Anastasia Zampounidis wurde Ende der 90er-Jahre als MTV-Moderatorin einem großen Publikum bekannt. 2017 erschien ihr Bestseller über ihre zuckerfreie Ernährung, über die sie im Interview spricht.
Frau Zampounidis, mit Ihrem Buch „Für immer zuckerfrei" haben Sie einen Bestseller gelandet. Wie kamen Sie dazu,
Ihre Ernährung umzustellen?
Der Auslöser war ein Besuch bei einer TCM-Ärztin (Traditionelle Chinesische Medizin), die ich aufsuchte, um meinen verspannten Nacken therapieren zu lassen. Nach ausführlicher Anamnese empfahl sie mir, den Industriezucker aus meinem Speiseplan zu verbannen, um meinen Körper wieder in Balance zu bekommen. Da ich schon zuvor versucht hatte, von meiner Zuckersucht loszukommen, weil ich Heißhunger-Attacken und einhergehende Symptome einer Unterzuckerung leid war, sagte ich zu.
Man spricht in den letzten Jahren häufig von einer Zuckersucht. Wie macht Zucker süchtig? Wie ist das wissenschaftlich zu erklären?
Zucker macht süchtig. Das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung, sondern das bestätigen auch Neurologen. Zucker ruft Heißhunger hervor, und man isst mehr, als der Körper eigentlich braucht. Das Hormon Insulin wird ausgeschüttet, sobald Zucker im Anmarsch ist, um diesen so schnell wie möglich aus dem Blut zu befördern. Ist die Arbeit getan, fällt der Insulinspiegel nach spätestens einer Stunde wieder ab – das ist der Moment, in dem man mehr will. Wie bei harten Drogen sind ähnliche Prozesse im Gehirn zu beobachten, haben Neurologen festgestellt. Das „Glückshormon" – eigentlich ein Neurotransmitter – Dopamin wird ausgeschüttet, und wir wollen immer wieder dieses tolle Gefühl herbeiholen. Vor allem, wenn es uns nicht gut geht. Dieses gestörte Essverhalten kann über Jahre akkumuliert zu vielen Folgeerkrankungen führen: Übergewicht/Adipositas und alle einhergehenden Effekte wie Herz-Kreislauf-Probleme, erhöhter Blutdruck, Gelenkprobleme. Schon junge Menschen können Diabetes Typ 2 bekommen, besonders gefährlich ist hier die steigende Zahl bei Kindern. Ebenso Karies. Alltagsbeschwerden wie Konzentrationsschwäche, Stimmungsschwankungen, Nachmittagstief, unreine/älter wirkende Haut, Schlaflosigkeit, PMS-Symptome (prämenstruelles Syndrom), häufige Erkältungen und mangelhafte Blutbilder reihen sich ein.
Warum stillen Süßigkeiten nicht den Hunger, obwohl es sich um Kalorienbomben handelt?
Weil Zucker leere Kalorien sind, also Energie und der Geschmack „süß", mehr ist da nicht zu holen. Wenn dann noch Weißmehl dazukommt, wie bei Keksen oder Kuchen, dann steigt der Insulinspiegel noch schneller und höher an. Ein fataler Teufelskreis. Isst man aber eine Süßkartoffel oder einen Hokkaidokürbis, die für mich extrem süß schmecken, bekommt man nicht nur den süßen Geschmack und Energie, sondern auch Vitamine, Mineralien und vor allem Ballaststoffe, die gleichzeitig sättigend sind. Wenn man weiß, dass die Ausschüttung von Insulin gleichzeitig die Fettverbrennung hemmt, dann kann man sehr gut nachvollziehen, warum die Waage über die Jahre immer mehr Kilo anzeigt.
Zucker ist nicht nur in Chips oder Schokolade enthalten, sondern etwa auch in Brot, Reis und allen anderen Grundnahrungsmitteln. Ist dieser Zucker erlaubt oder greifen Sie hier auf Alternativen zurück?
Ich esse keinen Industriezucker, egal in welchem Nahrungsmittel. Der natürliche Zucker ist kein Problem, denn der führt nicht zu Heißhunger-Attacken. Allerdings sollte man Weißmehl auch meiden, da hier ebenfalls viel Insulin ausgeschüttet wird. Ich bevorzuge Vollkorn-Produkte. Zum Glück gibt es heute durchaus Brot, Senf, Ketchup, Sojasauce, pflanzliche Milch, Gemüsebrühe et cetera ohne Zucker. Man muss nur mal mit einer Lupe einkaufen gehen und die Zutatenlisten kontrollieren. Fertiggerichte kommen nicht infrage, da dort meistens Zucker zu finden ist. Selbst in Wurstaufschnitt und Salzgebäck findet man ihn. Vor zwölf Jahren sah es anders aus, aber nach und nach zieht die Industrie mit und bietet auch hier mittlerweile ein paar zuckerfreie Varianten an. Je weniger stark gezuckerte Produkte wir kaufen, umso mehr wird sich die Industrie nach dem Konsumenten richten.
