Warum Kommentare über den Ex-Nationalspieler den Rassisten in die Karten spielen
Kaum zu glauben, aber einem Fußballspieler gelingt es, an seiner eigenen Person eine Integrations- und Rassismusdebatte zu entzünden. Eine aufgeheizte Stimmung weht durch das Sommerloch. Als wäre der diesjährige Sommer nicht schon heiß genug.
Der kleinste gemeinsame Nenner in dieser „Staatsaffäre" ist die Verurteilung des öffentlichen Auftritts der beiden deutschen Nationalspieler Özil und Gündogan mit dem Autokraten Erdogan. Alles, was danach geschah, wirkte wie ein misslungenes Potpourri. Kluge Einlassungen, teilweise aufgesetzte politische Statements und krudes Gedankengut wechselten einander ab. Verschiedene Akteure besetzten die Schlagzeilen des Sommerlochs für ihre Zwecke.
Unabhängig von Özil bleibt zunächst Folgendes festzuhalten. Ja, Deutschland hat ein Integrationsproblem. Ja, Ausländerfeindlichkeit gibt es auch in Stadien. Aber Deutschland tut viel, sehr viel, um diese Probleme in den Griff zu bekommen, ohne die Willkommenskultur zu stark zu strapazieren. Man sollte auch nicht die integrative Kraft des Fußballs vergessen, die nicht nur postuliert, sondern auch gelebt wird.
Zurück zu Özil und seiner veröffentlichten Twitterbotschaft. Seinen Austritt aus der Nationalmannschaft begründet er mit Rassismus und fehlendem Respekt. Leider sind einige darauf hereingefallen, auch Politiker. So wurde sein Rücktritt als ein Dokument des Scheiterns oder als Alarmzeichen im Kontext von Integration und Rassismus gedeutet. Wie kann jemand, der seit acht Jahren im Ausland wohnt und Fußball spielt (zunächst Real Madrid, derzeit Arsenal London) als Symbol einer verfehlten Integration in Deutschland betrachtet werden?
Warum die späte Generalabrechnung von Özil? Die Frage stellt sich umso mehr, als dem Spieler zumindest in vielen Veröffentlichungen nicht die Verantwortung für das frühe Ausscheiden der Nationalmannschaft zugeschoben wird. Er war nicht besser oder schlechter als die anderen Spieler. Man muss in der Tat annehmen, dass das Statement fremdbestimmt verfasst worden ist. Für einen 92-fachen Fußball-Nationalspieler eine beklemmende Vermutung! Beklemmend auch das Fehlen jeglicher Selbstkritik. Immerhin hat er einem Staatspräsidenten, der Menschenrechte missachtet und Deutsche als Nazis beschimpft, die Gelegenheit gegeben, sich vor seiner Wahl medienwirksam mit ihm zu präsentieren. Öffentliche Empörung über dieses Treffen darf nicht mit Rassismus verwechselt werden. Zu verurteilen sind Beleidigungen und Hass-E-Mails aus einigen Ecken der Bevölkerung.
Das Foto mit Erdogan, insbesondere das nachfolgende beharrliche Schweigen von Özil, mag das Klima innerhalb der deutschen Nationalmannschaft beeinflusst haben. Es darf aber nicht als entscheidende Ursache oder gar als Alibi für das historisch schlechteste Ergebnis einer deutschen Mannschaft bei einer Weltmeisterschaft dienen. Da gibt es wahrscheinlich andere und schwerwiegendere Gründe, die hier nicht diskutiert werden sollen. Dennoch ist die Frage berechtigt, warum der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nicht rechtzeitig für klare Verhältnisse gesorgt hat.
Es ist wohl mehr als nur eine Vermutung, man habe die Problematik unterschätzt. Aber gab es einen Königsweg? Eine Nichtnominierung hätte abseits von fachlichen Aspekten zu einer Migrationsdebatte bereits vor der Weltmeisterschaft geführt. Bei dem Überangebot an guten Mittelfeldspielern wäre eine solche Maßnahme sportlich durchaus vertretbar gewesen, zumal Özil, teilweise verletzungsbedingt, nicht in bester Form gewesen ist. Als der Teammanager der Nationalmannschaft nach der Weltmeisterschaft in einem Interview erklärt hat, man hätte überlegen müssen, ob man aus sportlichen Gründen auf Özil verzichten sollte, gab es einen Sturm der Empörung bis hin zu Rücktrittsforderungen. Was hat das mit Rassismus zu tun? Die sportliche Führung hat zu entscheiden, was für den Erfolg der Mannschaft dienlich ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass in der Vergangenheit und jetzt die ethnische Herkunft bei der Nominierung eine Rolle gespielt hat.
Es wäre weiser gewesen, das Sommerloch nicht mit täglichen Kommentaren und wohlfeilen Meinungen über Özil zu füllen. So spielt man den tatsächlichen Rassisten in die Karten und hilft Erdogan.