Viele Deutsche zeigen dem Aktienmarkt die kalte Schulter. Dabei könnten Wertpapiere angesichts der Inflation und niedriger Zinsen die bessere Wahl sein. Aber auch an der Börse gibt es für den Sparer mittlerweile nicht mehr so viel zu verdienen wie noch im vergangenen Jahr.
Niedrige Zinsen und steigende Inflation machen Sparern und Anlegern zu schaffen. Nach Berechnungen der Bundesbank war die Gesamtrendite, die ein durchschnittlicher Privathaushalt abzüglich der Teuerung – also real – erzielte, Anfang 2018 mit minus 0,8 Prozent erstmals seit sechs Jahren negativ. Die Notenbank berücksichtigt dabei Bargeldbestände, Ansprüche gegenüber Versicherungen sowie Anlagen in Aktien und Fonds, wie sie in ihrem Monatsbericht August ausführt, der kürzlich veröffentlicht wurde.
Dass es somit erstmals seit Jahren wieder negative Realzinsen gibt, erklärt die Bundesbank damit, dass auch Aktien wegen der durchwachsenen Stimmung an der Börse im Betrachtungszeitraum nicht mehr so viel abwarfen. Die gleichzeitig anziehende Inflation schlug somit stärker durch. „Den Unmut der Sparer über die Niedrigzinsen kann ich gut verstehen", sagte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in einem Interview der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS). „Ihre Altersvorsorge bauen Sie aber über mehrere Jahrzehnte auf. Das relativiert die aktuelle Zinssituation etwas. Und auch negative Realzinsen gab es durchaus schon in der Vergangenheit." Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland liegt laut jüngsten Zahlen der Bundesbank für das erste Quartal 2018 auf dem Rekordniveau von 5.875 Milliarden Euro.
Geldvermögen auf Rekordniveau
Zwar warfen Aktien nach wie vor gute Zinsen ab. Aber dennoch: Es mag paradox klingen, aber Deutschland als eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt hat eine extrem schlecht ausgeprägte Wertpapierkultur. Nach Angaben des Sparkassenverbandes legen lediglich sechs Prozent der Deutschen Geld in Aktien an, im Gegensatz zu 15 Prozent im Nachbarland Frankreich, 23 Prozent in Großbritannien und sogar 30 Prozent in den Niederlanden. Und es kommt noch schlimmer: „80 Prozent der Deutschen sparen falsch", so die Ansicht von Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt des sparkasseneigenen Investmentinstituts Dekabank. 40 Prozent des Geldvermögens der Deutschen schlummern demnach in Bankeinlagen mit mickrigen Zinsen und genauso viel in Versicherungen, die nicht einmal die Inflationsrate decken. Nur 20 Prozent steckt in Wertpapieren wie Aktien oder Immobilienfonds. Eine Zinsfalle, denn die Kaufkraft der Einlagen sinkt, und ein Ende der lang anhaltenden Nullzinsphase ist frühestens Mitte 2019 in Sicht, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) plant, die Zinsen anzuheben. Bundesbankchef Weidmann, der im Rat der EZB über den Kurs der Geldpolitik im Euroraum mit entscheidet, verwies in dem FAS-Interview auf die jüngsten Weichenstellungen der EZB: „Die Zinsen werden im Zuge der geldpolitischen Normalisierung auch wieder steigen." Die EZB will nur noch bis Ende dieses Jahres Anleihen kaufen und hat für die zweite Jahreshälfte 2019 eine erste Zinserhöhung angedeutet. Bis das aber bei den Sparern ankomme, vergingen jedoch viele weitere Monate, betont Kater.
Angesichts der drohenden Altersarmut in Deutschland, verursacht auch durch das permanent sinkende Rentenniveau, eine besorgniserregende Entwicklung, zumal die Appelle der Politik, für das Alter privat vorzusorgen, verpuffen. Ein Drittel der Deutschen betreibe keine private Altersvorsorge und bei den unter 30-Jährigen sogar 36 Prozent, errechnet der Sparkassenverband.
Die meisten Deutschen machen einen großen Bogen um Wertpapiere – sei es aus mangelnder Erfahrung, aus Unkenntnis oder aus Angst, ihr sauer verdientes Geld durch Zocken an der Börse zu verlieren. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, hat der Aktienmarkt es allerdings immer wieder geschafft, Krisen wie Anfang des neuen Jahrtausends den Crash der New Economy oder die Finanzkrise 2008 gut wegzustecken. Der Zuwachs lag im Schnitt pro Jahr bei mehr als vier Prozent. Trotzdem: Es fehle hierzulande schlicht und ergreifend das Vertrauen in die Kapitalmärkte, sagen Fondsmanager. Besonders dann, wenn der amerikanische Präsident Donald Trump mal wieder twittert und die Finanzwelt mit seinem einfach strukturierten Weltbild von Politik und Wirtschaft durcheinanderbringt.
