Er wuchs in Soest in einfachen Verhältnissen auf, jobbte bei der Müllabfuhr und wurde mit Mitte 20 über Nacht zum Popstar, der bis heute zwei Millionen Tonträger verkauft und über 20 Goldene und Platin-Platten bekommen hat. Sasha schlägt auf dem Album „Schlüsselkind" neue Töne an, indem er seine Muttersprache für sich entdeckt.
Sasha, wieso haben Sie die Arbeit an Ihrem ersten deutschsprachigen Album ausgerechnet in Los Angeles begonnen?
Los Angeles ist für mich ein Zufluchtsort. Die Stadt hat einen Groove, den man nicht beschreiben kann. Dort wird angepackt und gemacht. Dieser Vibe gefällt mir. Zudem scheint dort jeden Tag die Sonne, und man hat um neun Uhr schon gejoggt und gefrühstückt. Außerdem wohnt dort einer meiner besten Freunde und der Produzent meines Albums, Robin Grubert. Ich wusste, wenn ich zum ersten Mal auf Deutsch texten will, dann muss ich das mit ihm und Alexander Zuckowski machen.
Hat die Arbeit dort eine besondere Bedeutung für Sie?
Los Angeles war wichtig, um den Kopf freizubekommen, denn wenn man in seiner Muttersprache textet, geht es ans Eingemachte. Wir saßen da zu dritt wie in einer Therapiesession. Ich habe Worte wie „Schlüsselkind" ins Rennen geworfen. Das lief so gut, dass ich unbedingt ein ganzes Album auf Deutsch machen wollte.
Haben Sie sich zum Arbeiten immer in Robin Gruberts Villa in den Hollywood Hills getroffen?
Da würde er sich sehr freuen, wenn das tatsächlich der Fall wäre! Aber es ist noch keine Villa, sondern ein Appartment in Venice. Dort gibt es eine sehr kreative Szene, und der Strand ist vor der Haustür. Letztes Jahr haben wir Vocal-Sessions in einer Villa in Bel Air gemacht, die dem Produzenten Trevor Horn gehörte. In dem Studio herrschte ein musikalischer Spirit, der sich gewaschen hat! Im Wohnzimmer stand ein Flügel, und überall waren Gitarren. An den Wänden hingen Goldene Schallplatten von Seal über Depeche Mode bis George Michael. Tragischerweise ist dieses Haus mit all seiner Geschichte zwei Wochen nach unserer Abreise einem Waldbrand zum Opfer gefallen. Vielleicht war ich sogar der Letzte, der dort aufgenommen hat!
Das Format Album stirbt langsam aus. Wie gehen Sie mit diesem Kulturwandel um?
Ich frage mich generell, ob man überhaupt noch Alben machen oder nicht alle ein, zwei Monate einen Track raushauen sollte wie die DJs und Rapper. Die machen erst dann ein Album, wenn drei Tracks gut gelaufen sind. Aber ich habe für mich festgestellt, dass ich das nicht kann. Meine erste deutschsprachige Platte sollte unbedingt ein ganzes Album mit einem roten Faden sein: sprich Freunde, Familie, Vergangenheit, Gegenwart.
Ist die deutsche Sprache ebenso leicht singbar wie die englische?
Im ersten Moment nicht, deswegen habe ich mich ja so lange gesträubt. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass es für mich besser ist, wenn ich nicht krampfhaft versuche, Feuilleton zu sein. Ich wollte tiefe Themen mit einfachen Worten angehen. Das ist eine Gratwanderung, weil man relativ schnell in den Kitsch abdriften kann. „Ich liebe dich" klingt kitschig, während „I love you so" überhaupt kein Problem ist, wenn der Rest stimmt. Aber irgendwann habe ich mir gesagt, ich mache es auf Deutsch genauso, wie ich es auf Englisch gemacht habe. Dazu muss man nur die richtigen Worte finden.
Die Songs auf Ihrem Album sind sehr persönlich. Hat das etwas mit dem Sprachwechsel zu tun?
