Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach freut sich über mehr Studienanfänger. Er spricht über Hochschulen als Wirtschaftsfaktor, das Desaster mit der Lehrerausbildung und die dringend nötige Bafög-Erhöhung.
Herr Krach, immer mehr Menschen studieren: 2005 waren es 37 Prozent der Schulabgänger, jetzt sind es mehr als die Hälfte. Brauchen wir
so viele Akademiker?
In Berlin ist die Zahl der Studierenden tatsächlich extrem gestiegen: Wir hatten vor rund zehn Jahren noch rund 135.000, jetzt sind es 188.000 Studierende. Wir könnten noch viel mehr aufnehmen, Bewerbungen gibt es genug.
Ich würde nie sagen: Jeder muss studieren. Ich würde ein Studium auch nicht gegen eine Berufsausbildung ausspielen. Aber: Jeder, der studieren möchte, soll die Möglichkeit dazu bekommen. Deswegen gibt es seit 2005 den Hochschulpakt, der vom Bund und den 16 Ländern gemeinsam beschlossen wurde. Er hatte zum Ziel, mehr Studierende an die Hochschulen zu holen. Wir waren damals unter dem OECD-Durchschnitt – inzwischen haben wir das aufgeholt. Jetzt müssen wir vor allem über die Konsolidierung der Anzahl der Studierenden reden und über Investitionen in die Qualität, also die Verbesserung der Betreuungssituation.
Aber gerade in Berlin ist auf vielen Studiengängen ein Numerus clausus, da reichen die Plätze ja offenbar nicht aus…
Ja, in Berlin zum Beispiel einen Platz für ein Studium der Psychologie oder Medizin zu erhalten, ist extrem schwer. An anderen Orten sind die Chancen höher. Es kann also nicht jeder seinen Lieblingsstudiengang an seinem Lieblingsort studieren. Teils sind die Beschränkungen nicht einfach zu vermitteln, zum Beispiel in der Lehrkräfteausbildung. Dauernd heißt es, wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer, und dann bekommen junge Menschen wegen des NC eine Absage.
Wie erklären Sie das denn?
Wir haben die Lehrkräfteausbildung 15 Jahre komplett verschlafen! Das ist tatsächlich ein absolutes Desaster. Allerdings war vor 15 Jahren noch nicht absehbar, dass sich Berlin zu einer Vier-Millionen-Metropole entwickeln würde. Wir holen das, was versäumt wurde, jetzt nach, aber das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Wir sind dabei, 28 zusätzliche Professuren im Bereich Lehrkräftebildung neu zu besetzen, verdreifachen die Kapazitäten im Grundschulbereich, bauen massiv aus im Gymnasial- und ISS-Bereich (Integrierte Sekundarschule). Aber das löst alles noch nicht die aktuellen Probleme. Raumfrage, Personal, vieles mehr – das geht nicht so schnell. Wir haben beispielsweise über 6.000 Bewerbungen für das Grundschullehramt, aber nur rund 800 Studienplätze. So kommt der NC in der Lehrkräftebildung zustande.
Wie lief denn die Verteilung der Mittel aus dem Hochschulpakt bislang?
Bislang wurden Finanzmittel des Bundes danach verteilt, wie viele zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger im Vergleich zum Jahr 2005 ein Bundesland aufgenommen hat. Berlin zum Beispiel hatte 2005 20.700 Studienanfänger. 2017 waren es 36.700 – rund 16.000 mehr. Für jeden dieser zusätzlichen Studienanfängerinnen und -anfänger bekommen wir rechnerisch etwa10.000 Euro.
Wieviel ist das im Verhältnis zum Gesamtbudget?
Wir geben mit unserem aktuellen Hochschulvertrag aufwachsend bis zum Jahr 2022 rund 1,4 Milliarden Euro an unsere Hochschulen, davon stammen jedes Jahr rund 144 Millionen aus dem Hochschulpakt. Das ist eine absolut relevante Summe, für die ich sehr dankbar bin. Dass man da als Land dem Bund berichten muss, was mit diesem Geld passiert, ist völlig klar.
Was genau ist denn der Hochschulvertrag? Eine Grundfinanzierung?
Wir finanzieren mit dem Hochschulvertrag unter anderem das Personal der Unis und Fachhochschulen. Darin sind die Hochschulpaktgelder integriert. Zusätzlich gibt es den Investitionspakt für die Modernisierung der Infrastruktur. Und dann noch Finanzmittel für Exzellenzforschungsbereiche, die in Bund-Länder-Finanzierung erfolgen, oder über Drittmittel. Die Grundfinanzierung ist also die Basis, die durch die Drittmittel aus dem Wettbewerb ergänzt ird.
Das alles gilt für die staatlichen Hochschulen. Welche Förderung gibt es für die privaten?
Das ist ein laufendes Thema, ich treffe mich auch regelmäßig mit dem Verband der privaten Hochschulen. Die privaten Hochschulen erhalten vom Land Berlin kein Geld, lediglich die evangelische und die katholische Hochschule als konfessionelle Hochschulen bekommen finanzielle Unterstützung. Die privaten Hochschulen erhalten von uns jedoch beispielsweise Unterstützung bei der Vorbereitung für die Akkreditierung vor dem Wissenschaftsrat – das ist kein einfaches Verfahren. Wir haben rund ein Viertel aller privaten Hochschulen, die es in Deutschland gibt, hier in Berlin. Wir sind also ein attraktiver Standort.