Doch der Chefvolkswirt der Dekabank sieht das wesentlich gelassener. Zwar könne Trump die Kapitalmärkte durch seine unkontrollierten Tweets kurzfristig verunsichern wie bei der Ankündigung der Zollrunden, aber das führe nicht zu einer Trendwende in eine bestimmte Richtung oder gar Krise an der Börse, sagt Kater. Die Weltwirtschaft wachse und die Aktienkurse steigen mit, denn die Unternehmen würden sich durch weltpolitische Ereignisse nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. In den nächsten zwei bis drei Jahren erwarten die Fachleute eine durchschnittliche Dividende am Aktienmarkt von drei bis vier Prozent, zwar bescheidener als in jüngster Vergangenheit, aber durchaus realistisch.
Gefahren für die Wirtschaft lauern ganz woanders
Gefahren für die Weltwirtschaft lauern ganz woanders. Dann, wenn Europa seine Probleme wie die Reform der Währungsunion oder die Entwicklung in Italien mit einem möglichen Austritt aus dem Euro nicht in den Griff bekomme oder wenn die Irankrise sich verschärfen und sich zu einer Ölkrise ausweiten würde. Hier spielt Trump mit dem Feuer, denn die einseitige Einflussnahme auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten gleiche einem unkontrollierbaren Pulverfass, glaubt Kater. Es scheint Trumps Naturell zu sein, politische und wirtschaftliche Überlegungen zu vermischen und höchstsensible Systeme gern mal ins Wanken zu bringen. Dabei verfolgt er bei genauerem Hinsehen drei klare Ziele. Er will mit allen Mitteln den Aufstieg Chinas zu einer Supermacht eindämmen, gänzlich verhindern kann er es aber wohl nicht mehr. Europa möchte er disziplinieren und zur Übernahme von mehr Eigenverantwortung zwingen – das hat übrigens schon Präsident Obama verlangt, nur diplomatischer ausgedrückt und die Europäer nicht als Trittbrettfahrer und Hängemattenpenner bezeichnet. Und Trump will in gut zwei Jahren einfach wiedergewählt werden. Selbst Chefvolkswirt Kater geht davon aus, dass ihm Letzteres durchaus gelingen könnte, denn mit seiner „America First"-Strategie setze er seine Wahlversprechen konsequent um, und das komme bei seinen Wählern an.
Was China angeht, dürfte es schwieriger werden. Zwar signalisieren die Chinesen beim Schutz von geistigem Eigentum westlicher Firmen ein wenig Entgegenkommen, aber ein Umbau des staatlich kontrollierten Wirtschaftssystems in ein privatwirtschaftliches System mit gleichen Wettbewerbsbedingungen kann für China so nicht infrage kommen. Die Antwort Trumps sind Schutzzölle auf chinesische Waren, um heimische Arbeitsplätze zu schützen. Ein Trugschluss, wie sich in einer arbeitsteiligen und globalisierten Welt zeigt. Kater sieht mit Trump einen klaren Politikwechsel in den USA, der nicht nur das Ende einer jahrzehntelangen transatlantischen Politik einläutet, sondern auch den Prozess zur Abwicklung der Globalisierung einleitet. Selbst wenn er nicht wiedergewählt würde, die Pflöcke für einen Politikwechsel in den USA seien eingeschlagen. Ein Prozess allerdings, der genauso wie der Aufbau der internationalen Arbeitsteilung Jahre dauern kann, wenn die Staaten wieder nationale Mauern errichten und den freien Welthandel durch Schutzzölle behindern.
Am Ende des Tages werden alle verlieren, ist sich Kater sicher, denn nie zuvor stand ein so großes Warenangebot zu derart günstigen Preisen so vielen Menschen zur Verfügung. Das muss über kurz oder lang auch Trump einsehen. Und wenn ein Unternehmen wie Harley Davidson schon mal ankündigt, in Europa produzieren zu wollen, mag Trump das als unpatriotisch bezeichnen. Aber wenn es ums Geld geht, hört die Freundschaft bekanntlich auf.