Wie sieht es mit Fruchtzucker aus – kann man Obst und Smoothies bedenkenlos zu sich nehmen?
Ich esse Obst, aber am Stück, frisch oder Trockenobst. Lässt man erst den Zucker weg, dann reguliert der Körper die Aufnahme von selbst. Deswegen nimmt auch jeder automatisch ohne zu hungern ab. Unendlich viel Obst – also Fruchtzucker – darf man nicht konsumieren, aber die Gefahr besteht wie gesagt nicht. Wenn man Smoothies trinken will, sollten diese mindestens aus 50 Prozent Gemüse bestehen. Sonst ist das eine viel zu große Ladung für die Leber. Der Saft marschiert sehr schnell durch die Magenwand ins Blut. Die Leber muss sich ganz allein um den Fruchtzucker kümmern, denn Insulin wird hier kaum oder gar nicht ausgeschüttet. Alles, was die Leber nicht schafft, wandelt sie in Fett um, und das behält sie bei sich. Über Jahre kann ähnlich wie bei Alkoholikern eine Fettleber entstehen, die zur Leberzirrhose führt. Auch sollte man nicht einen Liter Saft am Tag trinken, das wäre der Fruchtzucker von etwa zehn Orangen oder Äpfeln am Tag, eine völlige Überforderung für das arme Entgiftungsorgan. Die ayurvedische Lehre empfiehlt außerdem, nach 16 Uhr kein Obst mehr zu essen, weil die Leber dann nicht mehr wirklich Bock drauf hat.
Was sind die Tücken und Tricks der Lebensmittelindustrie, uns in allen Produkten Zucker unterzujubeln? Häufig ist die Rede von einer „Zucker-Mafia". Trifft dieser Begriff zu?
Die Mafia bewegt sich im rechtlich illegalen Bereich, davon kann hier nicht die Rede sein. Natürlich hat sich die Zuckerindustrie in den vergangenen Jahrzehnten sehr bemüht, andere Buhmänner ausfindig zu machen und stürzte sich auf das Thema „Fett". Zum Glück sind wir heute schlauer. Auf gesunde Fette sollte niemand verzichten. Meine Forderungen an die Lebensmittelindustrie und Politik sind ganz einfach: mehr Transparenz auf den Produkten, kein Suggerieren von vermeintlich gesunden Produkten bei stark gezuckerten, vor allem bei Kinder-Produkten. Hier wünsche ich mir einen absoluten Stopp für Kinder-Marketing bis zum 16. Lebensjahr und generell veränderte Rezepturen.
War es anfangs sehr schwer, auf Zucker zu verzichten?
Da ich in den ersten Tagen zum ersten Mal erfuhr, wo überall Zucker „versteckt" ist, war ich erst schockiert und fühlte mich ohnmächtig, wurde dann
aber schnell wütend über eine Nahrungsmittelindustrie, die uns systematisch zu Zucker-Junkies konditioniert. Ich fühlte mich herausgefordert und nahm den Kampf an. Dieses Gefühl beflügelte mich so sehr, dass ich wie in einem Rausch die Entzugserscheinungen kaum wahrnahm. Viele Leser und Besucher meiner Lesungen und Vorträge berichten mir aber, dass sie in den ersten Tagen und Wochen Kopfschmerzen bekommen, sich schlapp fühlen oder schlecht gelaunt sind – typische Entzugserscheinungen. Die gute Nachricht: Nach drei Wochen wird‘s besser, vor allem hört der Heißhunger auf Süßes auf.
Was verbessert sich physisch und psychisch, wenn man längere Zeit auf Zucker verzichtet?
Die erste Woche ähnelt jedem anderen Entzug, da die meisten zuckersüchtig sind, so wie ich damals. Aber spätestens nach drei Wochen fängt es an, großartig zu werden. Das Wichtigste: Der Heißhunger auf Süßes stellt sich komplett ein, vorausgesetzt, man hat keinen Zucker übersehen. Man wird schnell fitter, das Nachmittagstief bleibt aus, Frühjahrsmüdigkeit gibt es nicht mehr. Langfristig wird man abnehmen ohne zu hungern, die Haut wird reiner, feinporiger und jünger. Cellulite verabschiedet sich, das Bindegewebe wird straffer. Der Schlaf verbessert sich, unbegründete Stimmungsschwankungen bleiben aus, PMS-Symptome und auch die Wechseljahre harmonisieren sich. Der Zahnarzt hat nichts mehr zu tun. Das Immunsystem wird gestärkt: Meine letzte Erkältung/Grippe hatte ich im Sommer 2010! Die Blutwerte sind bei mir immer top, früher sah das anders aus – Zucker verhindert nämlich die optimale Aufnahme von Mineralien und Vitaminen.
