Der Präsident will auch bei den Deutsch-Türken seine Machtbasis ausbauen
Eines hat der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am vergangenen Wochenende in Deutschland deutlich gezeigt: Beide Länder liegen politisch gesehen Lichtjahre voneinander entfernt. Menschenrechte, Rechtsstaat und eine muntere Opposition machen eine Demokratie westlichen Zuschnitts aus, die die Bundesrepublik für sich in Anspruch nimmt. Nicht so die Türkei. Statt Pressefreiheit gibt es dort fast nur noch publizistische Jubel-Kommandos, die lediglich eine Mission kennen: Erdogans Ruhm zu vergrößern und Andersdenkende mundtot zu machen.
Bei der Eröffnung der Zentralmoschee in Köln hätte der türkische Staatschef die Chance gehabt, ein Zeichen der Integration zu setzen. Doch er gab lieber den Scharfmacher und Spalter. Der Wahlkampf-Modus liegt ihm ohnehin mehr als die Rolle des Versöhners. Erdogan machte erneut Front gegen die Kritiker des gemeinsamen Fotos von ihm und den beiden türkischstämmigen Fußball-Nationalspielern Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Er wiederholte die Vorwürfe der „Ausgrenzung" und des „Rassismus". Mit dem kalten Kalkül, unter den rund 3,5 Millionen Deutschen mit türkischen Wurzeln Ressentiments zu schüren. Seine Lobpreisung der Moschee als „Ort des Friedens" verkam zum schal klingenden Lippenbekenntnis.
Die Einweihung des Gotteshauses wurde zum Symbol für Erdogans Marschroute, die Religion politisch zu instrumentalisieren. In Deutschland herrscht die Leitkultur des Grundgesetzes: Staat und Kirche sind getrennt. Jeder hat das Recht, seine Religion oder Weltanschauung zu praktizieren, sofern dies die Grundsätze der Demokratie nicht verletzt. Kirchliche Veranstaltungen sind oft ein Ort der Begegnung und des Austauschs mit gesellschaftlichen Gruppen.
Ein derartiges Klima der Offenheit gibt es in der Kölner Zentralmoschee nicht. Die Hoffnungen des einstigen Oberbürgermeisters Fritz Schramma (CDU) auf einen Dialog mit den türkischen Muslimen haben sich nicht erfüllt. Der Träger der Moschee, die islamische Dach-Organisation Ditib, schottet sich zunehmend ab. Seit dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 haben von Ankara entsandte und bezahlte Imame Erdogan-Kritiker in Deutschland bespitzelt. Der Verdacht liegt daher nahe, dass die Ditib als verlängerter Arm der türkischen Regierung auftritt. Erdogans Präsidial-Autokratie, die dem Staatschef fast unbeschränkte Vollmachten gewährt, wirft ihre Schatten auf Deutschland.
All dies widerspricht dem Pluralismus und der Kultur der offenen Kritik hierzulande. Und es errichtet hohe Hürden für eine Integration der Deutschen mit türkischen Wurzeln. Erdogan geht es auch gar nicht darum – und das ist das Problem. Genauso, wie er von „unserem Mesut (Özil)" und „unserem „Ilkay (Gündogan)" spricht, meint er „unsere" Landsleute in Deutschland. Er hat überhaupt kein Interesse an einem deutschen Verfassungs-Patriotismus der Deutsch-Türken, denn diese würden ihm dann entgleiten. Er fordert vielmehr die Doppel-Staatsbürgerschaft für alle Menschen mit türkischer Herkunft. Auf diese Weise sichert er sich eine Machtbasis unter den Türkischstämmigen im Ausland, die dem Polit-Patriarchen in Ankara die Treue halten. Beim Verfassungsreferendum im April 2017 und bei der Präsidentschaftswahl im Juni 2018 hat dies funktioniert: Die große Mehrheit hat für Erdogan gestimmt.
Dies unterstreicht, dass der Präsident in Deutschland einen Fuß in der Tür haben will. Die Deutsch-Türken, die dieses Spiel mitmachen, müssen sich indessen eine provokante Frage gefallen lassen. Wenn der Erdogan-Staat tatsächlich so erstrebenswert ist: Warum dann nicht die Konsequenz ziehen und dort auch leben?
Dennoch war es richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) Erdogan empfangen haben. Ein Boykott des türkischen Staatschefs wäre genauso kontraproduktiv wie ein Scherbengericht. Dass es wieder eine Gesprächskultur gibt, ist gut. Und natürlich muss die Zusammenarbeit in der Wirtschaft, im Syrien-Konflikt oder beim Anti-Terror-Kampf enger werden. Doch bei den grundsätzlichen Differenzen sollte Klartext geredet werden. Darin besteht die Kunst des realpolitischen Spagats in weltpolitisch schwierigen Zeiten. Merkel und Steinmeier haben hier die richtige Balance gefunden.