Katrin Wenz, Expertin für Agrarpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), sieht in den Millionen Kubikmetern Gülle im Jahr ein massives Problem für die Gesundheit. Im Interview spricht sie über Nitratverseuchtes Grundwasser und darüber, warum die Tierzucht halbiert werden müsste.
Frau Wenz, in Deutschland haben wir derzeit eine steigende Problematik von Nitratverunreinigung im Trinkwasser durch Tierhaltung. Wie hängt das zusammen?
Wir halten in Deutschland einfach viel zu viele Tiere, die wir mit importiertem Soja ernähren und haben deshalb ein großes Problem mit Gülle. Wir haben mehr als 200 Millionen Kubikmeter Gülle im Jahr in Deutschland und haben nicht ausreichend Flächen, um diese Gülle auszubringen. Eigentlich ist Gülle ein wertvoller Dünger, der dazu führt, dass die Pflanzen wachsen. Aber weil wir zu viel davon haben, bringen wir mehr auf unseren Äckern aus, als die Pflanzen aufnehmen können. Und alles, was Pflanzen nicht aufnehmen, landet schlussendlich als Nitrat im Wasser. Wir haben vielerorts viel zu hohe Nitratwerte im Grundwasser, sodass wir das Wasser nicht mehr ohne weiteres als Trinkwasser nutzen können. Vor allem in den Regionen, in denen ganz besonders viele Tiere gehalten werden, haben wir massiv schlechte Werte.
Wie schadet Nitrat?
Wenn es über einen bestimmten Grenzwert geht, ist es krebserregend. Und es kann für Säuglinge gefährlich sein. Der Grenzwert wurde eingeführt, um die Qualität sicherzustellen und die Menschen zu schützen. Daher sorgen Wasserwerke aufwendig dafür, dass aus dem Wasserhahn nur Trinkwasser mit weniger als 50 Milligramm Nitrat pro Liter fließt. Wer einen hauseigenen Brunnen nutzt, dem ist in der Regel auch bewusst, dass die Nitratwerte regelmäßig kontrolliert werden sollten. Die Wasserversorger sind mittlerweile auch sehr besorgt. Das heißt aber nicht, dass man das Trinkwasser in Deutschland nicht ohne Weiteres trinken kann. Es ist ein sehr gut kontrolliertes Lebensmittel. Für die Aufbereitung könnten aber sehr hohe Kosten auf uns zukommen.
Was müsste getan werden?
Wir haben jetzt eine neue Düngeverordnung, mit der das Ganze stärker kontrolliert werden soll. Aber was fehlt, ist eine Bilanzierungsmethode, die festschreibt, dass Landwirtschaftsbetriebe nur so viele Nährstoffe rausbringen dürfen wie in den Betrieb reingebracht wurden. In Deutschland wird sehr viel Futter importiert, weil wir die Tiere sonst nicht ernähren können. Im ökologischen Landbau ist es so, dass die Tiere an die Flächen gebunden sind. Die Betriebe müssen im Großen und Ganzen in der Lage sein, ihre Tiere selbst zu ernähren, oder sie müssen Futter aus der Region zukaufen, und sie dürfen Kooperationen eingehen und Mist an andere Betriebe abgeben. Das ist aber dann ein geschlossenes System. Ökologisch wirtschaftende Betriebe benötigen in der Regel ihre Nährstoffe, da sie keinen synthetischen Dünger einsetzen dürfen.
In der konventionellen Haltung ist das aber so, dass wir viele Betriebe haben, die sehr stark auf Tierhaltung spezialisiert sind und gar keinen Ackerbau betreiben. Sie müssen zwar nachweisen, dass sie Flächen haben. Problematisch ist dabei, dass sie das Futter nicht anbauen müssen, sondern die Fläche auch für andere Pflanzen genutzt werden können, wie zum Beispiel für den Anbau von Mais für Biogasanlagen. Ebenso ist es möglich, die Flächen nur vorrübergehend anzupachten und das Futter anderweitig zu beschaffen.
Das heißt, sie haben keine Flächen, wo sie ihre Gülle ausbringen können. Da ist kein geschlossenes System vorhanden. Wir brauchen aber in der Landwirtschaft ein ausgeglichenes System, und das funktioniert nur, wenn die Tierhaltung wieder an die Fläche gebunden und regionale sowie betriebliche Obergrenzen eingeführt werden. Hierbei sollte man sich an einer Grenze von zwei Großvieh-Einheiten pro Hektar orientieren. Aufgrund der hohen Nitratbelastung im Grundwasser müssen künftig besonders tiergerechte und umweltfreundliche Haltungsverfahren gefördert und gleichzeitig die Tierbestände der Intensiv-Tierhaltung abgebaut werden.
Von Abbau kann momentan wohl keine Rede sein.
