Gentechnik, Öko-Landwirtschaft, Tierschutz, Glyphosat, Klimawandel: An Herausforderungen mangelt es Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) wahrlich nicht. Aktuell drängen sich die Folgen des Jahrhundertsommers für die Landwirtschaft in den Vordergrund.
Frau Klöckner, Sie sind noch nicht mal ein halbes Jahr im Amt – und schon steht die erste große Bewährungsprobe an: Ein wahrer Jahrhundertsommer bedroht die Existenz vieler Bauern durch Missernten. Wird das Landwirtschaftsministerium mit finanziellen Hilfen beispringen?
Ich bin sehr besorgt über die Auswirkungen der Dürre, unter der viele Bauern vor allem im Norden und im Osten Deutschlands leiden müssen. Das Lagebild in Deutschland ist sehr unterschiedlich. Deshalb sind als erste Ansprechpartner für Hilfsmaßnahmen bei regionalen Extremwetterereignissen – zu denen auch extreme Trockenheit zählt die Länder zuständig, das sieht die sogenannte Kompetenzverteilung zwischen Länder und Bund vor. Wenn das Schadereignis als „Ereignis von nationalem Ausmaß" eingestuft wird, dann darf der Bund finanzielle Hilfe leisten – im Rahmen der sogenannten gesamtstaatlichen Repräsentation. Das schaut sich auch der Bundesrechnungshof an, denn es geht um Steuergelder. Das vergangene Mal war 2003 ein solcher Fall. Dazu müssen die Gesamtumstände bewertet werden. Ob die anhaltende Trockenheit ein E-reignis von nationalem Ausmaß ist, kann erst entschieden werden, wenn belastbare Schadensmeldungen vorliegen. Ende August legen wir den Erntebericht vor. Die ersten schwerwiegend Betroffenen sind aufgrund der extremen Trockenheit die viehhaltenden Betriebe. Das Futter für die Tiere wird knapp. Hier darf es gar nicht erst zu Versorgungsengpässen kommen. Deshalb habe ich meine Länderkollegen aufgefordert, mir schnell fundierte Informationen über Ernteschäden und ihre Länderförderprogramme unter anderem für viehhaltende Betriebe kurzfristig zu übermitteln. Darauf sind wir für unsere Begleitung der Ländermaßnahmen dringend angewiesen. Nur so kann ein koordiniertes, zeitnahes und vom Bund flankiertes gemeinsames Vorgehen möglich sein.
Sie als Landwirtschaftsministerin haben das Fachwissen und die Verantwortung, über Hilfen des Bundes zu entscheiden. Inwieweit sind Sie von der Zustimmung von Finanzminister Olaf Scholz abhängig?
Letztlich geht es auch um Steuergelder. In allen Fällen, in denen keine Mittel im Bundeshaushalt eingestellt sind, muss das Landwirtschaftsministerium einen Antrag beim Bundesministerium der Finanzen stellen, so auch bei der eventuellen Gewährung von Bundeshilfen in der gegenwärtigen Situation.
Haben Sie denn im Bundeslandwirtschaftsministerium bereits einen Überblick, wie groß der Ernteschaden in der Feldwirtschaft, also beim Getreide, ist?
Bei einem Arbeitstreffen am 31. Juli haben sich die Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter des Bundes und der Länder zu einer Bestandsaufnahme der Schäden getroffen. Wir haben einen groben Überblick über die Schäden. Dabei handelt es sich aber nur um vorläufige Schätzungen, denn die Ernte ist noch nicht überall abgeschlossen.
Der Schaden in der Viehwirtschaft dürfte ja enorm sein. In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg soll es schon zu ersten Notschlachtungen gekommen sein, weil das Futter fehlt.
Aus den wöchentlichen Schlachtzahlen und Schlachtgewichten lässt sich jedoch keine eindeutige Tendenz feststellen. Auch bei Differenzierung nach Bundesländern sind keine dürrebedingten deutlichen Unterschiede feststellbar. Das Landwirtschaftsministerium wird die Schlachtstatistiken und Preisnotierungen aber weiterhin sehr genau beobachten. Aussagen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen sind derzeit noch nicht möglich. Aber wie gesagt, zu Engpässen bei der Futterversorgung darf es gar nicht erst kommen.
Die Lage bei den Obstbauern ganz anders ist: Sie können sich auf reiche Erträge freuen.
