Wertlos und unproduktiv, ein umweltschädigender Stromfresser: Die Kritik an Kryptowährungen ist vielfältig. Volkswirte, Hedgefondsmanager und Banken streiten über den Nutzen des digitalen Geldes.
Im 17. Jahrhundert schlug in den Niederlanden Blumen-Liebhaberei in einen irrationalen Kaufrausch um. Tulpenzwiebeln wurden zu Mondpreisen gehandelt. Jeder, der etwas auf sich hielt, stieg in den Markt ein. Am Ende platzte die Spekulationsblase, die Tulpenpreise fielen ins Bodenlose. Etwas Ähnliches geschah in diesem Jahr mit der Kryptowährung Bitcoin: Immer mehr Käufer sprangen auf den Zug auf, trieben die virtuelle Währung auf fast 20.000 Dollar pro Bitcoin. Nun kostet er nur noch 6.000 Euro. Kein Wunder, dass Investorenlegende George Soros Kryptowährungen als „Missverständnis wie die Tulpenmanie" bezeichnet. Soros erwartet nach eigenen Worten aber keinen Einbruch wie damals beim Tulpencrash. Stattdessen rechnet er damit, dass der Bitcoin langsam an Wert verliert. Seine Begründung: Diktatoren nutzten den Bitcoin, um Geld zu verschieben.
Das digitale Geld sieht sich nicht nur vonseiten US-amerikanischer Investorenlegenden harscher Kritik ausgesetzt. Hauptargument der Kritiker, unter ihnen auch Volkswirte wie der Wirtschaftsweise Prof. Peter Bofinger: diese Währungen basieren nicht auf realen Werten. Währungen wie der Euro basieren auf der Wertschöpfung eines Landes, also dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Ein starkes BIP erhöht die Nachfrage im internationalen Devisenhandel nach der Währung, denn eine stabile Wirtschaft ist der Garant für eine stabile Währung. Anders bei Bitcoin, Ethereum oder Litecoin. Hier basiert der Wert allein auf Vertrauen, Verschlüsselungsalgorithmen und der technischen Begrenztheit der verfügbaren Geldmenge. Wie stark ist also das Vertrauen der Händler untereinander, in Börsen, in die Technologie und ihre Zukunftsfähigkeit, wie sicher sind die Verschlüsselungen? Wie schnell steigert sich die Leistungsfähigkeit der Rechner, damit sie mehr digitales Geld produzieren können? Wie viele „Miner" betätigen sich daran, die virtuellen Währungen herzustellen, was kann man alles damit bezahlen? All jene Faktoren und mehr fließen derzeit in die Börsenbewertung von Kryptowährungen ein. Ändert sich einer dieser Werte, gewinnen oder verlieren Investoren – ganz wie am Aktienmarkt.
Hinter Bitcoins stecken keine Werte
Statt Vertrauen herrschen aber vielerorts Zweifel. Langsame Transaktionen, ein exorbitanter Stromverbrauch und drohende Regulierungen wecken Zweifel an der Zukunft der bekanntesten Kryptowährung. Mittlerweile entstehen neue Coins nur noch dort, wo die Energiepreise vergleichsweise günstig sind. Denn das Schürfen von Kryptowährungen kostet Unmengen an Strom und bedrohe die Umwelt, heißt es seitens der Kritiker. Diese Rechenoperationen fressen je nach Schätzungen derzeit zwischen 30 und 70 Terawattstunden Strom im Jahr. Zum Vergleich: Deutschland verbrauchte 2016 insgesamt 516 Terawattstunden. Ein hoher Stromverbrauch ist damit gewissermaßen ein Indikator für die Sicherheit einer Kryptowährung. Hierbei komme es natürlich darauf an, wie der Strom gewonnen werde, so die Energieforscherin Katrina Kelly-Pitou von der US-Universität Pittsburgh. Nicht umsonst stünden viele Rechner-Farmen in Island, dort deckt sich der gesamte Strombedarf aus umweltfreundlicher Geothermie. Anders in Asien. 70 Prozent der Rechner-Farmen stehen in China und beziehen ihren Strom zum großen Teil aus Kohlemeilern: In Deutschland kostet die Kilowattstunde im Schnitt 30 Cent, in China vier. Insgesamt steigt der Stromverbrauch durch die Bitcoin-Miner kontinuierlich an.
Auch Informatiker sind noch zurückhaltend. Prof. Roger Wattenhofer von der ETH Zürich hat selbst nie in Bitcoins investiert, „Spekulation ist nicht mein Ding", sagt der Professor für Distributed Computing, zu deutsch „verteilte Systeme". Die Gefahren sieht er vor allem in der Gier. „Die allermeisten Besitzer von Kryptowährungen hoffen, dass der Wert langfristig wieder steigt." Die fragwürdigen, ja kriminellen Geschäfte mit Kryptowährungen seien ein weiteres Problem. „Was es braucht, sind legale Anwendungen, die einen echten Mehrwert bieten, zum Beispiel Anwendungen mit Smart Contracts für Versicherungen, Logistik, Immobilien und so weiter. Da tut sich zwar viel, aber die Killeranwendung fehlt bisher. Ich glaube zwar nicht, dass Kryptowährungen komplett verschwinden, aber es braucht mehr als nur Spekulation und Darknet." Solche rein elektronisch abgeschlossenen, durch Kryptowährungen abgesicherte Verträge könnten eine solche „Killeranwendung" sein: eine Anwendung, die den Durchbruch bedeutet. „Ein elektronischer Euro mit dem gleichen Wert wie ein ‚richtiger‘ Euro, aber Smart-Contract-fähig, könnte einen Boom auslösen", glaubt Wattenhofer.
Ein anderes Kritiker-Argument: Das digitale Geld ist privat. Im Grunde hat jeder die Möglichkeit, eine digitale Währung auszugeben, es gibt keine zentrale Regelinstanz wie etwa die staatliche Notenbank oder die Weltbank im traditionellen Währungssystem. Das habe zur Folge, dass virtuelles Geld schlicht und ergreifend nicht als allgemeines Zahlungsmittel gilt. Nicht jeder muss es annehmen, die Menge ist theoretisch unbegrenzt. Ungeregelter Zahlungsverkehr bedeutet aber auch, dass diese Regel-Lücken ausgenutzt werden: Venezuela etwa führt jetzt den virtuellen Petro ein, der die marode Wirtschaft des Landes wieder stabilisieren soll und durch den Ölreichtum des Landes gedeckt ist. Iran und Russland prüfen Möglichkeiten, die US-Sanktionen gegen ihre Länder durch Krypto-Transaktionen zu unterlaufen.
Bei Notenbanken stoßen Bitcoin, Ethereum und Co. dennoch auf Interesse. Man erhoffe sich einen großen Nutzen, sagte etwa der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi – effizientere Bankgeschäfte scheinen durch die Blockchain möglich. Die Chefs der 20 führenden Industrienationen sehen in den Kryptowährungen aber noch keine Gefahr. Das zeigte sich auf dem vergangenen Treffen der G20-Finanzminister. Deren Finanzstabilitätskommission kickte das Thema kurzerhand von der Tagesordnung – die Bedeutung der Kryptowährungen betrage gerade mal ein Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes. Eine Regulierung sei nicht nötig. Allerdings wollen die G20-Staaten erstmals Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung über Kryptowährungen ergreifen. Die EU diskutiert über „Initial Coin Offerings", also Erstausgaben von neuen Kryptowährungen, als Finanzierungsmethode für Crowdfunding. Die ersten Regularien werden nicht mehr lange auf sich warten lassen.