Et voilà: Wer Käse und Weine aus Frankreich schätzt, kennt das „Maître Philippe & Filles" vielleicht noch aus der Zeit vor dem Namenszusatz. Die „Filles" Anaïs und Noémie setzen in dem französischen Familienunternehmen seit einigen Jahren neue Akzente. Sie erweiterten das Sortiment um Sardinen und portugiesische Weine und brachten den Onlinehandel so richtig in Schwung.
Die Geschichte von „Maître Philippe & Filles" lässt sich an der Raumfolge des französischen Feinkost-
geschäftes ablesen. „Als unser Vater 1994 eröffnete, gab es nur den vorderen Raum mit der Käsetheke. Während er dort renovierte, ergab sich schon die Möglichkeit, den mittleren Raum dazuzubekommen", erzählt Anaïs Causse, mit 39 Jahren die ältere der beiden Töchter von Philippe Causse. Dort fanden vor allem Weine ihren Platz. 2012 schließlich kam das „Sardinenzimmer" dazu. Damit wären die drei Grundfesten, auf denen das Familienunternehmen für die genüssliche Lebensart steht, umrissen: Käse, Wein, Sardinen. Plus die eine oder andere mediterrane Leckerei, nicht nur aus Frankreich: Würste, Pasteten, Oliven, Öle, Nüsse, Trockenfrüchte.
Wir gruppieren uns mit einer Häppchen-Auswahl um den Stehtisch im gut gekühlten Durchgangsraum herum. „Herzwurst", frische Oliven, Rohmilchkäse von Kuh und Ziege, ein paar Scheiben Brot von „The Bread Station" stehen darauf. Rücken immer mal wieder zur Seite, wenn ein Kunde einen bestimmten Wein sucht oder Mitarbeiterin Sarah und Mitarbeiter Jens ins Lager müssen. Wir bekommen noch mehr kleine Naschereien gereicht, als Anaïs Causse noch rasch einige Piemonteser Haselnüsse holt. „Die heißen Tonda Gentile Trilobata", erklärt sie. „Ist das nicht ein schöner Name?" Auf gut Deutsch heißt das: Die „netten, runden Dreibäuchigen". So sehen die Früchte dieser autochthonen, nur im Piemont wachsenden Sorte mit den Einkerbungen auf dem kugeligen „Bauch" aus. Und so vollmundig nussig schmecken sie auch – wir ahnen, wie gutes Nougat zustandekommt.
„Ich bin körperlich abhängig davon", bekennt Anaïs Causse lachend. „Ich habe immer das Bedürfnis, damit in den Tag zu starten." Gut, dass es erst 11 Uhr ist! Allerdings ist „Maître Philippe" da schon ein Stündchen geöffnet, und die „Filles" und ihre Mitarbeiter haben zuvor einiges vorbereitet. Während die ältere Tochter ihren Arbeitsschwerpunkt ganz analog im Laden hat und vor allem mittags hinter der Theke steht, ist der Arbeitsplatz von Noémie Causse vorrangig digital und durchgängig geöffnet: Sie baute den Onlinehandel aus und zwar so erfolgreich, dass Mitarbeiter Yerkin allein fürs Zusammenstellen und den Versand der Pakete zuständig ist. „Papa ist zwischen Geschäft und Onlineshop der Joker", sagt Noémie Causse. „Er ist so richtig HTML der ersten Generation." Philippe Causse hatte schon eine Webseite gebaut, als andere noch lange nicht daran dachten.