Sie sagen, dass Sie trotzdem nicht auf Kuchen und Eis verzichten. Haben Sie Tipps, wie man diese süßen kann?
Ich süße mit Obst, hauptsächlich Trockenobst, wie zum Beispiel Datteln oder Aprikosen. Der Bananenkuchen aus meinem ersten Buch ist der absolute Renner in den sozialen Netzwerken, ich bekomme jede Woche Bilder von nachgebackenen Kuchen zugeschickt, was mich sehr freut.
Ist Süßstoff eine Alternative?
Ich süße weder mit Süßstoff noch Zuckerersatzstoffen. Hat man sich erst mal von dieser extremen Süße entwöhnt, braucht man sie nicht mehr. Für mich sind Gemüsesorten wie Karotten oder Paprika extrem süß geworden. Außerdem beeinflussen alle künstlichen Zusatzstoffe unseren Metabolismus negativ. Und einige Alternativen stehen stark im Verdacht, gesundheitsgefährdend zu sein.
Was essen Sie, wenn Sie zwischen den Hauptmahlzeiten Hunger haben?
Ich habe immer Obst, Trockenobst und Nüsse dabei. Außerdem ein Glas mit gerösteten Leinsamen, Sesam, Kürbis- und Sonnenblumenkernen. Entweder ich nasche sie so oder streue sie über einen Salat oder anderes Gericht, wenn ich auswärts esse.
Sie werden häufig zu den Stars, die nicht altern, gezählt. Wie schaffen Sie es, mit fast 50 Jahren noch so jugendlich auszusehen? Liegt es wirklich nur an der zuckerfreien Ernährung oder lassen Sie auch Ihr Gesicht kosmetisch oder mit Hyaluron oder Botox verjüngen?
Ich denke, man sieht, ob ich Gift oder Säuren im Gesicht habe. Außerdem glaube ich fest daran, dass mein Buch kein monatelanger „Spiegel"-Bestseller geworden wäre, hätte ich darin schamlos gelogen. Es ist ganz einfach: Lassen Sie den Zucker weg und Sie werden die kommenden Monate beobachten, wie sich wie durch Zauberhand ein „Insta-Filter" vor Ihren Spiegel schiebt. Egal, wie alt Sie sind: Es ist nie zu spät. Ansonsten verwende ich hauptsächlich Naturkosmetik. Jünger aussehen ist natürlich toll, schlank sein auch, aber das sind nicht die Gründe, warum ich mittlerweile zwölf Jahre ohne Zucker lebe. Es ist das Gefühl, das ich habe, wenn ich morgens die Äuglein öffne. Es sind unsere Gefühle, die uns durch unser Leben lotsen, meist unbewusst. Nicht mein Spiegelbild lässt mich den Zucker weglassen, das Ego ist viel zu oberflächlich. Nachhaltige Zufriedenheit kommt von innen. Und da Körper, Seele oder auch Emotion und Geist zusammenhängen, läuft es bei mir.
In den vergangenen Jahren hat man Sie nicht so oft im Fernsehen gesehen. Womit waren Sie beschäftigt?
Ich habe in den vergangenen Jahren eine Verbraucherschutzsendung erst für ZDF Neo, 2016 dann fürs ZDF moderiert. Unter anderem haben wir eine Dokumentation über Zucker gedreht, was mir natürlich große Freude bereitet hat. „Die Zuckerfalle" müsste noch im Internet zu finden sein. Leider wurde die Sendung im vergangenen Jahr eingestellt, was ich sehr bedauere, sind doch die Themen Ernährung und Verbraucherschutz mit den Jahren zu Hobby und Leidenschaft für mich geworden. Nahtlos ging ich dann dazu über, mein erstes Buch zu schreiben, und war anschließend damit auf ausgiebiger Lesetour durch Deutschland, Österreich, Schweiz und Südtirol, bei der ich viele interessierte Menschen treffen und auch coachen durfte. Spannend. Zuckerfrei-Vorträge halte ich mittlerweile auch auf Gesundheitsmessen oder moderiere Veranstaltungen zum Thema Foodtrend und werde als „Zuckerfrei-Expertin" eingeladen. Nebenbei habe ich mein zweites Buch „Für immer zuckerfrei – meine Glücksrezepte" geschrieben, das Ende September auf den Markt kommt. Natürlich wollten alle wissen, was ich denn nun so esse… Et voila, über 80 meiner zuckerfreien „Glücksrezepte" habe ich zusammengestellt, samt einhergehender Ernährungs-Philosophie.
Vermissen Sie manchmal die MTV-Zeiten?
Schön war’s, aber ich komme gar nicht dazu, über gestern nachzudenken. Das Heute ist viel zu spannend und aufregend.