Weltweit wird derzeit zu viel Stahl produziert. Die deutschen Hersteller haben damit aktuell nur wenige Probleme – trotz der US-Strafzölle. Der erste Nationale Stahlgipfel will dennoch die Interessen der bundesdeutschen Stahlländer vorsorglich in einer Allianz bündeln.
Deutschland ist Stahlland. Vor allem Spezialstähle werden hier produziert, die Nachfrage stimmt. Die derzeitige weltweite Krise, Handelskriege und Überproduktionen, sind bislang für Unternehmen wie Thyssenkrupp, Salzgitter, Arcelor, Dillinger und Saarstahl glimpflich ausgegangen. Doch das könnte sich ändern. Denn die Überproduktion – laut OECD 660 Millionen Tonnen – könnte sich neue Absatzmärkte suchen, auch in Europa. Um nun mehr Gewicht in möglichen künftigen Krisen zu erhalten, wollen deutsche Bundesländer, in denen Stahl produziert wird, enger zusammenarbeiten. Die deutschen Stahl-Bundesländer ziehen an einem Strang, „um nachhaltiger für die heimische Stahlindustrie eintreten zu können", sagt Anke Rehlinger (SPD). Die deutsche Wirtschaftsministerkonferenz, deren Vorsitzende die saarländische Ministerin aktuell ist, hatte sich bei ihrer Herbsttagung bereits mit der Situation der Stahlindustrie befasst. Dafür verantwortlich ist unter anderem die Wirtschaftspolitik der US-Regierung, die ihre eigene geschwächte Stahlproduktion vor dem Weltmarkt schützen und vor allem China für ihre Überkapazitäten bestrafen will. „Ich glaube, dass wir engere kontinuierlichere Abstimmungsprozesse zwischen den Stahlländern brauchen", so Rehlinger. In Begleitung der aktuellen Politik sei es hilfreich, sich in einer solchen Allianz ständig abstimmen zu können. Zugleich gelte es, für die Bedeutung des Stahls zu „trommeln". Rehlinger: „Meine Erfahrung ist, dass wir ein Thema dauerhaft bespielen müssen, damit es in den Köpfen derer ist, die darüber zu entscheiden haben." Die vorläufigen europäischen Schutzmaßnahmen müssten festgeschrieben werden, sagte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. Es sei sehr besorgniserregend, dass die Importe nach Europa zwischen Januar und Mai um acht Prozent gestiegen seien.
Enge Kooperation der Stahlländer
In einem ersten Schritt wollen außer dem Gastgeberland Saarland die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie die Länder Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen daher diese Allianz schmieden. Zum ersten Nationalen Stahlgipfel am 22. Oktober werden rund 2.500 Gäste erwartet, sagte Rehlinger vor der Landespressekonferenz. Zu den Rednern in Saarbrücken zählen unter anderem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Bundesaußenminister Heiko Maas, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, und der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann. Unter dem Motto „Stahl stärken. Zukunft sichern" werde es darum gehen, eine gemeinsame Position zu erarbeiten, „um die Wettbewerbsfähigkeit einer Hightech-Branche dauerhaft zu erhalten".
Hightech und Stahl, das geht nur auf den ersten Blick nicht zusammen. Maschinelles Lernen beispielsweise bestimmt noch nicht den Alltag in einem Stahlwerk. Aber es hilft bereits jetzt, Muster in den zahlreichen komplexen Arbeitsabläufen oder maschinellen Daten zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen. Ein digital abgebildetes Walzwerk zeigt die Bewegung eines einzelnen Werkstücks durch die Produktionsprozesse und soll helfen, die Logistik im Unternehmen zu optimieren. Künstliche Intelligenz in einer Stahlhütte? Längst keine Zukunftsmusik mehr, stellt die Dillinger Hütte klar, neben Saarstahl eines von zwei großen Stahlunternehmen, die zur Stahlholding Saar (SHS) gehören. „Kaum einer weiß, dass wir eine Menge Informatiker beschäftigen", erklärt Technikvorstand Bernd Münnich anlässlich der Dillinger-Innovationstage. Denn die Anforderungen an Festigkeit des Stahls, seine chemische Zusammensetzung, Walz- und Kühlparameter, kurz: die Komplexität der Herstellung wird höher; hochfeste Sicherheitsstähle, Arctic-Stähle, die auch bei tiefsten Temperaturen den Anforderungen gerecht werden, die Nachfrage nach immer extremeren Spezialisierungen steigt. Seit einigen Monaten ist Christian Weber Innovationsmanager bei Dillinger, wie sich der Stahlproduzent nun nennt. Die Innovationen aus dem Kreis der Mitarbeiter hat bereits eine Kunden-App hervorgebracht, das Stahlunternehmen schafft eigens Räume für die Entwicklung neuer Ideen. Denn seine eigene Zukunft sichern will Dillinger nun auch mit der Kreativität der eigenen Mitarbeiter und einer Vielzahl von Forschungsinstituten, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet.