Ja, die Muttersprache bringt einen dazu. Ich hatte jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit, direkt von mir zu erzählen. Man macht sich ja bei englischen Songs nur selten die Mühe, sie zu übersetzen. Und mit einem deutschen Song kann ich mich direkt in die Herzen singen. Da war es klar, dass ich ganz viel von mir erzählen möchte. Ich wollte nicht politisch werden, sondern nahe bei mir bleiben.
Lassen Sie in „Junge" Ihre Mutter sprechen?
Nein, das ist nicht der moralische Zeigefinger, sondern eher ein humorvolles Lied. Meine Mutter hat mich immer bestärkt in dem Wunsch, Musiker zu werden und auch zu bleiben. Es gab Freunde, die es gut mit mir meinten und mich ernsthaft fragten, ob es mit meiner Karriere noch etwas werde. Ich habe dann ein halbes Jahr lang gezweifelt und mich wieder an der Uni eingeschrieben. Aber das ging nicht. Zum Glück ist der Erfolg dann doch noch gekommen.
Wie waren Sie mit 20?
Ich trug lange Haare und machte Grunge-Musik. Hätte der Erfolg schon damals eingesetzt, hätte ich heute wahrscheinlich bereits die dritte Reha hinter mir. Ich habe wild und von der Hand in den Mund gelebt und mir keine Gedanken über das Morgen gemacht. Es war eine tolle Zeit, die mir ganz viel mitgegeben hat für mein späteres Leben. Natürlich wollte ich irgendwann wie Pearl Jam in der Barclay Card Arena spielen. Dass ich meinen ersten Erfolg mit einer Pop-Platte haben würde, hätte ich nicht gedacht. Ich war damals kurz davor, mir den ganzen Körper tätowieren zu lassen.
Was hielt Sie davon ab?
Es war nie das richtige Motiv zum richtigen Zeitpunkt. Ich denke jetzt noch darüber nach. Letztens in LA wollte ich mir auch wieder etwas stechen lassen, aber dann hatte mein Lieblingstätowierer keine Zeit. Vielleicht war das ja auch gut so. Das Entfernen soll ja dreimal so schmerzhaft sein wie das eigentliche Stechen.
Mit welchen Jobs haben Sie sich anfangs über Wasser gehalten?
Ich habe gern hinter der Bar gearbeitet. Ich glaube, ich war ein guter Bartender. Sehr ungern war ich Fahrradkurier. Morgens um halb sechs aufzustehen und sich aufs Fahrrad zu schwingen, um sich durch die stark befahrene Dortmunder Innenstadt zu kämpfen, war schlimmer als Kette rauchen. Ich habe drei Wochen bei der Müllabfuhr gearbeitet, das war gut, aber super anstrengend. Die schlimmsten Jobs waren die stumpfen, wie zum Beispiel Getränkekisten einsortieren. Bei einer Spielzeugfirma habe ich Pakete geklebt. Dabei wird man total Banane im Kopf. Und man kriegt ständig Druck, weil man den Akkordschnitt nicht einhält. Als Aushilfe war man immer der Arsch, weil man das nicht so gut konnte wie die geübten Leute. Dadurch habe ich großen Respekt vor sehr vielen Jobs bekommen.
Schreiben Sie Ihre Songs mit dem Kopf oder mit dem Herz?
Teils, teils. Das meiste Kreative kommt aus dem Bauch heraus, aber es gibt auch die Fleißarbeit. Ich mache ein Lied nicht sofort von A bis Z fertig. Ich lasse Sachen oft gerne atmen, um zu gucken, ob es richtig ist. Der zweite Schritt ist oft schwer, weil er nicht schlechter werden darf als der erste. Bei diesem Album war ich extrem fleißig, weil ich sämtliche Zeilen bis ins Detail polieren wollte. Das macht Spaß, und wenn es nicht das wäre, was ich so gerne mache, könnte man sogar von Arbeit sprechen. Die vermeintlich schweren Tage im Studio waren oft die besten. Aber es gibt auch den Moment, wo man keine Lust hat.
