Das spektakuläre Louvre-Museum von Abu Dhabi ist die neue Ikone des ölreichen Staates, der sich zu einer Drehscheibe der Kulturen entwickeln will. So mischt sich die Kunst von Orient und Okzident auch an vielen weiteren Orten des Emirats.
Manches ist nicht nur perfekt gemacht, sondern auf geradezu unverschämte Art und Weise gut gelungen. Natürlich haben auch die Kunstwerke des Louvre Abu Dhabi ihre Reize, doch die erklären sich oft erst auf den zweiten Blick. Geblendet von Schönheit werden die Besucher aber bereits durch das Gebäude selbst.
Eine Prozession aus Vollverschleierten und Hotpants-Trägerinnen, aus Männern in weißen Gewändern und Touristen im Safari-Outfit zieht durch das kaum durchschaubare Wirrwarr an Räumen und überdachten Gassen. Ganz so, als streiften sie durch eine verwinkelte arabische Medina. Dann geht es ins Freie auf einen großen Platz. Aber halt: Nicht der Himmel, sondern eine riesige Kuppel wölbt sich über dem Ganzen, mit 180 Metern Durchmesser und perforiert wie ein gigantisches Abtropfsieb. Durch die netzartige Struktur schießt die Sonne und zaubert weiße Lichtflecken auf den grauen Steinboden – ein Regen aus Licht. Hut ab vor Architekt Jean Nouvel: Er hat da wirklich etwas in den Sand gesetzt.
Sein Arbeitsauftrag war wohl ziemlich eindeutig: Die Scheichs vom Persischen Golf wünschten sich nichts weniger als ein architektonisches Weltwunder. Aber bitteschön einen Superlativ, der nicht nur für übersteigertes Selbstbewusstsein und schnöden Mammon steht wie der Wolkenkratzer Burj Khalifa bei den ewigen Rivalen im Nachbaremirat Dubai. Also ein Gebäude, das ihre Heimat endlich auch als Ort der Kultur ins Scheinwerferlicht rückt. Geliefert wie bestellt: Der neue Louvre, eine Dependance des berühmten Kunstmuseums in Paris, ist seit einigen Monaten das neue Wahrzeichen von Abu Dhabi.
„Salvator Mundi" wird auch gezeigt
„Sieh die Menschheit in einem anderen Licht": Das ist Anspruch und Slogan des neuen Komplexes. Es will in eisgekühlten Ausstellungsräumen nichts weniger als die komplette Geschichte der Zivilisation erzählen, von den ersten Siedlungen der Urmenschen bis zum globalisierten 21. Jahrhundert. Zwar findet man auch Leonardo da Vincis berühmtes Gemälde „La Belle Ferronière" und einen van Gogh, dazu viele Franzosen von Cézanne über Degas bis Manet und Monet. Doch der Fokus liegt gerade nicht auf Europa: Objekte aus allerlei unterschiedlichen Kulturkreisen und Kontinenten werden munter kombiniert.
So stehen also Maria mit dem Jesuskind, eine Frauenkultfigur aus dem Kongo und die Statue der ägyptischen Göttin Isis mit ihrem Sohn Horus nebeneinander – wichtiger als Herkunft und Zeit ist der verbindende Gedanke der Mutterliebe. Alte Handelsrouten zwischen Asien, Arabien und Europa lassen sich nachvollziehen, die Erforschung des Universums miterleben. Und als ginge es darum, allen Kritikern zu beweisen, wie tolerant man doch ist, sind Bibel, Koran und Thora zu sehen. Doch ohne Superlative geht es auch hier nicht: Alle warten fiebernd auf den Tag, an dem endlich der „Salvator Mundi" zu sehen sein wird. Das Bild, das Leonardo da Vinci zugeschrieben wird, ist das teuerste je verkaufte Kunstwerk der Welt: Es wurde jüngst bei einer Auktion für 450 Millionen Dollar ersteigert.
Vergessen ist nun, dass zwischen Ankündigung und Eröffnung des Louvre Abu Dhabi ganze zehn Jahre ins Land gegangen sind. Den Scheichs war das Projekt so wichtig, dass sie eine schöne Stange Geld ausgegeben haben. Kolportiert wird – noch ohne den Aufwand für den Bau und die Kunstwerke – die Summe von einer Milliarde Euro. Dafür darf der neue Ableger des Louvre den Namen der Pariser Institution 30 Jahre lang nutzen, außerdem schulen die Franzosen die lokalen Kuratoren. Für viel Abwechslung in den Ausstellungsräumen unter der riesigen Kuppel ist gesorgt: Der Louvre am Persischen Golf bekommt bis 2027 jährlich bis zu 300 Kunstwerke aus 13 französischen Kultureinrichtungen ausgeliehen.
Parallel dazu wächst die eigene Museumsammlung. Neben dem berühmten Leonardo-Gemälde zählen dazu auch zeitgenössische Werke wie die „Fountain of Light" des im Berliner Exil lebenden Konzeptkünstlers Ai Weiwei.
Weitere Gebäude geplant
Saadiyat Island, nur ein paar Autominuten entfernt vom Stadtzentrum Abu Dhabis, könnte sich in den nächsten Jahren zu einem Kultur-Hotspot entwickeln. Weltberühmte Architekten haben Entwürfe für Gebäude geliefert, die alle neben dem neuen Louvre entstehen sollen: Norman Foster für ein Nationalmuseum, Frank Gehry für ein Guggenheim-Museum, Tadao Ando für ein Meeresmuseum und Zaha Hadid für ein Zentrum für Darstellende Kunst. Alles werde gebaut, heißt es in offiziellen Statements, doch Eröffnungstermine will niemand nennen – vielleicht auch, weil es wegen der schlechten Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in den Emiraten bereits Boykottaufrufe diverser Künstler gab. Wohnen kann man aber schon auf der sogenannten Insel der Glückseligkeit: Ein Fünf-Sterne-Hotel mit Privatstrand reiht sich hier an das andere.
Unabhängig von den staatlichen Großprojekten entwickelt sich in Abu Dhabi, ähnlich wie in den benachbarten Emiraten Dubai und Sharjah, langsam eine kleine Kunstszene. Da hilft, dass die private New York University auf Saadiyat Island einen Campus eröffnet hat, auf dem sich auch eine kleine Kunsthalle versteckt. Hier organisierte Direktorin Maya Allison jüngst die Ausstellung „But We Cannot See Them". „Wir wollten zeigen, dass es in den Emiraten seit den 80er-Jahren Künstler gibt", erklärt die Kuratorin. „Nur war der Rest der Welt ziemlich ignorant und hat sie lange übersehen."
Die Etihad Modern Art Gallery im Zentrum schlägt in ihren Ausstellungen ebenfalls Brücken zwischen Arabien und dem Rest der Welt. Besucher werden nebenan im Art House Café verpflegt, das mit den aus Abfall hergestellten Möbeln auch als Berliner Szenekneipe durchgehen würde. Die Avantgarde der Emirate trifft sich derweil im Hafenareal: Das Warehouse 421 zeigt auch große Installationen und Videoprojektionen. Zwar haben die Künstler hier nicht alle Freiheiten: Religion, Nacktheit und Herrschaftskritik sind sensible Themen. „Manche Bilder haben wir nur intern gezeigt und dann wieder abgehängt, um niemanden zu verunsichern", erzählt eine Künstlerin. Doch wer genau hinsieht, merkt schnell, dass manch ein Werk die Grenzen des Erlaubten austestet.