Momentan kann man schon sagen, dass es erst mal ganz gut aussieht, vor allem nach der überaus schlechten Obsternte im Vorjahr. Die Obstkulturen konnten noch länger von der reichlichen Winterfeuchtigkeit zehren als die Ackerfrüchte, und die vielen Sonnenstunden haben die Aromabildung begünstigt. Bei den Kirschen wird sogar eine mehr als doppelt so hohe Ernte wie im Vorjahr erwartet. Bei den Äpfeln geht man ebenfalls von einer besseren Ernte aus, zudem von einem früheren Erntebeginn. Allerdings wird es allmählich auch für die Obstplantagen kritisch mit der Wasserversorgung, wenn keine Beregnungsmöglichkeiten bestehen.
Die Weinernte hat dieses Jahr schon extrem früh begonnen. Was würden Sie als Tochter eines Winzers sagen: Gibt es bei all der Sonne einen Jahrhundertwein?
Als Ministerin des Landwirtschaftsministeriums sind mir natürlich alle Ernten wichtig. Nicht nur die Weinlese, das ist klar. Ob es allerdings wirklich ein Jahrhundertwein wird, müssen wir erst mal abwarten, für eine qualitative Einschätzung ist es derzeit noch etwas früh. Denn bis zum Beginn der Hauptlese Ende August und während der Weinlese im September kann noch viel passieren. Was anfänglich verheißungsvoll aussah, wird jetzt durch die Dürre beeinträchtigt. Wegen des fehlenden Niederschlags vertrocknen die Blätter an den Reben. Da die Blattmasse als Assimilationsfläche fehlt, werden die Trauben schwerer reif, schrumpfen ein, müssen vielleicht sogar vor der Lese entfernt werden, damit der Wein keinen Fehlgeschmack bekommt. Eins kann man aber jetzt schon sagen: Dieser Jahrgang wird sicherlich als derjenige mit der frühesten Weinlese in die Geschichte eingehen.
Hilfen im Nachhinein sind das eine. Besser wäre es ja, widerstandsfähigere Pflanzen anzubauen. Kein Wunder, dass die Diskussion um genetisch veränderte Saat einen neuen Anlauf nimmt.
Wir sollten neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas nicht reflexartig ablehnen. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil die CRISPR/Cas-Pflanzen als Gentechnik eingestuft und so zu einer rechtlichen Klärung beigetragen. Aber neue Züchtungsmethoden können Chancen bieten. Das gilt besonders für Regionen, in denen die Böden zu trocken sind und die Ernte gefährdet ist. Dürre-tolerantere Pflanzen können auch helfen, das Hungerproblem anzugehen.
Aber gegen Gentechnik gibt es doch große Widerstände in der Bevölkerung – wie gehen Sie damit um?
Das Thema bereitet vielen Bürgerinnen und Bürgern Unbehagen. Das nehme ich ernst. Das liegt auch daran, weil es zu wenig Transparenz gibt. Die Nutzung der Gentechnik ist schon heute bei der Herstellung von Nahrungsmitteln auch in Deutschland weit verbreitet. Der Verbraucher weiß aber nicht umfassend, ob und was in der Produktionskette verändert wurde. Für mich ist dabei der gesundheitliche Verbraucherschutz die Maxime. Gleichzeitig will ich den Blick für Entwicklungen und Innovationen offenhalten. Ich sehe deutliche Herausforderungen. Wir wollen einerseits weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, andererseits sichere Ernteerträge. Dazu bräuchten wir weitere Möglichkeiten – zum Beispiel schädlings- oder dürreresistente Sorten. Und dürretolerante Pflanzen wären angesichts von Hitzeperioden für die Bauern und die Nahrungsmittelversorgung hilfreich. Diese Diskussion möchte ich in Europa gemeinsam mit der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten vorantreiben.
Nicht nur um die Gentechnik, auch um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gibt es immer wieder heftigen Streit – Stichwort „Glyphosat". Ihr Amtsvorgänger Christian Schmidt war für den Einsatz des umstrittenen Mittels – und Sie?
