Mit dem „Al Andalús" durch Spanien ist die etwas andere Zugreise. Umgeben vom nostalgischen Flair der Belle Époque reist man stilvoll von Santiago de Compostela bis Sevilla.
Eine neuntägige Sonderzugreise durch Spanien mit dem legendären „Al Andalús" hatte es geheißen. Und „im Stil der Belle Époque von Santiago de Compostela nach Sevilla mit 1.250 faszinierenden Bahnkilometern" hatten sie gesagt. Aber nun stehen wir. Ein Luxuszug, der nicht fährt, ist wie ein Ferrari in einer Garage. Wie ein Pferd im Stall, wie ein Fahrrad im Keller.
Die Reise begann in Santiago de Compostela, ungewöhnlich genug, kommen hier doch alle an, jedenfalls die Pilger. Zum Klock-Klock der hölzernen Pilgerstäbe auf dem Granitpflaster mischt sich das metallische Kling-Klack der Trekkingstöcke. Auf dem Markt gibt es frische Jakobsmuscheln.
Der „Al Andalús" wartet am Bahnhof: sieben Schlafwagen mit 32 Suiten, zwei Restaurantwaggons, ein Gesellschaftswagen, ein Piano-Wagen. Alles ist total plüschig, aber das muss so sein, mit goldenen Fäden am Lampenschirm, Silberbesteck, rot und altrosa gestreiften Sesseln und Milchglasscheiben mit Bumenvasengravur zwischen den Waggons. Diese wurden in den 1920ern gebaut, mit den Suite-Wagen fuhr die britische Monarchie von Calais bis an die Côte d’Azur. Ein Zug so recht für Bahnnostalgiker, aber modern aufgehübscht mit Duschen in jedem Abteil. Der „Al Andalús" gehört der RENFE, der staatlichen spanischen Eisenbahngesellschaft. Für diese Reise hat ihn der deutsche Veranstalter Lernidee-Erlebnisreisen gechartert.
Modernisiert mit Duschen
Ein Brummen geht durch den Zug, als würde er tief Luft holen. Ein Ruckeln, ein Ruck, der Zug macht endlich, wofür er gebaut ist: Er fährt. Zwischen Vorspeise und Hauptspeise, zwischen gebackenem Schinken und Fischeintopf, ziehen die letzten gelben Lichter Compostelas vorbei. Der Halbmond steht am Himmel wie ein Vanillekipferl. Von der Küche sieht man am Ende des Ganges nur einen Fensterausschnitt, in dem weiße Kochärmel hantieren. Es wirkt wie eine TV-Koch-Show. Gespräche an den Nachbartischen beginnen mit: Arbeiten Sie noch?
Ich ziehe mich zurück ins Abteil, selig lächelnd liege ich auf dem Bett und schau’ in das Vorüberziehen der Nacht. Es ruckelt so schön im Liegen. Gerade, als ich einschlafe, hält der Zug an. Wir stehen. Ich kann nicht schlafen.
Und so sind die Tage: An einem Bahnhof steigen alle aus, der Bus ist immer schon da. Mit dem Bus geht es zur Stadtbesichtigung, nach Sevilla, Toledo, Córdoba, Ávila, Aranjuez. Der Zug und der Bus, Hase und Igel. Man könnte also die Strecke genauso gut mit dem Bus fahren – aber das ist natürlich keine Alternative.
Bei jedem Ausflug gibt es so viel zu sehen, es geht von einer Unesco-Stätte zur nächsten. Um diese kulturelle Hochdosierung auch mal zu verarbeiten, kann man sich auch je ein Highlight herauspicken und sich danach in ein Straßencafé setzen und Spanien beim Leben zuschauen. In Ourense steht die Zuggruppe um ein Thermalbad mitten im Ort. Ältere Einheimische plantschen in dampfendem Wasser. Im Mittelalter durften Pilger bis zu drei Tage bleiben, um sich im Wasser zu erholen, erzählt ein Reiseführer. León wirft seine Glasfenster aus dem 13. Jahrhundert der Kathedrale in die Waagschale, Avila bietet einen Spaziergang auf der romanischen Stadtmauer.
