Deutschland exportiert Waffen. Das ist unstrittig und sorgt regelmäßig für Empörung wie in kaum einem anderen Land. Doch wie wichtig ist unsere Rolle im internationalen Waffenhandel? Eine neue Studie geht der Frage auf den Grund.
Sind wir die „Waffenkammer der Welt"?, fragt der Politikwissenschaftler Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Und setzt sich mit drei Behauptungen auseinander: Deutschland sei drittgrößter Exporteur von Waffen und Rüstungsgütern, bei den Kleinwaffen stünden wir sogar an zweiter Stelle, und außerdem würden deutsche Waffen zur Eskalation von Krisen im Nahen Osten und in Afrika beitragen.
Krause will den deutschen Rüstungsexport nicht weißwaschen. Seine Absicht ist es, die Größenordnungen zu bestimmen. Denn allzu schnell verbreite sich in der Öffentlichkeit und in den Medien der Eindruck, Deutschland rüste skrupellos Diktaturen aus und Exporteure verdienten sich mit Rüstungsgeschäften eine goldene Nase. Wie er in einem Interview einmal sagte, wären mehr Ehrlichkeit nötig und ein Ende der Heuchelei. „Es wäre ein großer Beitrag zur Versachlichung der Diskussion, wenn die Bundesregierung sich entschließen könnte, die Rüstungsexportrichtlinien so umzuformulieren, dass diese nicht nur die Zurückhaltung beteuern, sondern konkret und nachvollziehbar aufzeigen, unter welchen Bedingungen die Bundesregierung es für vertretbar hält, Waffen und Rüstungsgüter zu exportieren." Diesem Anspruch würden die derzeitigen Richtlinien nicht gerecht.
Schwierige Statistik
Zahlen über Rüstungsexporte werden unter anderem vom Friedensforschungsinstitut Sipri in Stockholm, von Nichtregierungsorganisationen, dem Londoner Conflicts Armaments Research (CAR) oder von der US-Regierung erhoben. Deutschland hat kein eigenes Institut dafür. Die Zahlen dieser internationalen Institute hat Krause geprüft. Sie stützen sich auf öffentlich zugängliche Statistiken, die vor allem aus demokratischen Ländern stammen. Nicht-demokratische oder autoritäre Staaten hingegen haben kein Interesse an solchen Veröffentlichungen. Auch der multinationale Rüstungskonzern BAE Systems mit Sitz in London taucht nicht auf. Dabei ist BAE der weltweit zweitgrößte Rüstungskonzern mit 83.000 Mitarbeitern und 20 Milliarden Euro Umsatz (der größte, Lockheed Martin aus den USA, verbucht 53,5 Milliarden Dollar pro Jahr). Damit ist BAE größer als der gesamte wehrtechnische Zweig der deutschen Industrie. BAE liefert Waffensysteme an ausgelagerte Produktionsstandorte und bezieht Vorprodukte aus dem Ausland. BAE fehlt also, was Zweifel aufkommen lässt. Denn Großbritannien liegt in der am meisten zitierten Statistik weit hinter Deutschland.
Krause hat die Verzerrungen in den offiziellen Zahlen herausgerechnet und Daten von 2001 bis 2010 zusammengestellt. Sie lassen erkennen, dass Deutschland (17,2 Milliarden Dollar Rüstungsexporte) hinter Frankreich (56,7 Milliarden) und Großbritannien (64,7 Milliarden) an fünfter Stelle rangiert. An erster Stelle lagen die USA (127,5 Milliarden) gefolgt von Russland (72,5 Milliarden). Dabei ist China, das keine Zahlen über seine Waffenexporte herausgibt, noch gar nicht mit aufgeführt. Krauses Schlussfolgerung: Die Behauptung, Deutschland sei mehr oder weniger dauerhaft der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, sei als „irreführend" einzustufen. Zähle man Chinas Exporte mit, käme Deutschland sogar nur auf einen sechsten Platz.