Wir haben den Einsatz von Glyphosat in den vergangenen fünf Jahren schon um ein Drittel reduziert. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Deshalb habe ich einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der die Anwendung dieses Pflanzenschutzmittels deutlich einschränkt. Wir sind dazu bereits in Gesprächen mit dem Bundesumweltministerium. Wir müssen uns aber auch das große Ganze anschauen. Ich werde deshalb eine Ackerbaustrategie vorlegen und die Forschung nach Alternativen zum Pflanzenschutz stärken. Wir möchten mit Hilfe moderner Technik, Stichwort: Precision Farming, also Präzisionstechnik in der Landwirtschaft, umweltfreundlicher und nachhaltiger arbeiten. Mein Verordnungsentwurf sieht die Anwendung nur noch in begründeten Ausnahmefällen vor, wenn keine zumutbaren Alternativen zur Verfügung stehen. Zum Beispiel zur Bekämpfung von sogenannten Problemunkräutern wie Disteln und Quecken oder bei erosionsgefährdeten Böden. Wenn man hier kein Glyphosat verwenden darf, sondern stattdessen den Boden mechanisch beackert, kann das gravierende Folgen haben: Bei starkem Regen kann der Boden weggeschwemmt werden.
Muss man solche weitreichenden Entscheidungen nicht auf breitere, europäische Füße stellen?
Wir haben im Koalitionsvertrag die Vereinbarung getroffen, den Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einzuschränken und sobald wie möglich grundsätzlich zu beenden. Dies muss in einem EU-konformen Rahmen geschehen. Dazu bin ich mit meinen europäischen Kolleginnen und Kollegen in fortwährendem Kontakt.
Sie wollen ja den Ökolandbau in Deutschland voranbringen, bis 2030 soll er einen Flächenanteil von 20 Prozent haben. Und Deutschland würde in der EU Öko-Spitzenreiter. Ein hehres Ziel – welche Fördermittel haben Sie vorgesehen?
Das Ziel ist durchaus ehrgeizig – derzeit stehen wir bei 7,5 Prozent – und es ist nur zu erreichen, wenn die Branche mitzieht. Die Entscheidung, ob jemand auf Öko umstellt, trifft ja nicht die Politik, sondern die Unternehmen müssen das selbst entscheiden. Wir setzen die Rahmenbedingungen, um den Ökolandbau zu fördern. Mein Ministerium hat mit der Zukunftsstrategie ökologischer Landbau ein Konzept dazu erstellt. Wir setzen damit wichtige Impulse entlang der gesamten Wertschöpfungskette, zum Beispiel, indem Betriebe, die umstellen wollen, beraten und gefördert werden. Es geht natürlich noch um viel mehr: rechtliche und finanzielle Förderinstrumente, Forschungsförderung, Technologie und Wissenstransfer.
Apropos „öko": In anderthalb Jahren soll ja das staatliche Tierwohllabel nach langem Ringen endlich eingeführt werden. Klappt das?
Ich habe in den ersten 100 Tagen einen Gesetzentwurf zur Einführung der Tierwohlkennzeichnung auf den Weg gebracht, der in der Ressortabstimmung ist. Mit einer staatlichen Kennzeichnung können wir Tierwohl sichtbarer machen und den Verbrauchern eine verlässliche Orientierung geben, wie viel Tierwohl in den Produkten steckt. Wir werden diese Kennzeichnung so attraktiv machen, dass viele Landwirte mitmachen und sich dadurch die Haltungsbedingungen der Nutztiere spürbar verbessern. Denn ein Pflichtlabel würde doch bedeuten, dass wir es auszeichnen müssten, wenn jemand den gesetzlichen Mindeststandard einhält. Mein Ziel ist, dass Deutschland eine Spitzenposition beim Tierwohl in der Nutztierhaltung einnimmt.
Auch Dänemark und Holland haben mit einer freiwilligen Kennzeichnung gute Erfahrungen gemacht. Somit kann Deutschland mit einem Mehr an Tierwohl national starten und sich europäisch für eine erweiterte allgemeine Haltungskennzeichnung einsetzen. Mein Ziel ist es, dass wir perspektivisch dann eine solche umfassende Haltungskennzeichnung EU-weit einführen.
