Zum 22. Mal hat Berlin seine Meisterköche ausgezeichnet, und in einigen Kategorien musste sich die Jury durch mehrere Wahlgänge stimmen. Manchmal entscheiden eben Nuancen über Sieg und Niederlage. Eindeutiger war da die Wahl von Daniel Achilles.
Der Jahrgang 2018 war stark. Zahlenmäßig sowieso – sage und schreibe 140 Vorschläge erreichten die Jury, 30 davon gelangten auf die Nominiertenliste. Dann hieß es für die 13 Jury-Mitglieder: probieren, probieren, probieren – und diskutieren: um die sechs Besten in den Kategorien „Berliner Meisterkoch", „Aufsteiger des Jahres", „Berliner Gastgeber", „Szenerestaurant" und erstmals einen „Berliner Kiezmeister" 2018 zu bestimmen. Eine „in Zeiten von Moral und Norm noch gesteigerte Lust auf kompromisslos Gutes und Eigenes, weitab vom Durchschnitt, gepaart mit Menschenliebe, Engagement und auch genussvoll kreativer Kampfbereitschaft" machte Juryvorsitzender Stefan Elfenbein in der Berliner Genuss- und Gastronomieszene aus. „Der meisterliche Jahrgang 2018 ankert in Berlins vielfältig-buntem Fundament, dem Urgestein."
Starke Worte zur Verkündung der Meister, doch mehr als berechtigt. Immerhin ist der erstmals neu gekürte „Kiezmeister 2018" muntere 90 Jahre alt. „Rogacki", sprich: „Rogatzki", darf wohl als Urgestein der Feinkost-Geschäfte in Berlin gelten. Der Begriff „Räucherwarenhandel", wie Paul und Lucia Rogacki anno 1928 ihr im Wedding gegründetes Unternehmen nannten, bezeichnet das, was „Rogacki" groß machte. Die Fischräucherei ist nach ihrem Umzug in die Wilmersdorfer Straße dort seit 85 Jahren ansässig. Inzwischen ist sie die einzige in Berlin. Mitte der 50er-Jahre kamen Wild, Geflügel, Wurst und Fleisch dazu. Längst ist das Sortiment um Spezereien aus aller Welt, Salate und Mariniertes, Weine, Brot sowie das Geschäft um eine Fisch- und Hähnchenbraterei erweitert. In dieser Größenordnung ist „Rogacki" eine einzigartige Versammlungsstätte für Liebhaber handwerklicher und qualitätvoller Esswaren in Berlin – sowohl auf Konsumenten- wie auch auf Produzenten-Seite.
Vielerorts Besinnung auf Berlinerisches und die Historie
Mit ihrer neuen „Kiezmeister"-Kategorie richten die „Berliner Meisterköche" noch mehr ihren Fokus auf das, was Berlin auszeichnet, gleichermaßen aber immer mehr vom Verschwinden bedroht ist: das lokale Handwerk, das einst die Nahversorgung mit Lebensmitteln in den dicht besiedelten Großstadtquartieren sicherstellte. Von 36 eingereichten Vorschlägen seien drei bereits in der Prüfungsphase wieder passé gewesen, berichtet Stefan Elfenbein: „Der Genpool der Handwerker verschwindet. Aber neues Handwerk entwickelt sich auch." Das lässt sich an der Liste der Nominierten ablesen. Manche erwuchsen, wie Cynthia Barcomi mit ihrem ersten „Barcomi’s" in Kreuzberg, aus ihrem Kiez. Andere, wie Marcus Benser mit seiner „Blutwurstmanufaktur", übernahmen Vorgängerbetriebe und führten sie mit neuen Ideen, Produktfokussierung und der Verschränkung von On- und Offline-Handel fort. Affineur und Deutscher-Käse-Experte Fritz Blomeyer siedelte sich mit „Blomeyer’s Käse" in Charlottenburg an, und die „ehrbaren" Metzger von „Kumpel & Keule" entstanden im Umfeld der Kreuzberger „Markthalle Neun".
Kieze, Traditionen, Icke-Tum? Nein, die Besinnung auf Berlinerisches und die Historie führt keineswegs zu musealer Konservierung. Vielmehr fokussieren sich junge, kreative Köpfe darauf, Traditionen das Zeitlose zu entlocken und es mit Zeitgenössischem zu pimpen.
Martin Müller und Kristof Mulack führen im Rollbergkiez ihre nun zum „Szene-Restaurant 2018" gekürte „Tisk Speisekneipe". Sie machten sich mit Gerichten wie dem „Janzen Broiler", mit Mettstulle und Senfei rasch einen eigenen Namen. Die Klassiker der Altberliner Küche wurden mit dem Wedel einmal gründlich abgestaubt und in Menü- oder Brotzeit-Form neu interpretiert. Der „ungerollte Mops" entpuppt sich als eine auf Rollmops-Art eingelegte Makrele, die mit Senfsaat, Gurke, Joghurt, Jalapeños und Tabasco verneuzeitlicht wird. Rote Grütze erhält eine Schönheits- und Verfeinerungskur mit Purple Curry und Hibiskusblüten – internationales Neukölln in der Dessertschale. „Nach nur vier Monaten das zu reißen ist super", freut sich Martin Müller. „Ich wohn’ ja noch obendrüber", sagt Kristof Mulack. Die beiden Küchenchefs und Inhaber der „Gourmet-Eckkneipe" sind tatsächlich gebürtige „Berliner Jungs". Der neue Titel – überdies im „Szenebezirk" Neukölln – konterkariert eigentlich den Ansatz von Müller und Mulack: Sie haben sich vorgenommen, das „Tisk" als „zeitlose und verlässliche Adresse" in der Berliner Gastronomie-Landschaft zu etablieren.
