Ein mittelständischer Betrieb aus Rügen hat eine ungewöhnliche Marktlücke entdeckt: Er produziert Wegebahnen mit Elektroantrieb – und baut dafür andere Autos auseinander.
Als Öko-Pionier hat sich Roger Pieniak lange Zeit nicht gesehen. „Ich dachte immer, Elektromobilität kommt mir nicht auf den Hof", sagt der 55-Jährige. Die langen Ladezeiten, die schwachen Batterien – damit konnte sich der gelernte Maurer nur schwer anfreunden. Dass nun gerade jemand wie er eine Marktlücke besetzt, bringt ihn selbst zum Lachen. „Hätte ich nicht gedacht. Aber die Vorteile liegen auf der Hand."
Pieniak leitet die Sightseeing Trains Rügen GmbH, einen mittelständischen Betrieb, der sich auf den Bau von sogenannten Wegebahnen spezialisiert hat. Oder im Volksmund: Bimmelbahnen. Jene Fahrzeuge also, die langsam durch Freizeitparks tuckern, Touristen in Naturschutzgebiete kutschieren oder Fußgänger durch die Innenstädte geleiten.
Auf der Insel Rügen sind solche Bahnen schon seit 1992 für diverse Pendelverkehre im Einsatz, zum Beispiel am Jagdschloss Granitz oder bei den Störtebeker-Festspielen. In der Vergangenheit wurden die Loks fast immer von einem 272 PS starken Dieselmotor angetrieben, was auf Rügen auch gut funktioniert. Doch um sich eine neue Zielgruppe zu erschließen, gerade im Ausland, setzte Pieniak schließlich auf den Öko-Antrieb. Und tatsächlich: Interessenten in mehreren Städten, darunter Cuxhaven, Köln, Wernigerode und Ljubljana, bestellten laut Pieniak das neue Produkt.
Damit ist die Firma mit ihren 30 Mitarbeitern fürs Erste ausgelastet. Von einer Massenproduktion ist man nämlich weit entfernt; stattdessen entstehen die Bimmelbahnen per Handarbeit in einer Werkshalle, die von außen eher an eine Garage erinnert. Vor dem Tor stehen zwei fabrikneue Toyota Land Cruiser. „Wir kaufen die Geländewagen und nehmen sie auseinander", erklärt Pieniak. Auf das Chassis setzen die Monteure die Bimmelbahn-Karosserie: Von außen sieht das Fahrzeug also wie eine Lokomotive aus, aber unter der Haube steckt ein Toyota – vom Reifen bis zum Armaturenbrett.
Bahnen werden in Handarbeit gefertigt
Der Acht-Zylinder-Motor wird durch einen Hochvolt-Antrieb mit 126 Akkus ersetzt, die Lok zweifarbig lackiert. „Wenn man die Handgriffe kennt, lassen sich die Geländewagen ziemlich leicht auseinandernehmen", sagt der Firmenchef. Schnell fügt er hinzu: „Wir haben eine Genehmigung von Toyota." Zugleich ist es dem Bimmelbahnen-Bauer wichtig, dass in seinen Werkshallen mehr als nur ein bisschen geschraubt wird. „Jeder denkt, es sei ganz einfach, so etwas zu bauen. Aber da gehört sehr viel Sicherheitstechnik dazu. Eine Bahn darf bei einem Unfall nicht plötzlich unter Strom stehen." Den anfangs eher skeptischen Geschäftsmann hat vor allem die Leistung der elektrischen Loks überzeugt. „Auf Rügen haben wir Steigungen von bis zu 20 Prozent. Damit kommt der Antrieb problemlos klar."
Die Batterien hielten etwa 150 bis 200 Kilometer, was für die täglichen Fahrten locker ausreiche. „Hier auf der Insel fahren wir normalerweise 79 Kilometer am Tag", sagt Pieniak. Bisher sei noch keine Bahn auf offener Strecke liegen geblieben. „Aber wir haben für den Notfall immer einen 32-Ampere-Stecker dabei." Neben dem Fahrgefühl spielen laut Pieniak auch die Preisvorteile eine wichtige Rolle: weniger Wartung, weniger Reparaturen, geringere Besteuerung. „Natürlich müssen wir auch keinen Diesel mehr kaufen", sagt der Geschäftsführer. Die Strompreise könnten im Vergleich gut mithalten. Und die Nachteile? „Die Anschaffung", antwortet Pieniak. Eine Elektrolok koste etwa 230.000 Euro – das Dieselmodell sei rund 100.000 Euro günstiger.
Dass es bis jetzt trotzdem kaum Wettbewerber gibt, verwundert den Rügener Geschäftsmann selbst ein wenig. Rund 1,5 Millionen Euro Umsatz macht die Firma nach eigenen Angaben; allein auf Rügen befördert sie etwa eine halbe Million Fahrgäste pro Jahr. In die Zukunft blickt der Inhaber dementsprechend optimistisch. „In der Elektrotechnik sind wir Marktführer. Da kann noch einiges kommen."