Für Produkte, die aus der ökologischen Tierhaltung stammen, gelten schon heute die EU-weit verbindlichen Kennzeichnungsvorschriften der EU-Öko-Verordnung. Verbraucherinnen und Verbraucher können Bioeier, Biomilch und Biofleisch eindeutig an dem verbindlichen EU-Logo mit der Blattsilhouette oder aber auch an dem freiwilligen deutschen Bio-Siegel beziehungsweise den Logos der Anbauverbände wie Demeter, Bioland oder Naturland erkennen. Die Regelungen der EU-Öko-Verordnung umfassen eine Vielzahl von differenzierten Regelungen, die eine besonders artgerechte Haltung von Nutztieren gewährleisten.
Und dann gehört das Kükenschreddern der Vergangenheit an?
Küken zu töten, weil sie das falsche Geschlecht haben, ist moralisch nicht hinnehmbar. Wir müssen das Töten männlicher Eintagsküken mit einer praxistauglichen Alternative schnellstmöglich beenden – ich begrüße alle Initiativen, die uns diesem Ziel näherbringen, wie zum Beispiel die Arbeit der Firmen Seleggt und AAT*. Mein Ministerium geht den Weg der Forschung: Seit 2008 fördern wir die Geschlechtsbestimmung im Hühnerei mit rund fünf Millionen Euro. Mit unserer Unterstützung sind zwei vielversprechende Verfahren entstanden, die nun von den Projektpartnern zur Praxisreife gebracht werden. Es ist keine Zukunftsmusik mehr, dass Eier, die mit unseren Verfahren getestet wurden, in den Supermarktregalen stehen.
Ziehen denn die Landwirte in Sachen Tierwohl mit? Gerade von den Betreibern von Großtieranlagen ist da doch einiger Widerstand zu erwarten, oder?
Immer mehr Menschen liegt das Wohl der Tiere am Herzen, und ich möchte Deutschland, das schon einen hohen Tierschutzstandard hat, noch weiter voranbringen. Tiere sind Mitgeschöpfe. Daher plane ich eine Reihe staatlicher Fördermaßnahmen durch Bund und Länder zur Unterstützung der Landwirte beim Einstieg in das Tierwohl-Kennzeichen. Das Tierwohl-Kennzeichen wird freiwillig sein. Mein Ministerium möchte hier Möglichkeiten im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) und der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) schaffen, um Betriebe, die beim Tierwohl-Kennzeichen partizipieren und nachhaltig und tiergerecht produzieren wollen, zu unterstützen. Ich bin überzeugt, so auch die Landwirte mit an Bord zu haben. Gute Arbeits- und Produktionsbedingungen zum Beispiel sind ja auch im Interesse der Betreiber.
Wie sieht das denn dann für die Verbraucher aus: Müssen die sich bei der Einführung des Tierwohllabels auf steigende Preise einstellen?
Zunächst einmal: Rund 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich eine staatliche Tierwohl-Kennzeichnung. Vor 50 Jahren hat ein Haushalt bis zu 50 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Heute sind es um die elf Prozent. Es ist gut, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung bei uns im Grunde keine Frage des Geldbeutels ist. Im internationalen Vergleich sind Nahrungsmittel bei uns günstig. Aber das darf nicht auf Kosten der Tiere gehen. Für mich ist auch klar: Gute Lebensmittel haben ihren Wert. Ich bin froh, dass immer mehr Verbraucher das auch so sehen, denn die Nachfrage nach regionalen und hochwertigen Produkten steigt. Deswegen planen wir eine freiwillige Kennzeichnung mit verbindlichen Kriterien. Die Bürger wollen erkennen können, wer ihre Lebensmittel erzeugt hat. Dazu brauchen wir den Bauern um die Ecke. Eine leistungsfähige Landwirtschaft, die unsere regionalen Produkte erzeugt, liegt auch im Interesse der Supermärkte. Die Preise für die Produkte werden sich am Markt gestalten. Allerdings darf das Mehrkostenrisiko nicht alleine auf unseren Bauern lasten.
Sie haben ja selbst vor einigen Jahren für Furore gesorgt, nachdem sie innerhalb von sechs Monaten 17 Kilo abgenommen haben – Hut ab! Haben Sie einen generellen Tipp zur gesünderen Ernährung?
Furore? Na ja … Mal ehrlich: Hätten Sie diese Frage auch einem Mann gestellt (lacht)? Ich kann’s zusammenfassen: Weniger und ausgewogener essen – und gegen den Heißhunger Obst und Nüsse immer dabeihaben, das hilft.
Weitere Infos: www.seleggt.de, www.agri-at.com/produkte/in-ovo