Griechen, Römer, Osmanen, Perser oder Russen: Georgien, strategisch günstig am Schwarzen Meer gelegen, hat seit der Antike Begehrlichkeiten geweckt. Ebenso beständig beharren die Georgier auf ihrer Unabhängigkeit und fühlen sich zu Europa hingezogen.
Ist das nun schon Asien oder noch Europa? Die Georgier selbst nennen ihr Land „Balkon Europas". Es schmiegt sich vom Schwarzen Meer ausgehend hinein in den Kaukasus, steigt auf bis zu den Höhen des Kasbek und grenzt sich nach Norden von Russland, nach Süden von der Türkei und Armenien ab. Schon im Alten Testament kommt Georgien vor – auf dem Berg Ararat landete Noahs Arche. Und in den europäischen Mythen nimmt es eine besondere Stellung ein: Georgien ist die Heimat des Goldenen Vlieses, nach dem die Argonauten suchen und das sie schließlich in Kolchis (so der griechische Name für Georgien) finden und rauben. Der „sagenhafte" Hintergrund: Die Flüsse des Kaukasus führten Gold mit sich – die Georgier fingen den feinen Goldstaub mit Schaffellen auf.
Europa war ihr Absatzmarkt. Zur Zeit der Griechen galten sie als geschickte Schmiede. Aristoteles schreibt, dass die Georgier ein besonders helles und glänzendes Kupfer herstellten – nach einem georgischen Stamm, den Mess’chen, später Messing genannt. Kolchis, der Westteil des Landes, war mit Griechenland verbündet. Iberien, der Ostteil, stand in enger Verbindung mit Persien. Auch die jüdische Kultur hatte eine Heimat in dem Land – viele Juden waren im 6. Jahrhundert v. Chr. vor der Verfolgung durch die Babylonier in den Kaukasus geflohen.
Die Römer machten im 1. Jahrhundert n. Chr. aus Kolchis eine römische Provinz, Iberien dehnte sich weit nach Osten aus. Bereits sehr früh verbreitete sich das Christentum – es wurde 337 zur Staatsreligion; später unterstellte sich das Königreich dem Schutz Konstantinopels. Syrische Mönche gründeten Klöster, auf ehemaligen Kultstätten für den Sonnengott entstanden Kirchen. Und es war ein wehrhaftes Land: Gute hundert Jahre und mehrere Kriege lang dauerte es, bis die Araber es schließlich 755 eroberten und einen Emir in Tiflis einsetzten. Islamisierungsversuche blieben dennoch weitgehend erfolglos, die eigenständige georgische Religion ließ sich nicht verbieten. Im 11. Jahrhundert vereinigten sich Ost- und Westgeorgien, bis schließlich König Dawid IV., genannt „der Erbauer", das Königreich befestigte, die Osmanen vertrieb und sich die regionalen Fürsten unterwarf. Dieses Königreich Georgien existierte bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts.
Das Christentum wurde im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion
Es war ein goldenes Zeitalter. An der Seidenstraße gelegen, dehnte es sich vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer aus. Diplomatisches Geschick, Toleranz gegenüber den Fremden, gute Handelsverbindungen brachten Wohlstand und relative Ruhe. Noch heute stehen Synagogen, Moscheen und christliche Kirchen in Tblissi (Tiflis) unmittelbar nebeneinander. Selbst die Horden Dschingis Kahns und später der Mongolen konnten die Entwicklung zwar zurückwerfen, aber nicht umdrehen.
Doch nach dem Fall Konstantinopels 1453 verlor Georgien seine Bindung an Europa. Das Land, das so viele Völkerstämme und Sprachen beherbergte, zerfiel. Drei kleine Königreiche – Imeretien, Kartlien und Kachetien – sowie mehrere Fürstentümer wetteiferten um die Vorherrschaft. Erst im 18. Jahrhundert gelang es König Erekle II. mit dem erstarkenden Zarenreich, dem nächsten christlichen Nachbarn im Norden, einen Schutzvertrag auszuhandeln – den Russland jedoch brach: Die Perser vernichteten 1795 in der entscheidenden Schlacht das georgische Heer, schleiften Tiflis und nahmen 20.000 Georgier als Sklaven gefangen. Russland annektierte wenig später den Westteil und zwang den Adel zum Eid auf die russische Krone. Der Zar unterwarf das Land einer intensiven Russifizierung, die georgische Sprache wurde verboten, die slawische gegen die altgeorgische Liturgie durchgesetzt.
Erst Mitte des 18. Jahrhunderts lockerten die Russen den Druck. Die georgische Schwarzmeerküste wurde zu einem beliebten Bade- und Erholungsort für die Aristokratie. Dichter wie Alexandre Dumas, Puschkin, Lermontov, Tolstoi begannen, Georgien zu entdecken. Theater entstanden, man sprach von Tiflis als dem „Paris des Ostens".
