Der innere Schweinehund taugt nicht mehr als Feindbild im 21. Jahrhundert
Immer, wenn wir irgendwas, das wir uns fest vorgenommen haben, doch nicht umsetzen, soll er schuld sein: der innere Schweinehund. Da schmieden wir Pläne, wie wir unser Leben zum Besseren wenden können, zum Beispiel, indem wir beim Chef eine Gehaltserhöhung einfordern – und dann das. Der Schweinehund in uns hat die Steuerung übernommen, unsere Fähigkeit autonom zu handeln, wurde in den Ruhemodus versetzt. Er befiehlt, erst einmal eine ruhige Kugel zu schieben.
Wo die Redewendung herkommt, darüber gibt zum Beispiel das Herkunftswörterbuch des Dudens Auskunft. Ursprünglich hatte der Schweinehund sogar einen praktischen Nutzen, war er doch ein Hund, der für die Saujagd eingesetzt wurde. Im 19. Jahrhundert wurde das Wort in der Studentensprache als grobes Schimpfwort gebraucht. Doch wie, warum und wann das Adjektiv „innere" jene unheilvolle Allianz mit dem „Schweinehund" einging und wie es dazu kam, dass die Menschheit den inneren Schweinehund quasi als Mahnmal der Faulheit verinnerlichte, erfährt der Duden-Leser leider nicht.
Seit Jahrhunderten macht der innere Schweinehund den Menschen das Leben schwer. Auch heute noch taugt die Allegorie der Willensschwäche zur Mobilmachung. Zum Beispiel in Fitnessratgebern. Wer dem inneren Schweinehund genug Raum lässt, dass er die Überhand über die eigene Systemsteuerung gewinnt, gilt in unserer auf Selbstoptimierung getrimmten Gesellschaft als faul und undiszipliniert. Ein erfolgreiches Berufs- und Privatleben ist scheinbar jenen garantiert, die den inneren Schweinehund – angeblich – überwunden und bekämpft haben.
Die Frauenzeitschrift „Brigitte" gibt ihren Leserinnen Tipps, wie frau den inneren Schweinehund besiegen und erfolgreich werden kann. Erstens: alltägliche Aufgaben zum Spiel machen. Dabei soll frau eine To-do-Liste anlegen und für jede erledigte Aufgabe Punkte vergeben. Mit einer App kann frau die Liste immer auf dem neusten Stand halten. Zweitens: Schreibtisch, Arbeitsplatz und Zuhause neu einrichten. Am besten Einrichtungsgegenstände in Rot und Blau wählen. Die sollen Energie und Kreativität fördern. Drittens: die sogenannte Pomodoro-Technik testen. Das heißt 25 Minuten ohne Unterbrechung arbeiten, fünf Minuten entspannen. Nach dem vierten Durchgang 15 Minuten Pause machen.
Die Innere-Schweinehund-Bekämpfungsstrategie von „Brigitte" ist geleitet von dem Credo: Wer streng diszipliniert arbeitet, kann ein effizienterer Mensch werden. Suggeriert wird einem, dass sich der Erfolg von allein einstellt. Verschwiegen wird allerdings, wie hart es sein kann, aus alten Verhaltensmustern auszubrechen und innere Widerstände zu überwinden. Sei es, wenn die nächste Steuererklärung ansteht, ein Bericht für den Arbeitgeber geschrieben werden muss oder die Partnerin das Eigenheim-Projekt vorantreiben will.
Müssen wir uns immer noch an diesem längst überholten Feindbild abarbeiten? Manch einer, der den inneren Schweinehund überwunden zu haben glaubt, fühlt sich erhaben und wähnt sich als Sieger. Mit anderen Worten: Der Innere-Schweinehund-Überwinder triumphiert über sein passives, schwächeres Selbst, das doch eigentlich ein Teil von ihm ist.
Übrigens haben schon die Nazis an die Überwindung des inneren Schweinehundes des Menschen appelliert. Denen war natürlich in erster Linie daran gelegen, die deutschen Soldaten zum Durchhalten aufzufordern und ihnen letztlich einen bedingungslosen Siegeswillen einzuimpfen.
Im 21. Jahrhundert brauchen wir in der Tat keine inneren Schweinehunde mehr zu bezwingen. Vielmehr sollten wir – statt weiter Gedanken an diesen zu verschwenden – uns über unsere Ziele, Wünsche und Hoffnungen im Klaren sein. Das erspart uns zum einen die inneren Kämpfe mit dem tierischen Faulpelz, zum anderen sparen wir uns schlicht und einfach Zeit, über die wir frei verfügen können, um sinnvollere Dinge zu tun. Der Raum, der vorher von Gedanken an den inneren Schweinehund besetzt war, ist nun folglich Freiraum und verspricht ein Mehr an Lebensqualität.