So unmittelbar wie eine E-Mail: Mit der Echtzeit-Überweisung beschleunigt sich die Zahlung per Online-Konto massiv. Statt mindestens einem Tag dauert das Verschicken von Geld jetzt nur noch Sekunden. Die Initiative dafür kam von der Europäischen Zentralbank.
Früher war das so: Wer einen bestimmten Film sehen wollte, ging ins Kino oder in die Videothek. Bis zum Filmvergnügen konnte es schon mal ein, zwei Tage oder länger dauern. Heute hat diese Geduld kaum noch jemand. Es geht per Online-Streaming ja auch sofort. Vieles lässt sich heutzutage ohne Wartezeit erledigen: Informationen einholen, Bestellungen machen, Verträge abschließen, selbst Kaffee kochen.
Nur eine Aktion dauert bislang noch ihre Zeit: ausgerechnet das Bezahlen. Eine Überweisung von einem Online-Girokonto, die in Deutschland meistgenutzte Zahlungsform neben der Barzahlung, benötigte bislang mindestens einen Tag. Wer eine Überweisung beauftragt, weiß, dass das Geld frühestens am nächsten Tag beim Empfänger ist. Steht ein Wochenende bevor, dauert es sogar drei Tage. Vor nicht allzu langer Zeit waren mehrere Tage sogar normal.
In Echtzeit-Zeiten ist das ein Anachronismus. Aber es ändert sich gerade: Seit 10. Juli bieten die Sparkassen die sogenannte Echtzeit-Überweisung an. Dabei gilt: Es dauert maximal zehn Sekunden, bis das Geld auf dem Konto des Empfängers ist. Er sieht es also direkt auf der Web-Ansicht seines Online-Kontos, er muss nur einmal aktualisieren. Vorreiter in Deutschland war die Hypovereinsbank, die das Angebot bereits im November vergangenen Jahres gestartet hat. Nun folgen also die Sparkassen – immerhin 385 Institute mit 50 Millionen Kunden. Damit ist die Echtzeit-Überweisung praktisch über Nacht für einen großen Teil der deutschen Girokonten möglich geworden. Bereits am ersten Tag wurde sie 10.000 Mal genutzt.
Allerdings gibt es zwei Haken dabei. Der Empfänger muss sein Konto ebenfalls bei einer Bank oder Sparkasse haben, die die Echtzeit-Überweisung anbietet. Und es kostet etwas, Geldinstitute verlangen dafür in der Regel Gebühren. Da jede Sparkasse darüber selbst entscheidet, gibt es dabei eine beträchtliche Spanne: Sie reicht von nichts bis zu saftigen drei Euro pro Transaktion.
In wenigen Monaten werden auch die Deutsche Bank und die Institute der Volks- und Raiffeisenbanken folgen – zunächst ab November für Empfänger und im ersten Halbjahr 2019 auch aktiv mit Überweisungen. Es wird erwartet, dass bis Ende 2019 alle Institute in Deutschland dabei sind.
Mehr Effizienz für den EU-WIrtschaftsraum
„Was bringt’s?", fragt sich der geneigte Kunde. Für den Privatkunden normalerweise nicht sehr viel. Für die meisten Überweisungen sind ein paar Tage früher oder später kein Thema. Anders bei besonderen Geschäften sowie bei Geschäftskunden. Bestes Beispiel: Beim Gebrauchtwagenkauf ging bislang alles nur per Barzahlung, weil das die einzige Möglichkeit war, dass der Händler sich der Zahlung absolut sicher sein konnte. Nun bietet die Echtzeit-Überweisung einen perfekten Ersatz. Auch beim Onlinehandel ist Geschwindigkeit wichtig: Viele Bestellungen laufen nur per Vorkasse, insbesondere bei unbekannten Kunden. Die Ware wird erst versandt, wenn der Händler das Geld hat. Das dauerte bislang ein paar Tage, jetzt kann die Bezahlung buchstäblich während eines Telefongesprächs erfolgen.