Im Umbruchsjahr 1918 gelang es Georgien mit deutscher Unterstützung, seine Unabhängigkeit wieder zu erlangen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Bei der ersten demokratischen Wahl 1919 siegten die Menschewiki, die Sozialdemokraten; 1920 erkannte Sowjetrussland die Demokratische Republik Georgien völkerrechtlich an: 1921 trat das Land dem Völkerbund bei. Doch rasch sollte sich die Lage wieder ändern: Noch im gleichen Jahr stürmte die Rote Armee über die Grenzen und rief die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik aus. Gerade der aus Gori in Georgien gebürtige Stalin (Geburtsname: Dschugaschwili) ging besonders brutal gegen sein Heimatvolk vor. Einen Aufstand von 1924 gegen die sowjetische Besatzung ließ er niederschlagen und 7.000 Oppositionelle erschießen. In den stalinistischen Säuberungen zwischen 1932 und 1950 verloren mehr als 50.000 Georgier ihr Leben. Zu Beginn der Entstalinisierung im Jahr 1956 – dem Jahr des Ungarnaufstandes – forderten auch in Tiflis radikale Studenten die staatliche Unabhängigkeit. Die Panzer der Roten Armee machten kurzen Prozess. Erfolgreicher war ein Studentenprotest gut zwei Jahrzehnte später, als Breschnew die georgische Sprache verbieten wollte. Die Gegenwehr fiel so wütend aus, dass Moskau nachgeben musste.
50.000 Tote durch Stalins Säuberungen
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1989 begann in Georgien eine wilde Zeit: Nationalisten kämpften gegen ethnische Gruppen, ein territorialer Machthaber gegen den anderen. Gegensätze, die bisher unterdrückt waren, brachen heftig auf. 1991 erklärte Georgien als einer der ersten Staaten seinen Austritt aus dem sowjetischen Machtbereich. Doch Russland wollte das Land keineswegs gehen lassen, gerade auch wegen seiner strategischen Lage an der Schwarzmeerküste. Also erkannte Moskau Südossetien und Abschasien, zwei Regionen innerhalb der georgischen Landesgrenzen, als eigenständig an. Der „frozen conflict" war geboren – jederzeit zum Schüren bereit, um Macht zu demonstrieren.
Eduard Schewardnadse ergriff 1995 die Gelegenheit und ließ sich zum Präsidenten Georgiens wählen. Der frühere georgische KP-Chef und sowjetische Außenminister initiierte demokratische Reformen, dennoch wurde Georgien unter ihm und einer kommunistischen Nachfolgepartei laut Transparency International zu einem der zehn korruptesten Länder der Welt. Schewardnadse unterschrieb dennoch eine strategische Partnerschaft mit der Nato und erklärte den Wunsch, sowohl der Nato wie der Europäischen Union beitreten zu wollen. Das verschärfte die Spannungen mit Russland. Immerhin sicherte Schewardnadse 1999 seinem Land das drei Milliarden Dollar schwere Investitionsprojekt einer Ölpipeline von Aserbaidschan in die Türkei.
Die sogenannte Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC) verschaffte Georgien eine geopolitisch bedeutsame Schlüsselposition.
Stolz auf Geschichte und Sprache
Die Rosenrevolution, unterstützt von den Open Society Foundations des Multimilliardärs George Soros, leitete einen gewaltfreien Regierungswechsel ein. Im Januar 2004 wurde Micheil Saakaschwili, der ehemalige Justizminister, mit 96 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt. Er räumte mit der Korruption auf und setzte die postkommunistischen Funktionäre ab. Vor genau zehn Jahren, im August 2008, mobilisierte Saakaschwili nach Spannungen und gewaltsamen Zwischenfällen die Armee und griff die unter russischen Schutz stehende südossetische Hauptstadt Zchinwali an. Russland schlug zurück, die Georgier erlitten eine schwere Niederlage. Hunderte Menschen starben, Tausende mussten fliehen, russische Truppen stießen weit auf georgisches Gebiet vor. Abchasien und Südossetien spalteten sich endgültig ab und werden nun von Russland kontrolliert. Auch die politische Landschaft blieb unruhig: 2011 stürzte der Geschäftsmann und Multimilliardär Bidzina Iwanischwili den autoritär gewordenen Saakaschwili und holte mit seiner Partei Georgischer Traum ein Viertel der Wählerstimmen. Im November 2013 trat er zurück. Seitdem hat Georgien in wenigen Jahren drei Premierminister erlebt. Seit Juni 2018 ist Mamuka Bachtadse Regierungschef.
Die Georgier haben sich den Osmanen nicht untergeordnet und die Perser überlebt; zu den Turk-Völkern im Osten zählen sie sich erst recht nicht. Schon zur Zeit der Griechen ging ihr Blick nach Westen – daran hat sich bis heute nichts geändert. Georgier sind stolz auf ihre Geschichte und ihre Eigenständigkeit, die sie mit der unabhängigen georgischen Kirche und ihrer Sprache bewahrt haben. Die zählt zu den ältesten Sprachen der Welt – und zu den schwierigsten. Georgisch gehört zur Kartwelischen Sprachgruppe, die weder mit dem Indogermanischen noch mit dem Slawischen verwandt ist. Ihre Schriftzeichen sind einzigartig, weder kyrillisch noch lateinisch oder arabisch. Dennoch: Georgien steht auf dem Balkon, schaut in Richtung Europa. Und die kleine, junge Nation wird immer präsenter. Auch hierzulande.