Leeuwarden, 2018 eine der beiden Kulturhauptstädte Europas, hat sich dem Thema Brunnen gewidmet. Frieslands Metropole ist sehr stolz auf diese Initiative und hat die Brunnenprojekte auch in anderen Städten der Umgebung seit Jahren mit Akribie vorangetrieben. International bekannte Künstler haben mitgewirkt.
Zugreisende werden in Leeuwarden sofort überrascht. Kaum verlassen sie den Bahnhof, fällt der Blick auf zwei sieben Meter hohe, schneeweiße Kinderköpfe vor einem halbrunden Bau mit der Aufschrift „Welcome". Mit diesen beiden jungen Menschen heißt Leeuwarden, Frieslands Hauptstadt, die Gäste willkommen.
„Love" (Liebe) hat der Spanier Jaume Plensa dieses Kunstwerk genannt. Die beiden Skulpturen, inmitten eines flachen Brunnens, sind bereits zu Leeuwardens Ikonen geworden.
Die Nordseeprovinz Friesland setzt – neben 60 Hauptprogrammpunkten und dem Besuch der Kleinen Riesin aus Nantes als Highlight – vor allem auf das Wasser. Renommierte internationale Künstlerinnen und Künstler wurden eingeladen, um in elf Städten neue Brunnen zu entwerfen. Die Gäste sollen also nicht nur Leeuwarden und seinen schönen Brunnen in Augenschein nehmen, sondern auch die anderen Brunnen-Städte erkunden. Insgesamt vier Millionen Besucher werden im Kulturhauptstadtjahr erwartet.
Alles in allem sind die elf neuen Brunnen ein großes Vorhaben für die kleine Provinz. Doch zu Leeuwarden mit seinen 108.000 Einwohnern passt das bestens. Zahlreiche Grachten und Kanäle durchfließen die Stadt. Immer wieder gehen die Besucher am Wasser entlang, schauen von Brücken auf ankernde Schiffe und fühlen sich wie in einem Venedig des Nordens.
Einst lag Leeuwarden direkt am Meer, nun ist es rund 40 Kilometer entfernt, doch die Sehnsucht nach der freien Nordsee ist geblieben. Hollands renommierter Architekt und Urbanist Jo Coenen hat das bei der Planung des Amicitia-Gebäudes an der Zuidergracht berücksichtigt und den Namen, der Freundschaft bedeutet, wohl mit Bedacht gewählt.
„Die Bewohner haben das Bauwerk zunächst als Kreuzfahrtschiff kritisiert, sind nun aber stolz darauf", erzählt Stadtführer Henk Olij. Jetzt ist man gut Freund miteinander, und das gilt auch für das ehemalige, komplett umgewandelte Gefängnis namens Blokhuispoort.
Ein schiefes Häuschen namens Utrecht
Die Fülle der Räder vor dem massigen Backsteinbau mit den beiden niedlichen Türmchen spricht Bände. Der Ex-Knast ist inzwischen total „in". Alles dran, alles drin – eine Bibliothek, das „Café De Bak" (= Kittchen), das Restaurant „Proefverlof", was „Auf Bewährung" bedeutet, und das „Hostel Alibi" (https://alibihostel.nl/en). Ein weiteres geschichtsträchtiges Gebäude, die ehemalige Hauptpost in der Tweebaksmarkt-Straße, wurde stilgerecht zum 4-Sterne-Hotel „Post Plaza" umgebaut. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fällt ein recht schiefes Häuschen namens Utrecht auf. Es ist „das kleinste Jugendstiltheater Europas", steht auf einer schwarzen Tafel. Und gleich dahinter beginnt die eigentliche Altstadt mit ihren traditionellen Giebelhäusern. Wer weiter durch Leeuwarden streift, landet unweigerlich beim Fries Museum auf dem zentralen Wilhelminaplein (Wilhelminaplatz). Planer des Neubaus war Leeuwardens Star-Architekt Abe Bonnema, doch er kam nicht mehr zum Zuge. Vor seinem Tod im Jahr 2001 vermachte er dem Museum 18 Millionen Euro mit der Bedingung, mit dem Geld einen Neubau auf diesem Platz zu bauen und dafür den Architekten Hubert-Jan Henket zu beauftragen. Der hat tatsächlich gute Arbeit geleistet. Das haben auch die Künstlerinnen und Künstler getan, die die Kunstkritikerin und Kuratorin Anna Tilroe zur jeweiligen Stadt passend ausgewählt hatte. Die Städte haben dann die künftigen Brunnenbauer eingeladen, ihnen die Stadt gezeigt und die geschichtliche Entwicklung erläutert. Auf diese Weise ist eine Beziehung zwischen den Künstlern und den Menschen vor Ort entstanden. Die Brunnen spenden also nicht nur Wasser, sie erzählen auch eine Story.
