Jede achte Frau ist irgendwann davon betroffen: Brustkrebs. Doch die Heilungschancen sind gut und werden immer besser, weil wir immer mehr wissen über die Krankheit. FORUM Gesundheit hat Forscher im Deutschen Krebsforschungszentrum getroffen, die mit ihrer Arbeit den Kampf der Wissenschaft gegen den Krebs voranbringen.
Brustkrebs, das Mammakarzinom, ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen weltweit. Zwar kriegen auch Männer so etwas, denn auch sie besitzen das krebsanfällige Milchdrüsengewebe, aber Frauen sind hundert Mal häufiger betroffen. Unter den 35- bis 45-jährigen Frauen in Deutschland ist Brustkrebs sogar die häufigste Todesursache. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Immer bessere Diagnosemethoden und immer wirkungsvollere Therapien haben in den vergangenen Jahren für ein ständiges Sinken der Sterberate gesorgt. Heute bleiben 85 Prozent der Patientinnen nach ihrer Brustkrebs-OP krebsfrei. Diesen medizinischen Fortschritt verdanken wir der wissenschaftlichen Forschung.
Meilenstein HPV-Entdeckung
Heute ist Krebsforschung eine internationale Angelegenheit. Nicht mehr der geniale Einzelkämpfer, sondern Forscher-Teams und weltweite Kooperationen bringen den Erkenntnisgewinn. In Deutschland spielt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) eine bedeutende Rolle. Hier arbeiten über 3.000 Mitarbeiter, davon über 1.200 Wissenschaftler. Das Heidelberger Institut hat schon bahnbrechende Ergebnisse hervorgebracht. Darunter die Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs meist infolge einer Infektion mit humanen Papilloma-Viren (HPV) entsteht. Dies konnte der Mediziner Prof. Dr. Harald zur Hausen in den 80er Jahren mit seiner Forschungsgruppe nachweisen. Gebärmutterhalskrebs ist bislang die dritthäufigste Krebserkrankung bei Frauen. Die Entdeckung der HPV-Infektion als Ursache ermöglichte die Entwicklung einer Impfung, die seit 2006 verfügbar ist. Mit der HPV-Impfung gibt es nun eine einfache und vielversprechende Maßnahme zur Krebsprävention, die inzwischen nicht nur für Mädchen, sondern auch für Jungen empfohlen wird. Dieses Beispiel zeigt, wie Erkenntnisse der Grundlagenforschung auch nach Jahrzehnten zu konkreten Anwendungen führen können. Harald zur Hausen erhielt 2008 den Nobelpreis.
20 Teams mit Brustkrebs beschäftigt
Ein Großteil der Arbeit im DKFZ konzentriert sich auf die Grundlagenforschung. Als Normalbürger versteht man von den Ergebnissen meist nur Bahnhof. Doch gerade die Grundlagenforschung sorgt dafür, dass die Wissenschaftswelt immer mehr vom Geschehen im menschlichen Körper versteht. Wie funktioniert unser Immunsystem? Wie entsteht Krebs? Wie verbreitet er sich im Körper? Wie tricksen die Krebszellen das Immunsystem aus? Jede Forschungsarbeit bringt die Medizin ein kleines Stück weiter.
Eine spezielle Brustkrebs-Forschungsabteilung hat das DKFZ allerdings nicht. Es würde die Arbeit zu sehr einengen. Stattdessen kümmern sich viele Teams darum. „Am DKFZ forschen etwa 20 Gruppen im Bereich Brustkrebs", erklärt Prof. Dr. Sven Diederichs, Leiter der Abteilung „RNA-Biologie & Krebs". „Viele Abteilungen überschneiden sich in diesem Bereich oder streifen zumindest das Thema." So versuchen die Forscher, die Geheimnisse des Mammakarzinoms aus verschiedenen Blickwinkeln aufzuspüren.