Immer wieder bei den Lieferanten vor Ort
Er erkannte die Sehnsucht der Berliner nach französischem Wein, Käse und Lebensgefühl. Ersteren verkaufte er schon im Vorgänger von „Maître Philippe", dem Weinhandel „Viniculture", mit Erfolg. Er stellte fest, dass der Onlineshop neue kulinarische Urlaubsbekanntschaften überall verfügbar machen würde. Fischkonserven wie die Sardinenbüchsen aus Frankreich und Portugal etwa. Sie machen inzwischen sogar die Hälfte des Onlinegeschäftes aus, sagt Noémie Causse. „Wir verbinden das Traditionsgeschäft mit dem Onlinehandel." Die einen lassen sich beim Blick ins Regal auf die Zutaten oder die oft künstlerisch gestalteten Dosen verführen. Die mediterranen Fische haben rein gar nichts mit der üblichen deutschen Supermarkt-Sardine zu tun: Beste Sardinen-Qualität wird in Familienunternehmen vor Ort und von Hand in feinstem Olivenöl eingelegt. Sie dürfen häufig als „Jahrgangssardinen" wie Wein reifen. Oder sie werden mit schmackhaften Beigaben eingedost: „Die Tapenade befindet sich unter dem Fisch", verrät mir Anaïs Causse später bei der Auswahl für meine eigenen Vorräte. „Sonst sähe das mit so einer Paste aus schwarzen Oliven beim Öffnen der Dose nicht so schön aus." Den Laden verlasse ich mit einem Stapel Sardinenbüchsen – 2015ern und 2016ern von Mouettes d’Arvor, von Quiberonnaise und Perle des Dieux. Neben den puren auch mit solchen, die mit Tomaten, Orangen oder mit Piment d’Espelette und Zitronen eingelegt sind.
Ein Becher Oliven muss ebenfalls mit. Ich habe mich auf den ersten Biss in die großen, grünen „Picholines" aus dem Minervois nahe Carcassonne verliebt. Ich schmecke Baum, Öl, Sommer, feste Frucht und einen kleinen Rest der Salzlake, die die länglichen Oliven benetzt. Die kleineren, halbreif geernteten „Niçoise" sind noch prägnanter im Geschmack und werden auf die „Kaufen!"-Liste fürs nächste Mal gesetzt. Ganz gleich, ob Nüsse, Käse oder Oliven – beide „Filles" kennen die Besonderheiten und Geschichten ihrer Produkte. Sind immer wieder bei ihren Lieferanten vor Ort. Die sind genauso bedachte Genießer wie sie und machen sich viele Gedanken über Qualität und Herstellungsweise ihrer Produkte. So fand beispielsweise die „Herzwurst", wie wir die „Jesus Basque"-Salami nach ihrem Querschnitt salopp bezeichnen, aus den französischen Pyrenäen ihren Weg ins Geschäft. Weil sie intensiv schmeckt, einen guten Biss hat und nur so und nicht anders von der Familie Mayté seit Jahr und Tag hergestellt wird: „Ich mag die klar kenntliche Struktur und dass das Fleisch nicht bis zur Unkenntnis zerhackt wurde", sagt Anaïs Causse. „Zu meinem Einstieg ins Geschäft vor zehn Jahren bin ich drei Wochen lang zu unseren Hauptlieferanten gereist. Das war eine der tollsten Reisen meines Lebens." Vor zehn Jahren entschied sie sich dazu, in das väterliche Geschäft einzusteigen. Gastronomie-Erfahrung, ein abgebrochenes geisteswissenschaftliches Studium, eine abgeschlossene Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie bei „Butter Lindner" sowie sechs Jahre Berufserfahrung in deren Catering-Abteilung hatte sie da schon hinter sich. „Ich bin ein haptischer Mensch, mache gerne Sachen und fasse sie an", stellte sie fest. Eigentlich hätte sie nur auf sich selbst hören müssen: „Ich habe schon als Kind gesagt: ‚Ich verkaufe später bei Papa im Geschäft.‘" Bei der zwei Jahre jüngeren Noémie Causse sah das anders aus: Studium der Kulturwissenschaften, Bachelor, Master, Arbeit in der Kultur- und Kreativwirtschaftsförderung. „Die Uni war genau mein Ding", sagt Noémie Causse. „Ich habe nie gesagt, dass ich mit Papa arbeiten will und wollte das auch nie, bis ich 32 war." Die Sinnfrage nach einigen Berufsjahren und der Anstupser eines Freundes brachten sie schließlich in die familiäre Spur. Allerdings mit eigener Prägung und dem Fokus auf das Online-Geschäft und die Kommunikation. „Anaïs fand das gut und Papa auch." Versteht sich, dass auch Fotos und ein Video für die eigenen Facebook- und Instagram-Kanäle entstehen, während Anaïs Causse für den Fotografen Käse schneidet. Noémie Causse gab auch den Impuls, portugiesische Weine von jüngeren Winzern zu vertreiben, die ihre autochthonen Rebsorten inzwischen lieber selbst ausbauen und sie nicht mehr an die großen Häuser verkaufen.