Höhere Komplexität
Und Saarstahl? Obwohl die Herausforderungen immens groß seien, blicke Saarstahl optimistisch in die Zukunft, erklärte Dr. Klaus Richter, Vertriebsvorstand bei der Saarstahl AG, vor rund 200 Kunden aus aller Welt anlässlich der Jubiläumsfeier 425 Jahre Saarstahl. „Derzeit erleben wir eine Neuordnung der Stoffströme weltweit, und auch der Stahl wird neue Wege finden", so Richter weiter. Sowohl die Kunden als auch die Stahlerzeuger selbst sind angesichts dieser Entwicklung nervös und verunsichert. Auslöser der Nervosität ist ebenfalls die Wirtschaftspolitik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Die erhobenen Zölle auf Stahlprodukte, der angezettelte Handelskrieg mit China sowie die Überlegungen weiterer Staaten wie Türkei oder Kanada, Zölle zu erheben, seien Hauptursachen für die derzeitig unsichere Lage auf den internationalen Stahlmärkten.
Trotz Verteuerung der Stahlprodukte in den USA beliefert Saarstahl weiter auf den amerikanischen Markt. Die von den USA erhobenen Zölle zahlen derzeit die Kunden, erklärt Saarstahl auf Nachfrage. So verbaut die US-amerikanische Automobilindustrie nach wie vor zahlreiche Produkte, die ursprünglich aus dem Saarstahl-Werk Neunkirchen stammen. Das liege an der hohen Qualität und dem Service, so der Vertriebsvorstand von Saarstahl. Es gebe in den USA dafür so gut wie keine Konkurrenz. In Neunkirchen fertigen heute rund 900 Mitarbeiter 950.000 Tonnen Walzprodukte, die zu gut 70 Prozent Anwendung in der Automotive-Branche finden, zum Beispiel als Getriebe- und Motorteile, Verbindungselemente für Autoschlösser oder Sicherheitsgurte, Fahrzeugfedern und Wälzlager. „Es gibt heutzutage kaum ein Auto, in dem keine Saarstahl-Teile verbaut sind", ist sich Martin Graus, Leiter Qualitätswesen, sicher. Ein paar Kilo Saarstahl seien in jedem Fahrzeug drin.
Ruf nach fairem Wettbewerb
Grund für den Optimismus sei vor allem die Innovationskraft, betonte Richter. „Wir stellen Produkte her, die am Markt nachgefragt, nachhaltig und zum Teil unter extremen Bedingungen vielseitig einsetzbar sind." Das gilt beispielsweise für Werkstoffe mit deutlich verbesserten Eigenschaften, die zur Gewichtsreduzierung von Autos beitragen, was gleichbedeutend mit weniger CO2 ist. Rund 30 Millionen Euro hat Saarstahl in die Modernisierung der Walzstraße im Werk Neunkirchen investiert. Rund 100 Millionen Euro nimmt das Unternehmen in die Hand, um die neue Stranggießanlage zu bauen. Investitionen, die sich langfristig rechnen müssen, will das Unternehmen weiterhin auf Wachstumskurs bleiben. Die Zahlen für das laufende Geschäftsjahr sprechen dafür, so Richter, „wir werden mindestens das Niveau vom Vorjahr halten, wenn nicht sogar besser sein." Grundvoraussetzung dafür sei allerdings ein fairer Wettbewerb. Faire Bedingungen für alle Stahlerzeuger lautet daher seit Langem die Forderung an die Politik, ob nun beim CO2-Zertifikatehandel, beim Handel oder beim Umgang insbesondere mit China. Die Chinesen würden sich derzeit sogar sehr restriktiv zeigen, denn aufgrund der guten Binnenkonjunktur würden die eigenen Stahlprodukte in China selbst stark nachgefragt. Hinzu kämen die Probleme Chinas mit dem Umweltschutz, die die eigene Bevölkerung nicht mehr so klaglos hinnehme wie in der Vergangenheit. Im Winter würden sogar Hochöfen aus der Produktion genommen, insbesondere technisch veraltete Anlagen.
Probleme, die sich den deutschen, hochtechnisierten Stahlproduktionsstätten gar nicht stellen würden. Derzeit sei man dabei, neue Geschäftsfelder zu sondieren, heißt es seitens Saarstahl und Dillinger. Für die Digitalisierung sieht sich die SHS-Gruppe gut gerüstet und verspürt auch keinen Fachkräftemangel. „Allerdings sehen wir, dass Zulieferbetriebe und Handwerk zunehmend diesem Problem ausgesetzt sind. Sowohl bei Fachkräften als auch bei Auszubildenden", so Vertriebsvorstand Richter.