Rätsel der „überflüssigen" Gen-Bausteine
Der Molekularbiologe Prof. Dr. Sven Diederichs zum Beispiel leitet eine zehnköpfige Gruppe, darunter auch Bioinformatiker. Letztere sind auf die Verarbeitung der riesigen Datenmengen unserer Erbinformation spezialisiert. Informationen, wie sie zum Beispiel in der RNA codiert werden. RNA ist das internationale Kürzel für Ribonukleinsäure. „Neue Einblicke in die RNA-Biologie haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet, in dem RNAs als funktionell bedeutsame Moleküle wahrgenommen werden." RNA wird in unseren Körperzellen für die Herstellung von Proteinen (Eiweißstoffen) benötigt. Dazu überträgt jede RNA einen bestimmten Abschnitt aus dem Erbgut des Zellkerns, der DNA (Desoxyribonukleinsäure), wie eine Art Abschrift. Die Abschrift dient jeweils als Bauplan für ein bestimmtes Protein. Das ist seit Langem bekannt. Doch von welchem Paradigmenwechsel spricht Diederichs? „Es gibt viel mehr RNA als zur Eiweißproduktion nötig. Im Humangenom stecken viel mehr Informationen. Drei Milliarden Basenpaare. Zwei Prozent reichen aber, um alle Eiweiße herzustellen." Jedoch werden nicht nur diese zwei Prozent, sondern mindestens 70 Prozent der DNA als RNA abgeschrieben. Die Frage, der Diederichs zusammen mit weiteren Forschern weltweit nachgeht: „Warum macht die Natur so was?" Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass unser Körper diese vielen Informationen nicht einfach so zum Spaß in RNA umschreibt und sie von Generation zu Generation weitervererbt. Die Grundannahme der Forscher: Auch diese sogenannten nichtcodierenden RNA haben wichtige Funktionen. Nur welche? Sven Diederichs gehört zu denen, die das gerade herausfinden. Und einige der neu gewonnenen Erkenntnisse haben etwa mit Krebs zu tun, auch mit Brustkrebs. Zum Beispiel ein nichtcodierendes RNA-Molekül namens Malat1. Es ist unabdingbar für die Metastasierung bei Brustkrebs, aber auch bei Lungenkrebs.
„Die dunkle Materie"
Die Entdeckung der wichtigen Funktionen der nichtcodierenden RNAs nennt Diederichs „eine der revolutionärsten Erkenntnisse der letzten Jahre – die dunkle Materie des Krebsgenoms". Jetzt ist das Team von Diederichs gerade sogenannten Mikroproteinen auf der Spur. Winzige Eiweiße aus nur wenigen Aminosäuren. Auch hier kommt wieder die RNA-Forschung ins Spiel. Eine kürzlich erforschte nichtcodierende RNA wurde auf den Namen Casimo1 getauft. An der Forschung ist auch PD Dr. Joachim Rom, Oberarzt der Heidelberger Gynäkologie, beteiligt. Casimo1-RNA findet sich in Brustkrebszellen in besonders hoher Konzentration. Schaltet man das Molekül aus, bremst das die Zellteilung. Denn, so fand das Team von Diederichs heraus, diese vermeintlich nichtcodierende RNA codiert sehr wohl etwas, und zwar ein winziges Eiweißmolekül. Das Casimo1-Mikroprotein. „Wir konnten nachweisen: Ein kleines Mikroprotein aus 83 Aminosäuren ist die funktional aktive Einheit", so Diederichs. Es wird von der Brustkrebszelle zum Wachsen benötigt. „Wir hoffen, diese kleinen Proteine einmal als therapeutische Angriffspunkte nutzen können, indem man sie mit Medikamenten hemmt", erklärt Diederichs. Sein Fazit: „Wir haben eine neue Klasse von Molekülen bei Krebserkrankungen entdeckt."
Im Falle des schon länger bekannten Malat1-Moleküls hat bereits ein Transfer in die Pharmaforschung stattgefunden: Eine Firma entwickelt gerade einen Inhibitor, also einen Wirkstoff, der diese RNA blockieren soll, um Krebsmetastasen zu verhindern. Gut möglich, dass sich daraus ein neuer Ansatz in der medikamentösen Krebsbehandlung entwickelt. Das ist noch Zukunftsmusik. Doch die Entdeckung der Mikroproteine eröffnet ein ganz neues Forschungsfeld, von dem sich die Wissenschaftler zahlreiche neue Erkenntnisse erhoffen.