Wie autobiografisch ist der Song „Schlüsselkind"?
Ich war Teilzeitschlüsselkind. Meine Mutter war alleinerziehend, und irgendwann kam noch mein Bruder dazu. Bis zu meinem fünften Geburtstag war ich oft bei meiner Oma untergebracht und ab dem Gymnasium war ich wieder öfter Schlüsselkind. Das Gute daran war, dass ich wusste, da kommt immer wieder jemand nach Hause. Es gab Tage, an denen ich aus der Schule kam und irgendetwas mitzuteilen hatte, sei es eine Klopperei oder eine schlechte Note. Wenn ich das nicht loswerden konnte, war das natürlich traurig. Aber viel öfter habe ich mich heimlich auf die sturmfreie Bude gefreut. Ich konnte als Präpubertierender essen oder fernsehen, was ich wollte. Das war eine gute Vorbereitung auf das spätere Leben. Ich hätte auch mit 15 ausziehen können und wäre klargekommen.
Hat Ihr Vater Ihnen sehr gefehlt?
Er hat in meinem Leben keine große Rolle gespielt. Selbst als meine Eltern ein zweites Mal geheiratet und sich ein zweites Mal haben scheiden lassen. Darüber habe ich schon als Kind den Kopf geschüttelt. Mein Vater war Berufssoldat und oft nicht zu Hause. Die Hauptperson beim Aufwachsen war meine Mutter. Das lief auch rund, aber es ist nicht schön, von Sozialhilfe zu leben. Ich bin froh, dass es das gegeben hat; wer weiß, was wir sonst noch hätten machen müssen.
Wie ging es weiter?
In meiner Pubertät ging es los mit dem Markenbewusstsein, aber mein Bruder und ich trugen die Schuhe eines Billiganbieters oder welche aus der Kleidersammlung. Das war uns saumäßig peinlich! Im Nachhinein stärkt es aber den Charakter. Als ich mit 15 anfing, in Bands zu spielen, veränderte sich mein Weltbild komplett. Mit 17 holte ich mir bewusst alte und zerrissene Klamotten aus der Kleidersammlung. Damit konnte ich mich von den anderen abheben. Und ich ließ mir die Haare lang wachsen. Damals hatte ich das krasse Gefühl, high zu sein ohne Drogen.
Was wollen Sie mit dem Song „Gorilla" ausdrücken?
Ich bin eine nur schwer reizbare Person. Wenn es aber mal so weit ist, kann es passieren, dass ich in dem Moment einen Schalter umlege und mich nachher bei der Person tausendmal entschuldigen muss. Diesen Teil von mir nenne ich „den Gorilla". Es gibt auch noch den anderen Gorilla. Das ist der Beschützer, der sich in harten Zeiten vor seine Frau, Familie oder Freunde stellt. Aber eigentlich mag ich es lieber harmonisch. Die Leute sollen mit meinen Liedern eine gute Zeit haben. Ich möchte nicht, dass jemand Krieg führt, aber das steckt in uns Menschen. Wir können jedoch versuchen, daran zu arbeiten.
Waren Sie bei der Bundeswehr?
Ich habe verweigert. Das war gar nicht so leicht, denn zu der Zeit musste man noch Briefe schreiben und erklären, warum man nicht zum Bund will. Vorher war ich allerdings sehr gut gemustert worden. So jemanden wie mich ließ man nicht gern zum Zivildienst gehen. Auf dem Papier war ich wahrscheinlich ein perfekter Soldat. Eine Zeitlang spielte ich sogar mit dem Gedanken, mich für zwölf Jahre zu verpflichten und bei der Bundeswehr zu studieren. Aber dann entdeckte ich die Grunge-Musik für mich, ließ mir die Haare wachsen und änderte meine Weltanschauung. Ich konnte keine Autoritäten mehr ertragen. Diese Leute lassen mich zum Gorilla werden. Beim Bund wäre ich ganz klar im Knast gelandet.