Jeden Tag zuckelt der Zug ein kleines Stückchen weiter. Eine ehemalige Lehrerin aus Niederbayern erzählt, sie reise so gerne im Zug. 2010 fuhr sie von Damaskus nach Istanbul. „Aleppo war besonders schön. In den Ausgrabungen musste man wie auf Zehenspitzen gehen, damit alles heil bleibt. Und jetzt, was für eine Tragödie. Kein Stein steht mehr auf dem anderen."
Aus den grünen Wäldern Galiziens bringt der Zug die Reisenden in die braunen abgeernteten Felder von Kastilien und Léon. Und immer wieder sind draußen Wanderer zu sehen, die staubige Feldwege entlang gehen. Und weiter nach La Mancha. Spaniens Binnenland ist nicht lieblich.
In Toledo soll es dann El Greco sein. In der Kathedrale ist das Tafelbild nicht zu verfehlen: Davor steht die größte Menschentraube. Das Leiden Christi, die Passion, Jesus im purpurnen Gewand, den Blick zum Himmel gewandt, schon nicht mehr auf dieser Welt. Aber rechts daneben wird es interessanter: Goya hat sich 200 Jahre später desselben Themas angenommen und bei ihm ist Christus viel näher dran am modernen Menschen, ein Leidender, Ecce homo, bleich, schicksalsergeben, und umdrängt von Menschen, hämisch, höhnisch. In Córdoba in Andalusien könnte man Stunden unter den Steinbögen der Mezquita-Kathedrale verbringen, die Kathedrale, die eine Moschee war.
Die Weinauswahl führt durch das ganze Land
Jetzt aber husch, husch zurück in den Zug. Da wird sich zum Abendessen allgemein aufgebrezelt. Schon die Weinauswahl ist eine Rundreise durch das Land. Jeden Tag stammt der Wein aus einer anderen Region Spaniens, 18 Flaschen weiß und 18 Flaschen rot sind pro Essen eingeplant.
Wie man hört, haben viele Menschen komplizierte Schlafgewohnheiten. Man bringt sich ein aufblasbares Kopfkissen mit, bittet den Schaffner, die Zierkissen in Bezüge zu packen, das 1,50 Meter breite Ehebett löst Entsetzen aus. Wie soll das gehen? „Ich liebe meine Frau, aber …" Schlafen scheint eine Aufgabe zu sein.
Der Respekt vor den Reiseteilnehmern wächst, sind ja doch ältere Herrschaften. Ab 8 Uhr gibt es Frühstück, da rücken alle an, eine Französin immer im weißen Bademantel. Gibt es vielleicht auch ein Hallenbad im Zug, das mir bislang entgangen ist? Um halb 10 geht es in den Bus, und in jeder Stadt wird sich willig in die Hände eines neuen Reiseleiters begeben. Noch eine Kathedrale, noch eine Synagoge, noch ein Altar, noch mehr Namen von Königen und Kardinälen, ohne mit der Wimper zu zucken ziehen sich die anderen alles rein.
Mittags werden in Restaurants und Paradores vier Gänge serviert, abends im Zug vier Gänge, und immer ordentlich Wein dazu – werden die eigentlich nie müde? Das sei eine Reise und kein Urlaub, sagt einer der Rentner. „Erholen können wir uns zu Hause."
Das zahlreiche Zugpersonal stammt komplett aus Asturien, aus dem Norden. Die kompliziertesten Gäste seien die Spanier, sagt Henar, die seit drei Jahren im Service arbeitet. Südamerikaner legten oft ein herrschaftliches Gebaren an den Tag. „Wer sich von denen eine Europareise leisten kann, hat zu Hause Personal. Und so behandeln sie uns." Mit Asiaten sei es „leider schwierig, allein die Geräusche. Ein Chinese saß mal an der offenen Waggontür und hat geraucht – während der Fahrt!"
Die letzte Nacht. Das Licht eines Bahnhofs fällt ins Schlafabteil, draußen ist es ruhig, im Zug ist nichts zu hören. Von mir aus könnte es jeden Tag so weitergehen. Zugfahren mit Weinbegleitung. Aber für eine lange Zugreise ist dieses Spanien einfach zu klein. Gerade groß genug für Jakobspilger.