Auch Prof. Dr. Rocio Sotillo in direkter Nachbarschaft zur Diederichs-Gruppe beschäftigt sich mit Molekularbiologie. Ihre Kooperationseinheit „Molekulare Grundlagen thorakaler Tumoren" erforscht gerade eine Eigenschaft bestimmter Krebszellen, die chromosomale Instabilität (CIN). CIN betrifft die Zellteilung. CIN-Krebszellen sind arzneimittelresistenter, der Patient hat eine geringere Überlebenschance. Das Team von Sotillo arbeitet eng mit der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg zusammen. „Wir suchen nach bestimmten Mustern im Mausmodell", erklärt Sotillo. „In unseren Modellen können wir voraussagen, wie die Tumorzelle auf Therapie reagiert, wie der Tumor sich verändern wird." Dies soll in Zukunft dazu dienen, die Gefährlichkeit von Tumoren früh zu erkennen und die Therapie entsprechend anzupassen.
Die Molekulargenetikerin Prof. Dr. Barbara Burwinkel hat ihr Labor in einem separaten DKFZ-Bau auf dem weitläufigen Heidelberger Campus. Sie leitet die Division „Molekularbiologie des Brustkrebs". Burwinkel: „Molekulare Epidemiologie ist ein spannendes Wissenschaftsgebiet, das den kritischen Bogen zwischen dem Humanen Genomprojekt und der Medizin schlägt." Ihre Grundlagenforschung bereitet den Weg zu besseren Diagnosewerkzeugen, um Krebs früher zu erkennen und genauer zu charakterisieren. Aber auch bei der Krebsprävention und -therapie spielen die Erkenntnisse eine Rolle. „Das Mammografie-Screening ist schon nicht schlecht zur Brustkrebs-Früherkennung", räumt Barbara Burwinkel ein. „Wir starten also auf einem hohen Niveau." Ein großes Potenzial sieht Burwinkel besonders in der Früherkennung von Eierstockkrebs, der oftmals zu spät diagnostiziert werde.
Mit ihrem Team ist sie auf der Suche nach bestimmten Molekülen im Blut, die als Marker dienen für verschiedene Vorhersagen. Darunter das persönliche Brustkrebs-Erkrankungsrisiko. Oder, bei bereits bestehendem Tumor, die frühe Diagnose. Solche Marker sollen auch helfen, die Tumorentwicklung vorauszusagen und das Ansprechen auf bestimmte Therapien. Alles Mittel zu einer immer individuelleren Krebstherapie. Und hier kommen wir wieder zu den RNAs.
„Wir suchen nach Mikro-RNA im Blut als Spuren von Tumorzellen", erklärt Burwinkel. So könnte man noch früher und sicherer Brustkrebs erkennen. Besonders wichtig bei sogenannten triple-negativen Tumorzellen – diese sind schwer therapierbar und müssen so früh erkannt und behandelt werden wie möglich. „Unser Ziel ist, Marker für alle Brustkrebsarten zu finden."
Ein solcher Marker wurde bisher schon im Tumorgewebe selbst entdeckt. Er soll im Zusammenhang mit den klassischen, bereits bekannten Markern in Zukunft die Wahl der wirksamsten Therapie erleichtern. Die Weiterentwicklung hin zu einem Bluttest, der die Immunantwort auf einen beginnenden Tumor anhand solcher Mikro-RNA erkennen kann, könnte nun folgen. Die Ausgründung eines Unternehmens für die Weiterentwicklung dieses Brustkrebs-Tests werde bereits vorbereitet. Noch aber gibt es kein grünes Licht dafür. „Wir validieren gerade die bisherigen Ergebnisse." Wenn alles klappt, wäre das ein weiterer Sieg im Kampf gegen den Brustkrebs. Ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zu immer mehr dauerhaft geheilten Patientinnen.