In Baden-Württemberg können Studenten dank der Dualen Hochschule schon während ihres Studiums ein Gehalt bekommen – andere wiederum müssen an privaten Hochschulen viel Geld zahlen. Ein Vergleich unterschiedlicher Konzepte.
Kevin Rohrscheidt reist regelmäßig um die Welt. Für seinen Arbeitgeber, die Daimler-Tochter AMG, ist er im Moment in Johannesburg unterwegs. Schon in jungen Jahren hat er eine Position, die jemand, der von einer klassischen Universität gekommen wäre, vielleicht nicht so schnell erreicht hätte. Der Schwabe profitiert von einer großen Praxiserfahrung, die er schon während des Studiums sammelte.
Kevin Rohrscheidt studierte International Business mit Vertiefung in International Marketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Stuttgart in Kooperation mit der Adidas AG in Herzogenaurach. Was zunächst etwas hölzern klingt, ist Teil eines klassischen Konzepts, in dem Baden-Württemberg Vorreiter war. Für Rohrscheidt war die Möglichkeit, an der DHBW zu studieren, perfekt, wie er sagt: „Ich war schon immer sehr marketingbegeistert und durch meinen internationalen Hintergrund, dadurch, dass ich fünf Jahre auf Ibiza gelebt habe, war Adidas als international aufgestelltes Unternehmen ein idealer Fit", sagt er. „Das hat super zu mir gepasst." Auch an klassischen Universitäten schaute sich Rohrscheidt nach dem Abitur um, schnell wurde ihm aber klar, dass die Duale Hochschule ihm das bieten würde, was er gesucht hatte: „Ich habe mich vor allem aufgrund der Mischung aus Praxis und Theorie für das DHBW-Studium entschieden. Dabei noch ein Gehalt zu bekommen ist natürlich super, da man früh unabhängig ist."
Rund 1.100 Euro bekam Rohrscheidt während seines Studiums bereits. Ein Ausbildungsgehalt, von dem manche Friseure, Kaufleute oder Krankenpfleger nur träumen können. Ob die Bezahlung am Ende den Ausschlag für das Studium gegeben hat? „Ich würde sagen, dass es bei den meisten keine Rolle gespielt hat, für mich selbst war allerdings genau das zu der Zeit der Fall. Ich hätte ansonsten wohl eher eine Ausbildung gemacht", gibt Rohrscheidt zu, der selbst nicht aus armen Verhältnissen stammt.
Mischung aus Theorie und Praxis
Dennoch trägt das Duale System in Baden-Württemberg bei vielen dazu bei, als erstes Familienmitglied eine akademische Laufbahn einzuschlagen, wie der Sprecher der DHBW, Florian Krüger, sagt: „Die Vergütung trägt auch zur sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystems bei, da sie vielen exzellenten Studienpionieren als erstem in ihrer Familie ein Hochschulstudium ermöglicht", sagt er. Die Duale Hochschule hat derzeit rund 34.000 Studenten – eine hohe Zahl, die auch durch den Köder „Ausbildungsgehalt" zustandekommt. „Wettbewerb gibt es zwischen den Bildungseinrichtungen", gibt Florian Krüger zu. „Das duale Modell ist so attraktiv, dass das am Wachsen ist." Dabei bewerben sich die Studenten nicht an der Hochschule selbst oder schreiben sich einfach ein, wie es an Universitäten der Fall ist. Sondern sie bewerben sich direkt bei einem der 9.000 dualen Partner aus Industrie und Gesellschaft, die mit den unterschiedlichen Standorten der Hochschule kooperieren, die in ganz Baden-Württemberg verteilt sind. Dieses System sorgt für eine hohe Erfolgsquote im Studium, sagt Krüger. Denn die Unternehmen suchen sich jene Studenten aus, die perfekt zu ihnen passen: „Acht von zehn beenden ihr Studium in der Regelstudienzeit." Als staatliche Hochschule verlangt die DHBW keine Studiengebühren, die Vergütung bewegt sich im Rahmen einer klassischen Ausbildungsvergütung in der jeweiligen Branche.