Aber sie bringen ja auch ganz viel!
Ja, absolut – die privaten Hochschulen sind eine wunderbare Bereicherung und Ergänzung für das staatliche Wissenschaftssystem. Aber für mich ist auch klar: Private Hochschulen werden privat finanziert, also ohne staatliches Geld. Sie können dafür aber auch Studiengebühren nehmen.
Zurück zu den staatlichen Hochschulen: Der Hochschulpakt wird ja ab 2020 neu ausgerichtet. Was soll sich ändern?
Es ist erstens wichtig, dass der Hochschulpakt unbefristet weitergeht und wir nicht alle vier bis fünf Jahre neu verhandeln. Damit haben die Hochschulen Planungssicherheit und können mehr unbefristete Stellen schaffen. Zweitens wünsche ich mir, dass die Zuwendungen möglichst dynamisiert werden. Das heißt, jedes Jahr eine Erhöhung der Zuschüsse. Wir geben als Land Berlin zum Beispiel jedes Jahr 3,5 Prozent zusätzlich, darüber müssen wir auch mit dem Bund reden. Drittens geht es darum, dass wir in die Qualität investieren und die Betreuungssituation verbessern. Und viertens und mir besonders wichtig: All die in den vergangenen 15 Jahren geschaffenen Studienplätze müssen beim neuen Hochschulpakt berücksichtigt werden, das muss honoriert werden, damit wir am Ende nicht wieder Studienplätze verlieren. Da fangen die Gespräche zwischen Bund und Ländern gerade an. Ich glaube, die werden nicht ganz einfach. Da geht es einerseits um richtig viel Geld, andererseits um komplett unterschiedliche Ausgangssituationen der Bundesländer. Am Ende müssen aber alle 16 Länder und der Bund zustimmen.
Gäbe es alternative Fördermöglichkeiten?
Ja. Ein Hochschulstandort ist auch ein Wirtschaftsfaktor, eine ganze Region profitiert ja von Forschungseinrichtungen mit ihren Top-Arbeitsplätzen. Das Interesse von Siemens, in Berlin einen Wirtschafts- und Wissenschaftscampus zu errichten, ist das beste Beispiel dafür. Bislang sagt die Bundesregierung aber: Forschungspolitik ist keine Strukturförderung, die ist Sache des Wirtschaftsministeriums. Verteilt werden die Gelder also bisher nach Exzellenzkriterien. Da, wo also schon exzellente Einrichtungen sind, wird gefördert. Natürlich könnte man drüber reden, wie Regionen, die bisher wenig profitiert haben, gestärkt werden können.
Also werden einige Regionen immer weiter abgehängt?
Derzeit ja. Aber wir sind ein föderaler Staat, deswegen sollten wir alle Regionen im Blick behalten. Hier in Berlin haben wir mehr als 80 Forschungseinrichtungen, wir profitieren unglaublich von der Bund-Länder-Forschungsförderung. Natürlich wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hierher, hier gibt es Max-Planck-Institute, Helmholtz-, Leibniz-, Fraunhofer-Institute, große Unis, die Charité, das Berliner Institut für Gesundheitsforschung und vieles mehr. Diese Leuchttürme muss man stärken. Aber wir müssen auch ein vernünftiges Verhältnis hinbekommen und auch Regionen unterstützen, die momentan weniger abbekommen.
Apropos Benachteiligung: Auch die Verteilung der Studierenden nach Herkunft ist ja nicht gleichmäßig.
Ja, es kommen mehr junge Menschen an Universitäten. Allerdings nicht unabhängig von deren finanzieller Situation und Herkunft, da haben wir noch großen Nachholbedarf! Die meisten Menschen, die studieren, haben selber akademisch ausgebildete Eltern. Trotz BAföG und Verbot von Studiengebühren.
Woran liegt es dann?
Wir müssen viel früher ansetzen. Die größte Selektion findet schon an den Schulübergängen statt. Wenn man das nicht in den Griff bekommt, hilft einem das beste Bafög-System ebenso wenig wie das Verbot von Studiengebühren. Da müssen Wissenschafts- und Schulpolitiker gemeinsam ran.
Mal davon abgesehen: Mit BAföG auch nur ein WG-Zimmer zu bezahlen funktioniert fast nie. Was tun?
Wir haben eine Bundesratsinitiative gestartet. Wir wollten den Mietzuschuss von 250 auf 300 Euro erhöhen und für Ballungsgebiete nochmal die Möglichkeit schaffen 100 Euro mehr zu bekommen. Das ist im Bundesrat vor allem an CDU- und Grün-geführten Ländern vorerst gescheitert. Aber Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat ja einen eigenen Bafög-Vorschlag angekündigt. Ich würde mich freuen, wenn der schnell käme.
Und wie sieht es nach dem Studium aus? Bildet Berlin die Studenten aus und danach ziehen sie weiter?
Die Arbeitsmarktsituation hat sich ja schon erheblich gebessert. Es gibt hier hervorragende Möglichkeiten, selbst zu gründen und Startups aufzuziehen. Auch im öffentlichen Bereich wird besser bezahlt, wir arbeiten weiter hart für die Angleichung an andere Bundesländer, denn wir wollen die Leute hierbehalten. Und ich bin sicher, Berlin ist bereits jetzt so attraktiv, dass viele bleiben.