In einer Saison kommen sie auf den Berliner Gewässern auf gut 2.500 Einsätze, die freiwilligen Retter von DRK und DLRG. Ohne die Ehrenamtlichen wäre Wassersport in Berlin unmöglich, doch wirklich gedankt wird ihnen das nicht.
Sonntagmorgen, 6 Uhr früh, die Sonne taucht die Havel am Breitehorn, gegenüber der Insel Lindwerder, in ein rötlich gleißendes Licht. Der Spandauer Ortsteil Hohengatow schläft noch tief und fest, nur in dem quadratischen Blockhaus direkt am Wasser ist schon Bewegung. Die 27-jährige DRK-Wachleiterin Eva Adams hat sich über eine kleine Leiter aus ihrer Koje direkt unterm Dach auf nach draußen gemacht. Ihr erster Gang geht über den kleinen Weg zum Steg der Wasserwacht Breitehorn. Dort liegt das Buglappenboot der DRK-Wasserwacht. Oben am Fahnenmast flattert die weiße Fahne mit dem blauen Boot und dem roten Kreuz in der Mitte. Der 150 PS starke Außenbordmotor wird ins Wasser gelassen, die Rettungswesten bereitgelegt. Knapp drei Stunden vor dem offiziellen Dienstbeginn meldet Eva über Funk: „Breitehorn ist einsatzbereit".
Dann geht’s in die Wachstube, Rechner hochfahren und den Wetterbericht studieren. Für diesen Sonntag ist Königswetter angekündigt: wolkenloser blauer Himmel, Ostwind mit Windstärke vier bis fünf, in Spitzenböen mit sechs, Luftfeuchtigkeit 47 Prozent, dazu 26 Grad. Ideales Segelwetter, aber nicht unbedingt für Anfänger. Denn die Wassertemperatur liegt im Bereich Havel/Wannsee bei 15, vielleicht 16 Grad. Wer da reinfällt, kühlt schnell aus. Aber nicht nur Segelanfänger werden heute für Hektik sorgen, dazu kommen noch die Spaßwassersportler, die mit Mietbooten unterwegs sind und nachher ebenfalls für den ein oder anderen Einsatz sorgen werden.
Doch jetzt bereitet die Wachleiterin vom Breitehorn in Hohengatow erst mal das Frühstück vor. Ihre Kameradin Antonia, die mit ihr zusammen die Nacht in der Wasserrettungsstation verbracht hat, liegt noch in den Federn. „Die Kleine hat einen absolut gesunden Schlaf, selbst den Notfallpieper hat sie schon überschlafen", erzählt Eva lachend beim Kaffeekochen. Das will die 16-jährige Antonia nicht auf sich sitzen lassen und krabbelt verschlafen aus ihrer Koje unterm Dach.
Zur gleichen Zeit gut fünf Kilometer die Havel hinauf an der DRK-Wasserrettungsstation Wannsee, an der Halbinsel Schwanenwerder gelegen, zwischen Jachtclub und Strandbad. Dort ist zu dieser frühen Stunde der 21-jährige Dennis schon auf Wache. Er hat die Rechner ebenfalls hochgefahren und sich per Funk bei der Berliner Feuerwehr angemeldet. Nun studiert er noch den Wetterbericht. Er ist der Funker, hat den Bereich Wannsee/Unterhavel im Blick, denn in der DRK-Wasserrettungsstation Wannsee ist die Funkleitstelle. Hier werden die Einsätze koordiniert und im Zweifelsfall mit der Einsatzleitung abgesprochen. „Aber sehr viele Einsätze machen wir hier allein, die Einsatzleitung hat Vertrauen zu uns", murmelt Dennis noch etwas müde vor sich hin.
„Breitehorn ist einsatzbereit"
Wobei die Wannseer nicht nur auf dem Wasser, sondern auch mal im benachbarten Strandbad als Notfallsanitäter aushelfen. Erst letzten Sonntag wurden sie zu einem allergischen Schock gerufen ‒ akute Atemnot, die DRK-Retter verhinderten Schlimmeres, der Notarzt der Feuerwehr übernahm dann den Fall. „In solchen Fällen geht es immer um Minuten, wenn nicht Sekunden. Gerade Sauerstoffmangel kann verheerende Auswirkungen haben", erzählt Dennis. Er hat die Soforthilfe am vergangenen Wochenende per Funk koordiniert. Feuerwehr und Polizei wissen sehr genau um den Wert der freiwilligen Helfer von DRK und DLRG auf und am Wasser. Aus diesem Grund sind die Ehrenamtlichen auch in den BOS-Rettungsfunk eingegliedert, sind also im Notfall gleichberechtigte Partner.
Nach dem Frühstück sind die ersten Segelboote unterwegs. Schon von Weitem erkennen die Wasserretter, ob da ein Bootsführer sein Handwerk versteht oder nicht. Funker Dennis hat in seiner Leitstelle alles im Blick. Seine Motivation, einen Sonntag bei strahlend blauem Himmel im Funk-Kabuff und nicht am Strand zu verbringen, kann er gar nicht so einfach erklären. „Mein Interesse lag schon immer beim Blaulicht, schon im Kinderwagen hab’ ich laut meiner Mutter glänzende Augen beim Tatütata bekommen", sagt der 21-Jährige und lacht. Im Hauptberuf ist er konsequenterweise auch „was mit Blaulicht" geworden, Rettungssanitäter auf einem Krankenwagen, von Montag bis Sonntag – Blaulicht.