Auch der „Berliner Meisterkoch 2018", Daniel Achilles, ist mit seinem „Reinstoff" Langstreckenläufer. Er gilt seit mehr als neun Jahren als Vorreiter der innovativen deutschen Küche in Berlin – stets auf der Suche nach Neuem, in Produkten, in der Art und Weise der Zubereitung oder in der Präsentation. Auf der absoluten Höhe seines Könnens sei der 42-Jährige, der seit 2011 mit zwei Michelin-Sternen und 18 Punkten im Gault-Millau ausgezeichnet ist, in diesem Jahr angelangt, so die Jury. Gerichte wie sauer eingelegte Makrele und gegrillter Ährenfisch, kombiniert mit Lakritz-Algen-Creme, Bonito-Flocken und geeistem Dashi zeigten, wie meisterlich Achilles Regionales mit Exotischem in der Produktkombination wie in den Geschmackskomponenten verbindet.
Das „Reinstoff" zieht Ende des Jahres um
Das zehnte Jahr bringt allerdings auch eine Zäsur. Zum Ende des Jahres schließt das „Reinstoff" in Mitte, um bald an einem anderen Ort „und mit einer größeren Küche" wieder zu eröffnen, wie Stefan Elfenbein bemerkte: „Wir erwarten noch ganz viel von Daniel Achilles." Das Auslaufen des, wie oft üblich, auf zehn Jahre angelegten Mietvertrages und der Wechsel an einen neuen Ort dürfen als Sprungbrett für weiteres Neues gelten. Das Reservierungsbuch sei bis Jahresende und zum Abschied vom bisherigen Ort jedenfalls gut gefüllt, verriet Achilles.
Genauso lange wie Achilles ist der „Gastronomische Innovator 2018" auf dem regionalen Parkett zu finden. Billy Wagner, Inhaber des „Nobelhart & Schmutzig", machte als vielfach ausgezeichneter Sommelier unter anderem im „Rutz" und mit seinem Fokus auf gesunde Böden und heimische Reben von sich und seiner Weinauswahl reden. Mit dem „Nobelhart & Schmutzig" sorgt der Wirt der „Speisekneipe" mit Nachdruck und mit Küchenchef Micha Schäfer seit viereinhalb Jahren gemeinsam dafür, dass ausschließlich regionale Produkte verarbeitet werden. Durch enge, gut gepflegte Kontakte sollen die Erzeuger aus ihrer Anonymität herausgeholt werden: „Wir wollen Berlin ein Gesicht und Besuchern die Chance geben, zu schmecken wie diese Region schmeckt", sagt Wagner.
„Das hat nichts mit meinem persönlichen Geschmack zu tun; ob ich Schokolade oder Orangen mag." Das „brutal-lokale" Konzept der freiwilligen Begrenzung wird konsequent gastronomisch gelebt: „Wir entdecken Dinge, die wir selbst noch nicht kannten und die sich dann weiterverbreiten." Jury-Chef Elfenbein betonte, wie viel Mut es brauche, für die eigenen Ideen hartnäckig einzustehen. „Was Billy Wagner macht, ist einzigartig in Berlin. Selbst in New York oder andernorts kann das so nicht passieren. In anderen Städten werden solche Menschen wegradiert."
In diesem, dem 22. Jahr der „Berliner Meisterköche", wurde viel diskutiert, lagen doch einige Kandidaten sehr nah beieinander. Sieben der 13 Jury-Stimmen muss ein Nominierter mindestens auf sich vereinen. „Mehrfach wurde drei Mal gewählt", verrät Elfenbein. Manchmal ging es nur um einen einzigen Punkt. Beim „Gastgeber 2018" machte schließlich ein „unartiger" Sommelier und Restaurantleiter, zumindest was die eigene, gleichnamige Cuvée angeht, das Rennen: André Macionga vom „Restaurant Tim Raue". Seit 2006 arbeitet er in dessen verschiedenen Restaurants. „Schon sein Lächeln macht gute Laune, er ist eher bescheiden, und immer im exakt richtigen Moment hält er sich dezent zurück oder ist top-präsent, auch wenn Gäste mal nur so parlieren wollen – über Berlin, die Küche oder die Weine", meint die Jury. Den Namen des „Zweitplatzierten" mochte Stefan Elfenbein nicht verschweigen: „Manu Rosier vom ‚Schwein‘ war derjenige, um den es mit der einen Stimme ging. Vielleicht ist er nun der Gastgeber der Herzen."
Mancher Aufsteiger wurde später zum Meisterkoch gekürt
Auch beim „Aufsteiger des Jahres 2018" wurde drei Mal abgestimmt und debattiert, bevor Küchenchef Nicholas Hahn vom „Restaurant am Steinplatz" feststand. Seit 2017 leitet Hahn die Küche im Restaurant des traditionsreichen „Hotel am Steinplatz" und prägt sie mit einer in ihren Produkten möglichst regionalen, aber undogmatisch international interpretierten Küche. „Klassische Basis, dazu Top-Produkte und alles lustvoll frisch präsentiert", urteilte die Jury. Mag die Yacónwurzel südamerikanischen Ursprungs sein, ist sie doch im Berliner Umland und in den Gerichten von Nicholas Hahn inzwischen fester Bestandteil. Nachhaltig beeindruckte Stefan Elfenbein jedoch ein Eis aus den Stielen der schwarzen Johannisbeere: „Du hast alle Beeren ausprobiert, aber es funktioniert nur mit den Johannisbeerstielen."
Es bleibt spannend abzuwarten, welche Kreationen und Kombinationen sich Hahn künftig ausdenken und wie er seinen Küchenstil weiterentwickeln wird – aus so manchem „Aufsteiger" wurde später der „Meisterkoch" des Jahres.