Das duale Konzept ist das zentrale Merkmal der DHBW, an der die Studenten in wechselnden Theorie- und Praxisphasen ihren Bachelor machen. „Das läuft bei uns immer en bloc", sagt Florian Krüger. Im Dreimonatswechsel haben die Studenten Theorie- und Praxisphasen. Semesterferien gibt es deshalb nicht, dafür haben die jungen Menschen Urlaub, wie andere Angestellte auch. Der Wechsel zwischen Theorie und Praxis ist auch in Sachen Inhalte eng aufeinander abgestimmt. Aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft fließen in die Lehrpläne mit ein. Die in den Praxisphasen erbrachten Leistungen sind integrativer Bestandteil des Studiums. Diese starke Praxisorientierung ist neben der Vergütung ein weiterer Anreiz für Schulabgänger, sich für die DHBW zu entscheiden – und sie führt zu einer hohen Erfolgsquote, sagt Krüger, der festgestellt hat, dass die Studienabgänger dank der Praxiserfahrung auch eine größere Jobsicherheit haben. „85 Prozent haben nach dem Studium schon einen festen Arbeitsvertrag vorliegen", sagt er.
Probleme, Studenten zu gewinnen hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg dank ihres Systems also freilich nicht. Mit mehr als 160.000 Alumni ist sie die größte Hochschule in Baden-Württemberg mit Standorten in Heidenheim, Heilbronn, Karlsruhe, Lörrach, Mannheim, Mosbach, Bad Mergentheim, Stuttgart, Horb, Ravensburg, Friedrichshafen und Villingen-Schwenningen. Rund 9.000 duale Partner sind mit im Boot. Die DHBW bietet in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Sozialwesen und Gesundheit 100 Studienrichtungen an. Der Ursprung der DHBW reicht bis in die frühen 70er-Jahre zurück. Damals initiierten die Unternehmen Daimler-Benz, Bosch und SEL – heute Alcatel-Lucent – das „Stuttgarter Modell". Es sollte der Vorläufer der sogenannten Berufsakademien werden, mit denen es sich die Initiatoren zum Ziel gesetzt hatten, eine praxisnahe Alternative zum klassischen Studium zu schaffen. Unternehmen sollten die Möglichkeit bekommen, Nachwuchskräfte auf Hochschulniveau und maßgeschneidert auf die eigenen Anforderungen qualifizieren zu können. Damals drohte ein Mangel an gut ausgebildeten Nachwuchskräften. Mit dem neuen Modell wollte die Wirtschaft dem entgegensteuern. Gründerakademien waren die Berufsakademie Stuttgart und die Berufsakademie in Mannheim, am 1. Oktober 1974 ihren Studienbetrieb aufnahmen. Mit der Umwandlung der Berufsakademie in die Duale Hochschule Baden-Württemberg im Jahr 2009 hatte das Land dem dualen Studienmodell nach rund 35 Jahren die hochschulrechtliche Anerkennung zukommen lassen. 2014 feierte das duale Studium sein 40-jähriges Bestehen.
Initiiert von der Wirtschaft
Die Baden-Württemberger waren also, wie so oft, wenn es um Technik geht, auch bei der Gründung der Dualen Hochschule Vorreiter. Bundesweit einzigartig ist noch heute die Organisationsstruktur der DHBW mit zentraler und dezentraler Ebene. Auch berufsintegrierende und berufsbegleitende Masterstudiengänge gehören zum Angebot der DHBW. Und dieses Angebot will irgendwie finanziert sein. Als staatliche Hochschule erhält die DHBW kein Geld von den Partnern oder Studenten, sondern von der Landesregierung, die 2015 mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag „Perspektive 2020" das Versprechen abgab, noch viel mehr für die Hochschulen im Land zu tun.