Die Zahlengrundlage hat Löcher
Auch mit der Aussage von Rüstungskritikern, Deutschland sei einer der führenden Exporteure von Kleinwaffen und rüste damit Bürgerkriegsparteien im Sudan, in Libyen oder in Syrien aus, setzt sich der Politikwissenschaftler kritisch auseinander. Tatsächlich rangieren die Deutschen gemäß den Daten, die von den Vereinten Nationen erhoben werden, beim internationalen Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen an dritter Stelle. 2014 waren Leichtwaffen im Wert von mehr als sechs Milliarden Dollar im Handel. Laut der Statistik sind Deutschland, Italien und die USA die Länder, die pro Jahr für mehr als 500 Millionen Dollar Kleinwaffen exportieren, gefolgt von einer Gruppe von 13 weiteren Staaten, die mit Waffen zwischen 100 und 500 Millionen Dollar handeln.
Soweit das Ergebnis, das aus den offiziell an die Vereinten Nationen gelieferten Daten hervorgeht. Doch zum einen werden von vielen Staaten Kleinwaffentransfers gar nicht gemeldet – das trifft vor allem auf China, Russland und den Iran zu. Zum anderen sind in den deutschen Tansfers auch Sport-, Jagd- und Polizeiwaffen enthalten. Und zum Dritten wird ein nicht unwesentlicher Teil der Leichtwaffengeschäfte auf grauen oder schwarzen Märkten abgewickelt. So tauchten seit 1989 immer wieder große Pakete Waffenlieferungen auf, die per Luftfracht aus den Nachfolgestaaten des Warschauer Pakts in alle möglichen Ländern geflogen wurden.
Kalaschnikow statt G3
Das hat auch dazu geführt, dass bei Gewehren, Pistolen und Maschinengewehren überwiegend Waffen mit Kalibern verbreitet sind, wie sie typisch in den Warschauer-Pakt-Staaten waren oder in China sind. Besonders die Kalaschnikow hat heute als Standardgewehr schon seit Langem das G3-Sturmgewehr von Heckler & Koch abgelöst.
Das war einmal anders. Deutschland hat als Waffenexporteur von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre das G3-Gewehr nicht nur in großen Mengen produziert und exportiert, sondern auch in 15 Drittländern Lizenzen zur Produktion erteilt, unter anderem dem Sudan. Damals wurde es mit sieben Millionen Stück zu einem der am meisten produzierten Sturmgewehre der Welt (zum Vergleich: amerikanische M16: zwölf Millionen, russische Kalaschnikow: 100 Millionen). Heute ist die Bundesregierung vorsichtiger geworden. Heckler & Koch stellt das G3-Sturmgewehr nicht mehr her.
Insgesamt, sagt Krause, sei die Behauptung, Deutschland sei einer der größten Lieferanten von Kleinwaffen in den Nahen und Mittleren Osten, nach Asien oder nach Afrika, schlichtweg falsch. Auch bei den gegenwärtigen Konflikten gehe es nicht um deutsche Waffen, sondern um chinesische oder um Überschussbestände aus den Warschauer-Pakt-Staaten und Vietnam. Der IS kämpfe mit erbeuteten Waffen der irakischen Armee oder mit US-amerikanischen. Einzig die kurdischen Peschmerga in Nord-Irak haben Waffen aus den Beständen der Bundeswehr erhalten.
Deutschland – das bleibt festzuhalten – gehört zu den zehn größten Exporteuren von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Das meiste sind Kriegsschiffe, gepanzerte Fahrzeuge, U-Boote, also teure Großwaffensysteme mit aufwendiger Technik. Die Bundesregierung schwört auf Transparenz, muss sich aber wie zuletzt immer wieder vorwerfen lassen, auch den Nato-Partner Türkei, der in den Syrienkrieg eingriff, mit Waffen zu versorgen. Auch wenn er schon viel früher geliefert wurde: Das Bild eines Leopard-Panzers im Kurdengebiet Nord-Syriens lässt die Emotionen sofort wieder hochkochen und wirkt mehr als tausend Argumente.
Deutsche Waffen? Kein Politiker geht damit vor die Mikrofone und traut sich, eine klärende Stellungnahme abzugeben. Denn, so Krauses Fazit: „Kein anderes Volk leidet mehr an seinen Rüstungsexporten als die Deutschen."