„Wir haben die zauberhaftesten Kunden"
Was den „Filles" und dem Papa schmeckt, wird gern verkauft. Der „Maître" zieht sich mit 66 Jahren nun zunehmend zurück; die „Filles" haben beinah komplett übernommen. Als das Unternehmen vor vier Jahren umfirmierte, kam das bei den Kunden gut an. „Wir haben sowieso die zauberhaftesten Kunden", sagt Anaïs Causse. „Sie fragen sofort, wo unsere Mitarbeiter sind, wenn mal jemand im Urlaub ist." Vor allem fragen sie nach Käse, Käse und noch mal Käse. Wehe, wenn einmal im Jahr die Lieblingssorte aller Kunden auszugehen droht, weil erst nach Produktion und Reifung mit einer nächsten Lieferung aus dem Jura zu rechnen ist. Dann kommt es zur „Comté-Krise", weiß Anaïs Causse: „Es spielen sich Dramen ab." Hamsterkäufe werden getätigt, nachgefragt, ob nicht doch noch irgendwo ein Stück lagert. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Anaïs Causse einen Laib mit der grünen Banderole und Glocke, die die „Extra"-Qualitätsstufe ausweist, von hinten holen kann und in die Theke stemmt. 40 Kilo schwer ist so ein Laib. „Der wiegt so viel wie ein kleines Kind", sagt der Fotograf. „Das ist unser tägliches Work-out", sagt Anaïs Causse. Wir dürfen auch von kleineren Laiben kosten. Von einem „Abondance" aus Savoyen, einem sechs Monate jungen Bergkäse aus Kuh-Rohmilch. Der Affineur Paccard gab ihm eine leicht rot geschmierte Rinde mit auf den Weg. Ein „Pélardon"-Taler aus den Cevennen überrascht mit würziger Note. Er ist, obwohl aus Ziegen-Rohmilch hergestellt, so gar nicht zickig im Ausdruck. Der kleine Käse, ein lebendiger Organismus, reifte länger vor Ort nach. „Unsere Kunden mögen das mit den unterschiedlichen Reifegraden", sagt Anaïs Causse. Die „Filles" haben sich längst denselben Ruf wie ihr Vater erarbeitet. Auch in der Gastronomie. Wer etwas auf sich hält, bezieht seinen französischen Käse für den Wagen und fürs „Danach" bei „Maître Philippe & Filles". 50 Sorten sind regelmäßig, je nach Saison variierend, im Sortiment. Um die 1.000 Produkte finden frankophile Feinschmecker im Geschäft vor. Der Käse ist das Wichtigste. Nur die Fischkonserven laufen ihm den Rang ab – 100 Sorten liegen in den Regalen. Sie bekamen mit dem „Sardinenzimmer" 2012 ihren eigenen Raum. Wieder einmal wurde ein Ladenlokal nebenan frei. „Maître Philippe" konnte erneut expandieren. „Das war in dem Jahr, in dem Rosalie zur Welt kam", ruft uns Anaïs Causse zu. Es wächst die nächste „Fille" im Hause Causse heran. Ob Rosalie den Weg von Mutter Anaïs und Tante Noémie beschreiten und welchen eigenen Dreh sie dem wandlungsfähigen Traditionsgeschäft geben will, wird sich also innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre definitiv wieder einmal zeigen.