Im Städtchen Sneek südwestlich von Leeuwarden hat Stephan Balkenhol – der einzige Deutsche – seinen „Fortuna" genannten Brunnen gleich in eine Gracht hineingestellt. Im Hintergrund ist das Wassertor aus dem 16. Jahrhundert zu sehen, Sneeks Wahrzeichen. Der von ihm gewählte Standort gefiel zunächst nicht allen Bewohnern. Also balanciert nun statt der gewohnten Glücksgöttin ein Geschäftsmann in weißem Hemd und schwarzer Hose auf einer güldenen, im Grund fest verankerten Kugel, die Balkenhol als ein Symbol für Reichtum bezeichnet. Sich ständig langsam drehend, schüttet der Gentleman auf der Kugel sein Füllhorn aus, schaut mal zu den Betrachtern und guckt wieder weg.
Die Brunnen erzählen auch eine Geschichte
Romantischer und typisch japanisch wirkt der Brunnen „Unsterbliche Blumen" von Shinji Ohmaki im nur drei Kilometer entfernten Ort IJlst. Beim Besuch hat ihm die Verbundenheit der Menschen mit dem Wasser und der Natur sehr gefallen, sagt Ohmaki.
In Bolsward, einer früheren Hansestadt, hat Johan Creten seinen Fledermaus-Brunnen direkt vor die als Ruine erhaltene Broeretsjerke platziert, einst die Brüderkirche der Franziskaner aus dem 13. Jahrhundert. Eine Fledermaus, die drinnen herumflog, hat ihn dazu animiert, über die Größe gab es allerdings Streit mit dem örtlichen Brunnenkomitee. Im Rücken hat seine Fledermaus Stufen, und schnell klettert Creten hinauf, um nach dem Wasser zu schauen. Beim Graben des dazugehörigen unterirdischen Brunnens stießen die Arbeiter auf einen mittelalterlichen Friedhof und fanden 50 Skelette. Eine Sensation! Ob die Wasser speiende Fledermaus eine solche wird, hängt von den Bewohnern und Besuchern ab. Wird das bronzene, dunkelgrüne Flattertier oft gestreichelt, wird es gülden, wenn nicht, wird es schwarz, warnt Creten.
„Wir haben den allerschönsten Brunnen", behaupten die Bewohner der 1234 gegründeten Hafenstadt Harlingen, Frieslands Tor zur Welt. Den originellsten haben sie auf alle Fälle – einen grauschwarzen, Wasserfontänen speienden Wal, entwickelt vom amerikanisch-kubanischen Künstlerpaar Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla. Die Bewohner haben ihnen von einem gestrandeten und geretteten Wal erzählt, und das hat sie inspiriert.
„Die Bewohner waren gleich glücklich"
Der zierliche, „Oort Cloud" (Oort Wolke) genannte Brunnen von Jean-Michel Othoniel in Franeker wirkt echt poetisch und neben der um 1421 erbauten Martinikirche ausgesprochen grazil. Der Franzose hat sich vom „Königlichen Eise Eisinga Planetarium" anregen lassen, dem weltweit ältesten, noch genau funktionierendem Planetarium. Eisinga, ein Wollkämmerer, aber ein Meister in Mathematik und Astronomie, verewigte den Lauf der Gestirne von 1774 bis 1781 an seiner Wohnzimmerdecke, was besichtigt werden kann. Der Othoniel Brunnen zollt jedoch dem in Franeker geborenen Astronomen Jan Oort Tribut. Der überraschte 1950 mit seiner noch immer unbewiesenen These einer wolkenartigen Planetenansammlung am Rande unseres Sonnensystems. Daraus entstand der Begriff „Oortsche Wolke". „Leichter Weltraumnebel" umhüllt Othoniels reale Variante. „Die Bewohner waren gleich glücklich über diesen Entwurf", erzählt er. Die Besucher werden es ebenfalls.
Infos auf Deutsch: www.friesland.nl/de/kulturhauptstadt2018