Das Saarland befindet sich nach dem Ende des Bergbaus und der Hochtechnisierung des heimischen Stahls in einem erneuten Strukturwandel. Diesmal aber geht es nicht nur um einzelne Branchen.
Wo früher Stahl produziert wurde, sind die übrig gebliebenen Unternehmen an der Saar mittlerweile in die Weltspitze aufgestiegen – nach eigenen Angaben die umweltfreundlichsten Spezialstahlkocher der Welt. Wo früher Kohle abgebaut wurde, sind die Fördertürme heute Teil des Kulturerbes. Wo früher Autoteile, Motoren und Getriebe produziert wurden, könnten bald neue Antriebe und die Hardware-Komponenten für vernetztes Fahren entstehen.
Keine Frage, nach dem ersten Strukturwandel im Saarland bahnt sich nun der zweite an. Und dieser wird digital, in zweierlei Hinsicht. Nicht nur die Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass immer mehr Dienstleistungen und Unternehmensprozesse, von Produktentwicklung bis zum Kundenservice, über internetgestützte Plattformen oder die Cloud abgewickelt werden. Sie müssen selbst zum Innovationsmotor in Sachen Digitalisierung werden, um nicht von der Konkurrenz abgehängt zu werden.
Hybrid und Elektro statt Diesel
Ein Beispiel: Nachdem sich die Montanindustrie des Landes radikal verändern musste – bislang erfolgreich –, steht nun der aktuell breitesten Säule der Saar-Wirtschaft, der Automobil- und -zulieferindustrie, eine bunte Palette an Veränderungen ins Haus. Einen Blick auf das Autoland Saarland zu werfen, lohnt sich nicht nur deshalb, weil es derzeit als Hauptarbeitgeber die Saar-Wirtschaft stützt, sondern auch wegen seines Zukunftspotenzials. Derzeit arbeiten laut Industrie- und Handelskammer fast 18.000 Menschen für die Branche im Saarland, mit einem Gesamtumsatz von 9,8 Milliarden Euro – in der IT-Branche arbeiten nach Angaben der Standortagentur Saar.is knapp 7- bis 10.000 Menschen in 932 Unternehmen mit einem Gesamtumsatz, der bislang nicht einmal amtlich statistisch erfasst ist. Dass die Automobilbranche auch 2030 im Land immer noch Diesel, Schaltgetriebe und Abgasanlagen baut, darf bezweifelt werden. Schon jetzt bauen die hiesigen Platzhirsche ZF, Bosch oder Eberspächer ihr Portfolio um, Hybridtechnologie oder Elektromotoren sind keine Zukunftsmusik mehr. Ob das Bundesland aber letztlich an der Mobilität der Zukunft teil hat, wird von einer weiterhin hohen Facharbeiterkompetenz, der hohen Akzeptanz von Schichtarbeit, den relativ niedrigen Lebenshaltungskosten im Saarland, der Lage in der Großregion abhängen – und davon, ob die Politik es schafft, mehr Betriebe aus der Elektronikbranche oder mehr Forschungsabteilungen und -unternehmen anzusiedeln, wie die Studie „Autoland Saar" im vergangenen Jahr bereits vorschlug.
Forschungsabteilungen deshalb, weil die Studie die mangelnde Vernetzung von Wirtschaft und Forschung moniert. Zu Recht: Die Unternehmen beklagen, dass die Forscher des Landes nicht genügend auf sie zugehen – und es gibt Forscher, die die umgekehrte Situation beklagen. Vernetzung als Pflichtveranstaltung tut also Not, vor allem, da das Saarland auch über das Jahr 2030 hinaus noch auf die Automobilindustrie angewiesen ist. Baden-Württemberg macht im Augenblick mit seiner „Forschungsfabrik" vor, wie so etwas aussehen könnte. Struktureller Vorteil des Saarlandes: Vertrauen in autonomes Fahren herrscht nur, wenn es sicher ist. Dafür sorgen könnten hiesige Spezialisten vom Helmholtz-Zentrum CISPA und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
Industrie ist die eine Seite der saarländischen Medaille, Handwerk die andere. Hier fehlt es, trotz voller Auftragsbücher, an Nachwuchs, während der Akademisierungsgrad wächst. Allein im Saarland stehen 2000 Betriebe in den kommenden Jahren zur Übernahme bereit. Dass Handwerk „goldenen Boden" habe, ist also zumindest im Saarland derzeit nicht nur ein Sprichwort. Und auch das Handwerk bleibt vor der sogenannten vierten industriellen Revolution nicht verschont. Wie unterschiedlich die Perspektiven auf den Strukturwandel im Land sind, zeigen Interviews mit den Chefs der Industrie- und Handelskammer sowie der Arbeitskammer. Klar ist derzeit nur eines: Die Digitalisierungsgrade mögen in jeder Branche, vom Zulieferbetrieb bis zum Dachdecker im Saarland unterschiedlich sein, dem neuen Strukturwandel muss sich jedes einzelne Unternehmen stellen. Und wenn die Geschichte das Saarland etwas gelehrt hat, dann, dass es eines kann: Strukturwandel. •