Trotz des sinkenden Konsums wird die industrielle Fleischproduktion in Deutschland weiter ausgebaut. Deutschland liegt bei einer durchschnittlichen Fleischüberproduktion von 20 Prozent, vor allem bei Schwein und Geflügel. Wir haben eine völlig unsinnige Ausrichtung auf den Export, ebenso bei Milchpulver. Fleisch und Milchpulver werden zu sehr niedrigen Preisen exportiert. Das ist eine absurde politische Ausrichtung. Eine unserer Forderungen ist ein Sofortprogramm zur Reduktion tierischer Lebensmittel, vor allem bei den Schweinen und beim Geflügel, denn in diesem Sommer waren die Wetterextreme durch die Klimakrise deutlich spürbar.
Deshalb muss die Tierzucht hierzulande unbedingt halbiert werden. Wir halten unfassbar viele Tiere in Deutschland.
Als Futtermittel wird vor allem Soja importiert, was auch nicht unproblematisch ist.
Ja, wir importieren Soja aus Südamerika und zunehmend auch aus afrikanischen Ländern. Das ist sehr häufig gentechnisch verändert und mit einem massiven Einsatz von Glyphosat verbunden. Das macht die Menschen in den Anbaugebieten krank. Auch soziale Probleme in den Ländern entstehen dadurch, weil kleine Bauern zugunsten großer Farmen entrechtet werden. In puncto Klimaschäden kommen dann hier noch die steigenden Emissionen bezüglich des Transports des Futters nach Europa dazu. Ohne eine Reduktion der Tiere können wir aber die Tierhaltung nicht an die Fläche binden. Wenn wir aber mehr Futter hierzulande anbauen, müssen wir aufpassen, dass es keine Verschiebung gibt. Das heißt, dass wir das Futter für unsere Tiere hier anbauen, aber dann Nahrungsmittel importieren, weil die Flächen dann für den Ackerbau fehlen. Das muss nebeneinander passieren. Die Lösung liegt wie gesagt in einer massiven Reduktion in der Tierhaltung.
Kommen wir mal zu den Rindern. Wie steht es mit dem viel diskutierten Methanausstoß, der erwiesenermaßen zur Klimaerwärmung beiträgt?
Wenn wir Kühe so füttern würden, wie sie artgerecht ernährt werden müssten, mit Gras von der Weide, dann hätten sie einen sehr großen Nutzen für die Umwelt. Wenn wir Kühe also auf der Weide halten würden, wäre die Klimabilanz gar nicht so schlecht. Kühe halten das Grünland offen und sorgen durch Düngung für den Humusaufbau. Dadurch wird viel CO₂ im Boden gespeichert. In der öffentlichen Debatte steht meistens das Methan im Fokus, aber nicht die Tatsache, dass, wenn wir Kühe artgerecht halten, sie einen positiven Einfluss aufs Klima haben. Die Kuh aber, die mit importiertem Soja-Kraftfutter gefüttert wird, hat eine schlechte Klimabilanz. Nicht nur, weil sie einen hohen Methanausstoß hat und wegen den Flächen, die dafür in Südamerika gerodet werden. Für die Produktion von Kraftfutter wird viel synthetischer Stickstoffdünger eingesetzt. Um diesen herzustellen, ist viel Energie nötig, und wenn dieser Dünger auf den Feldern ausgebracht wird, entweicht sehr viel Lachgas. Das aber ist laut Klimaforschern 296 mal so gefährlich wie Kohlendioxid. Diese Gefahr wird in den Debatten um Landwirtschaft und Klimawandel meist übersehen.
Jetzt alle Kühe rauslassen funktioniert mangels Platz wohl nicht.
Da sind wir wieder beim zentralen Thema. Wenn wir wirklich einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, dann müssen wir tierische Lebensmittel reduzieren. Wir müssen auf jeden Fall die Fleischproduktion reduzieren, wir dürfen bis 2050 nur noch die Hälfte der Tiere halten. Und die, die wir halten, müssen wir so halten, dass es weniger klimaschädlich ist. Aus unserer Sicht gehören Kühe auf die Weide. Aber bei uns stehen die Kühe vor allem im Stall. Dafür sieht man in der Landschaft zum Beispiel viele Felder mit Mais, der unter anderem auch als Futter angebaut wird.
Stichwort Mais – Naturschützer prangern auch immer wieder die Monokulturen hierzulande an.
Wir haben durch Monokulturen und sehr aufgeräumte Agrarlandschaften aktuell ein massives Insektensterben und ein massives Artensterben. Man findet nicht genug artenreiche Feldränder, wo Insekten sich ausbreiten können. Auch andere Tiere verlieren dadurch Lebensräume. Hinzu kommt ein starker Pestizideinsatz. Wir brauchen eine Systemänderung in der Landwirtschaft sowie eine Veränderung im Ackerbau. Wir brauchen Ackerbau, in dem der Humusaufbau wegen der CO₂-Bindung im Vordergrund steht. Wir brauchen eine Agrarpolitik, die art- und umweltgerechtere Landwirtschaft fördert.