Von solch einer umfangreichen Förderung können sie bei der SAE in Stuttgart nur träumen. Die private Hochschule, die 54 Standorte in 28 Ländern weltweit hat, erhält keinen Cent Förderung. „Das sind klare Nachteile für uns, wir bekommen keine staatliche Förderung, keine vergünstigten Nahverkehrstickets für unsere Studenten, kein Bafög und keine Wohnheimplätze", sagt Felix Gerhardt. Er leitet den Stuttgarter Standort der Hochschule. Der Grund für diesen Wettbewerbsnachteil ist die Tatsache, dass die SAE nicht als in Deutschland niedergelassene Hochschule gilt. Denn um Bachelor-Titel zu vergeben, arbeitet sie mit der Middlesex University in London zusammen. „Da bietet das Landeshochschulgesetz leider nicht viele Spielräume", sagt Gerhardt. Um sich zu finanzieren, ist die SAE als rein private Hochschule deshalb darauf angewiesen, dass ihre Studenten Beiträge zahlen. Das genaue Gegenkonzept zur DHBW sozusagen, das dennoch allein am Stuttgarter Standort derzeit etwas mehr als 200 Studenten anlockt, betreut durch 24 Festangestellte und 150 externe Dozenten. Auf den ersten Blick ist das ein enormer Betreuungsschlüssel. Das relativiert sich aber, da viele Dozenten nur für ein bestimmtes Fach zuständig sind. An den Kursen an der Hochschule, die sich auf Medien spezialisiert hat, nehmen deswegen oft nur fünf Studenten teil. Ein Vorteil gegenüber überfüllten Hörsälen an der Uni, was auch Marc Hettich überzeugt hat, der an der SAE in Stuttgart Crossmedia-Journalismus studierte. „Die Technik war in der Tat sehr gut", erinnert er sich an sein Studium. „Ich war zwar selbst nie an einer staatlichen Hochschule und kann daher nur bedingt vergleichen. In meinem Umfeld höre ich von Studenten aber häufig befremdliche Berichte über schlechte Ausstattung von Hörsälen, in denen nicht gerade BWL gelehrt wird." Tatsächlich ist bei der privaten SAE die Betreuung der einzelnen Studenten Trumpf, was auch dem Stuttgarter Leiter Felix Gerhardt wichtig ist: „Ich selbst habe an einer staatlichen Fachhochschule, an einer Universität und an der SAE studiert", sagt er. „An der staatlichen Uni musstest du Glück haben, den Professor zu erwischen." Die ehemalige Studentin Stephanie Steiner konkretisiert: „Man konnte zu jeder Zeit mit den Dozenten über die Wünsche sprechen, und sie bauten sie zusätzlich in die Vorlesungen ein. Das war sehr familiär." Zudem lockt die SAE ihre Studenten mit technischer Ausstattung wie Apple-Computern in den Hörsälen und nutzbaren Studios und Aufnahmetechnik für die Audio-Studenten.
Kein Bafög, kein Semesterticket, keine Wohnheime
Für solche Annehmlichkeiten müssen die Studenten einen ordentlichen Betrag löhnen. Rund 12.000 Euro kostet der einrichtungseigene Abschluss „Diploma", 20.000 Euro sind für einen Bachelor-Studiengang zu zahlen. Marc Hettich bekam dazu eine finanzielle Unterstützung seines Arbeitgebers, der ihn für die Vorlesungen freistellte. „Ich hätte mir das Studium selbst nicht leisten können", sagt er und kritisiert das System in Deutschland: „Bildung darf auf keinen Fall eine Frage des elterlichen Kontostandes sein. Die spannende Idee des bedingungslosen Grundeinkommens könnte auch für diese Problemstellung eine gute Antwort liefern." Für ein teures Studium hat er sich dennoch im Gegensatz zu einer Universität oder der Dualen Hochschule entschieden, denn „ich habe nur ein recht bescheidenes Fachabitur. An der privaten Hochschule war das kein Hindernis." Selbst mit einem mittleren Bildungsabschluss ist ein Studium an der SAE möglich, denn durch die Kooperation mit der britischen Universität gelten auch deren Gesetze, die eine Hochschulreife nicht vorschreiben. „Man könnte schon sagen, dass wir dadurch ein Türöffner für die sind, die ohne höheren Bildungsabschluss studieren wollen", sagt Felix Gerhardt. Solch einen Türöffner nutzte auch Marc Hettich, der aber aus einem anderen Grund hauptsächlich die SAE-Karriere einschlug: „Der Hauptgrund war, dass das Studium berufsbegleitend möglich war."
Berufsbegleitend ist ein Studium bei der Dualen Hochschule per Definition. Und während Studenten wie Marc Hettich nur nebenbei studieren können, weil sie ihr Studium irgendwie finanzieren müssen, ging es bei Kevin Rohrscheidt Hand in Hand – wenngleich es anstrengend war, wie er erzählt: „Der Arbeits- und Zeitaufwand ist generell über alle Semester sehr hoch. In Semester zwei und vier sogar besonders hoch." Durch die Praxisphasen bekomme man nie wirklich eine Verschnaufpause, allerdings hätte er das gern in Kauf genommen. Denn die wertvolle Praxis- und Auslandserfahrung bei einem spannenden Arbeitgeber gebe es kein zweites Mal. Rohrscheidts Fazit fällt deshalb eindeutig aus: „Ich würde es trotz der sehr intensiven Zeit wieder machen."