Die Wannseer schicken an diesem frühen Vormittag ein kleines Motorboot raus. „Wir wollen einfach mal ‚Guten Morgen‘ sagen und Präsenz zeigen, das ist wichtig", erklärt der 31-jährige Wachleiter Frank. Nebenbei studiert er Wirtschafts-Kommunikation, zur Wasserrettung ist er nicht durchs Blaulicht, sondern den Sport gekommen. „Das Ehrenamt tut sein Übriges, ich helfe gern, und obendrein sind wir hier den ganzen Tag draußen an der frischen Luft, entweder auf oder im Wasser."
Jetzt steht aber erstmal eine Schulung an. Die ruhigen Vormittagsstunden werden immer zur Fortbildung genutzt, heute geht es um den Schock bei Verunglückten.
Havelabwärts bei den Wasserrettern Breitehorn hat die 16-jährige Antonia ihre Schulung absolviert: Knoten binden. Acht verschiedene muss sie zur Prüfung können. Kreuz- und Achtknoten erklären sich fast noch von selbst, aber beim doppelten Schottsteg oder Rundtörn mit zwei halben Schlägen wird es kompliziert. Doch die Schulung ist überstanden, und Wachleiterin Eva ist mit ihrem Team jetzt wieder unterwegs. Die Fahrt geht Richtung Spandau, der Ostwind hat gegen 12 Uhr aufgefrischt, auf dem großen Bugklappenboot merkt man wenig von den 27 Grad. In Höhe Grunewaldturm hat es den ersten Segler erwischt, eine Windböe ist voll rein ins Hauptsegel, der Kahn liegt auf dem Wasser. Die Retter vom dritten DRK Wasserrettungs-Stützpunkt Alt-Gatow sind bereits da, nun muss das Boot wieder aufgerichtet werden, Schlimmeres ist nicht geschehen. „Das ist ein ganz klassischer Einsatz für uns, absolute Routine, solange niemand unterm Boot ist", erzählt Eva, die im Hauptberuf als Referentin arbeitet, auch beim DRK. Schwierig wird es, wenn eine Person im Wasser verschwindet. „Dann heißt es, auf das Boot, bei voller Fahrt zum Einsatzort, in den Neoprenanzug rein." Dazu kommt noch die Schutzkappe über dem Kopf, obendrauf den Helm, Schuhe an die Füße. Denn die Suche nach einem Menschen kann gut und gern auch mal zwei Stunden dauern, und das im kalten Wasser.
Nicht nur Arbeit, auch viel Kraft
„Das Anstrengendste ist die Tauchkette", erzählt Eva. „Da sind wir bis zu zehn Retter im Wasser in einer Reihe, dicht an dicht. Jeder taucht an seiner Stelle bis zu vier Meter tief ohne Atemkompressor zum Grund und sucht dort nach der vermissten Person. Wenn er hochkommt, schwimmt er ans Ende der Kette und wartet auf seinen nächsten Tauchgang." Das geht so lang, bis die Taucher mit Druckluft vom DRK, der Feuerwehr oder Polizei an Ort und Stelle sind. Darum ist für die Wasserretter das Deutsche Rettungsschwimmabzeichen in Silber Pflicht. Die Anforderungen sind sportlich, aber machbar, unter anderem gehören dazu: 400 Meter Schwimmen in 15 Minuten, 50 Meter Transportschwimmen in 1:30 Minuten und ein Sprung aus drei Metern Höhe ins Wasser. Die meisten Bewerber scheitern aber dann beim Tauchen: 25 Meter Streckentauchen, eine halbe Sportbadbahn, kann man noch trainieren. Aber fünf Meter Tieftauchen, dreimal in drei Minuten und jedes Mal einen fünf Kilogramm schweren Tauchring nach oben holen, da geht’s dann schon ans Körperliche. Die Bewerber dürfen auch keinerlei Probleme mit den Ohren oder der Nase haben. Damit die Retter auch immer schön in Form bleiben, wird die Lebensrettung immer und immer wieder trainiert. Vor allem die aus dem Wasser Geborgenen an Bord des Schiffes zu bekommen, ist eine Sache für sich. Beim Bugklappenboot, mit dem sie heute unterwegs waren, ist es mit ein bisschen Übung gut machbar. Aber es gibt auch noch die kleineren Motorboote ohne die Klappe vorn. Einen bewusstlosen 90-Kilo-Mann über die Planken aufs Schiff zu bekommen, bedarf neben der Übung auch sehr viel Kraft.
Gegen 19 Uhr geht dieser Wasserwachttag dann zumindest dienstlich zu Ende. Die Neoprenanzüge müssen noch ausgewaschen, der Rest der Ausrüstung zum Trocknen aufgehängt werden. Funker Dennis kommt heute auf insgesamt 21 Einsätze, ganz normales Mittel an einem Sommersonntag auf Unterhavel und Wannsee.
Nach dem Aufräumen steht nun noch das Schönste bevor, gemeinsam Grillen am Strand und den Sonnenuntergang genießen. Neben den vielen „Dankeschöns" der Leute auf dem Wasser, denen man im Kleinen wie im Großen hat helfen können, ist dies vielleicht der schönste Dank der Natur. Denn eines darf man nicht vergessen: Alle Wasserretter sind ehrenamtlich unterwegs, die außer einer kleinen Fahrtkostenpauschale nichts für ihren Wochenenddienst bekommen.