (Matthew Goode) prophezeit ihr eine sonnige Zukunft. Sie tingelt noch von einer Autorinnenlesung zur nächsten, als sie eines Tages einen Brief von der idyllischen Kanalinsel Guernsey erhält. Darin schreibt ihr der Literaturfan und Farmer Dawsey Adams (Michiel Huisman), er sei auf der Suche nach einem guten Buch. Den nötigen Beistand erhoffe er sich von seinem großen Idol. Die attraktive Autorin, ohnehin gerade heillos überfordert von eigenen Emotionen auf der Suche nach Glück und Geborgenheit und dem stressigen Hype um ihrer selbst, kommt der Bitte gerne nach. Zudem reizt es sie enorm, den unbekannten Bewunderer kennenzulernen. In Saint Peter Port angelandet, macht sie sogleich auch Bekanntschaft mit den schrulligen Mitgliedern des Literaturkreises.
Die sogenannten „Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf" hatten sich in den Irrungen und Wirrungen des Zweiten Weltkrieges zusammengerauft, um die deutsche Besatzungszeit zu überstehen. Und so nimmt der Buchclub mit seinen liebenswert-spleenigen Mitgliedern das hoffnungsvolle Schreibtalent mit offenen Armen auf. Juliet ist begeistert, hat sie doch endlich ein prickelndes Thema für ihr nächstes Werk gefunden. Aber nicht alle mit Macken und Tücken bewehrten Einheimischen teilen ihre emphatische Euphorie. Doch im alleinerziehenden Vater Dawsey findet sie viel mehr als nur einen ehrlichen Freund…
Nostalgisches ist in Bilder gebannt
Freundschaft, Vertrautheit und Verbundenheit: Mike Newells sorgsam gesettetes, in sanften, erdigen Pastelltönen getauchtes Historiendrama, überrumpelt den Betrachter mit explosiver Emotionsdramaturgie. Wenn in einer Szene beispielsweise ein verzweifelter Vater seiner Pflegetochter den Tod der leiblichen Mama offenbaren muss oder in jenen Szenen, bei denen die Funken zwischen der fremden Schönheit Juliet und dem vereinsamten, alleinerziehenden Vater Dawsey sprühen. Es sind die kleinen Geschichten, die hier die Magie und die gänsehauttreibende Ambivalenz zwischen Lachen und Weinen, Verlust und Gewinn ausmachen. Nostalgisches wabert durch die gefühlsbetonten Bilder, vor allem hat die Kostümbildnerin hier perfekte Präzisionsarbeit geliefert. Der Kinogänger hat seine wahre Freude an den weiten, hochtaillierten, fast die Achselhöhlen zwickenden Hosen, an den eigenwilligen Hochfrisuren und den großzügig wattierten Jackenschultern. Ein cooler Look für eine saucoole, alles und alle überragende Protagonistin in einem spielfreudigen Ensemble. Der eher sperrig-amüsant klingende Name des originären Kartoffelschalenvereins basiert auf einer kuriosen Gefahrenlage. Bei einer der gefürchteten Razzien durch die Besatzungssoldaten fiel den ins Fadenkreuz geratenen Einheimischen bei Übertretung der Sperrstunden auf die Schnelle nichts anderes als die Ausrede ein, für den Buchverein unterwegs zu sein, um aus prekären Situationen zu entrinnen, wie jene, bei denen Gewehrmündungen auf sie gerichtet sind.
Für die am 13. April 1934 in West Virginia geborene US-Briefromanautorin Mary Ann Shaffer gab es leider kein Entkommen, sie verstarb im Februar 2008, nur wenige Monate vor Veröffentlichung ihres mehr als 7,5 Millionen Mal verkauften Buches. Sie saß damals nach einer Recherchereise im Urlaub am Flughafen der Guernsey-Insel fest und wälzte aus Langeweile im ortsansässigen Buchladen mehrere Bücher zur deutschen Besatzungszeit der Inseln im Zweiten Weltkrieg. Das war der Katalysator zum Klasse-Roman. Shaffers Nichte Annie Barrows vollendete das fast fertige Werk, nachdem sie selbst schwer erkrankte. Ursprünglich sollte keine Geringere als Kate Winslet die Juliet spielen und Meisterfilmer Kenneth Branagh vor und hinter der Kamera stehen. Beide verließen aber enttäuscht das immer wieder lang hinausgezögerte Projekt. Mit Lily James, Jessica Brown Findlay, Penelope Wilton und Matthew Goode gesellten sich gleich ein erfolgreiches Quartett der beliebten und erfolgreichen Serie „Downtown Abbey" hinzu.
Das respektable Resultat ist ein warmherziges Kinohighlight, das nicht nur Frauenherzen höherschlagen lässt. Denn hier langt die unwägbare Unberechenbarkeit von „Liebe" wieder ungemein unterhaltsam zu.