„Volkswirtschaftlich bedeuten ‚Instant Payments‘ einen großen Fortschritt", sagt Ernst Stahl vom Ibi-Competence Center Digital Commerce & Payment der Uni Regensburg. „Viele Zug-um-Zug-Geschäfte werden deutlich vereinfacht und reibungsloser ablaufen. Nach Sichtung der Ware kann das Geld sofort fließen. Für die Logistikbranche ist das eine deutliche Vereinfachung." Für Carl-Ludwig Thiele, bis vor Kurzem noch im Vorstand der Bundesbank, eröffnet es ganz neue Chancen für Just-in-time-Produktion: „Instant Payments werden eine treibende Kraft in der weiteren Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und der Erneuerung der zugrundeliegenden Prozesslandschaft sein." Lieferung und Zahlung können viel besser aufeinander abgestimmt werden. Das dürfte „tiefgreifende strukturelle Änderungen" bedeuten. Anders gesagt: Die neue Zahlungsmöglichkeit wirkt quasi wie ein Ölwechsel beim Auto. Die Volkwirtschaft läuft deutlich leichter.
Auch wenn die meisten Kunden das neue Angebot begrüßen dürften, kam es nicht ganz spontan: Die Initiative ging von der Europäischen Zentralbank aus. „Die EZB hat den Banken klargemacht, dass sie sich Instant Payment als Standard wünscht", sagt Bankenexperte Stahl. „Die Tage dauernden Überweisungen sind der EZB ein Dorn im Auge, angesichts des Ziels, die EU zum effizientesten Wirtschaftsraum zu machen."
Widerstand der Banken dürfte es aber auch nicht gegeben haben: Zu früheren Zeiten konnten Banken, wenn sie das Geld erst drei, vier Tage später auf dem Konto verbuchten, „mit dem Geld arbeiten". Sie nutzten den Zins, der auf das Geld anfällt. Es waren zwar nur wenige Tage, ein Bruchteil eines Jahreszinses, aber die Masse machte es. Heute, wo die Zinsen für kurzfristiges Geld teilweise sogar negativ sind, ist dieser Vorteil verschwunden. Im Gegenteil: Banken haben heute sogar ein finanzielles Interesse daran, das Geld so schnell wie möglich auf dem Kundenkonto zu verbuchen.
Schon am ersten Tag 10.000 Nutzer
Echtzeit-Überweisungen unterliegen ansonsten den gleichen Vorschriften wie normale Überweisungen. Sie werden automatisch überprüft, zum Beispiel nach Auffälligkeiten, die auf kriminelle Herkunft hindeuten könnten. Da das immer schon automatisiert lief, ändert sich daran praktisch nichts. Das Gleiche gilt aber auch für den Schutz vor menschlichen Fehlern: Zwar gab es bislang theoretisch die Möglichkeit, irrtümliche Überweisungen zurückzuholen, solange sie innerhalb der Kontrolle der Bank waren. „Praktisch ist das aber schon heute unrealistisch", sagt Stahl. „Die Prozesse laufen voll automatisiert. Eine Überweisung zu stoppen muss quasi ‚von Hand‘ erfolgen. Das geht praktisch nicht mehr."
Für die Kontrolle über das eigene Konto gibt es somit einerseits mehr Flexibilität: Vor allem für international tätige Firmen kann das wichtig sein, die sozusagen in letzter Sekunde noch ein Konto ausgleichen können. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Bislang hat die Bank alle Zahlungen erst am Ende eines Tages verrechnet. Bei knapper Kassenlage genügte es, wenn eine Zahlung bis zum Abend noch reinkam. Bei der Echtzeit-Überweisung aber gilt: „Da das Konto bei Echtzeit-Überweisungen auch in Echtzeit belastet wird, kann eine solche Überweisung auch nur bei ausreichender Kontodeckung durchgeführt werden", so ein Sprecher des Sparkassenverbandes DSGV. Sprich: Wenn nicht genug Geld auf dem Konto ist, wird die Zahlung abgelehnt. Echtzeit-Überweisungen funktionieren rund um die Uhr, an Wochenenden und Feiertagen. Einst konnten die Behörden bei drohenden Bankenkrisen einen „Bankfeiertag" verordnen. Das wird nun eher schwierig.
Ernsthaft unangenehm könnte die neue Überweisung für die Konkurrenz, nämlich die Kreditkartenfirmen, werden: „Für die Kreditkartenbranche wäre der Erfolg von Instant Payment eine ernste Herausforderung, denn deren Rolle als Zwischenperson ist bei Instant Payments bedroht", schreibt Yoram Matalon von der HSH Nordbank. Der Bankkunde dürfte das eher gelassen sehen.