Medizinische Schlankmacher haben einen schlechten Ruf, weil die Gewichtsreduktion zu gering ist und die Nebenwirkungen zu hoch sind. Bei einem in einer Langzeitstudie geprüften US-Präparat könnte das anders sein.
Die FDA (Gesundheits- und Arzneimittel-Zulassungsbehörde der USA) hatte 2012 erstmals nach 13 Jahren wieder eine Abnehmpille für den heimischen Markt zugelassen. Woraufhin die Arena Pharmaceuticals aus San Diego das Diät-Medikament unter dem Handelsnamen Belviq mit dem Wirkstoff Lorcaserin in den Handel gebracht hatte. Lorcaserin aktiviert im Gehirn einen Rezeptor, mit dessen Hilfe ein Sättigungsgefühl und eine Appetitzügelung ausgelöst werden. Zweimal täglich eingenommen (monatliche Kosten zwischen 220 und 290 Dollar), gaukelt Lorcaserin dem Gehirn ein Völlegefühl vor.
Die Entscheidung der FDA, von der allerdings nur Betroffene mit einem Body-Mass-Index über 30 oder Patienten mit einem BMI von über 27 mit weiteren gewichtsrelevanten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder hohem Cholesterinspiegel profitieren sollten, war schon überraschend. Die Gewichtsreduktion fiel nämlich in ersten klinischen Studien eher bescheiden aus. Doch immerhin hatte der Hersteller offenbar überzeugend die Sicherheitsbedenken der FDA hinsichtlich möglicher gravierender Nebenwirkungen ausräumen können. Eine wesentliche Rolle für die FDA dürfte auch die Tatsache gespielt haben, dass Übergewicht in den USA, wo ein Drittel der Bevölkerung fettleibig ist, ein besonders großes Problem darstellt, das die Gesundheitskosten enorm in die Höhe getrieben hat. Daher stand die FDA enorm unter Druck, endlich mal wieder ein neues Präparat zuzulassen, auch wenn dieses die frühere Messlatte der US-Behörde von zehn Prozent Gewichtsreduktion bei Weitem nicht erreichen konnte.
Die FDA knüpfte die Zulassung allerdings an zwei Auflagen. Zum einen sollte die Einnahme des Medikaments bei Patienten, die nach zwölf Wochen nicht wenigstens fünf Prozent ihres Körpergewichts verloren hatten, abgesetzt werden. Zum anderen sollte in weiteren Studien, inklusive einer Langzeitstudie, die Unbedenklichkeit der bei Abnehmpillen typischen Nebenwirkungen, vor allem Herzerkrankungen oder Depressionen, nachgewiesen werden. Genau das war das Ziel einer großen Langzeitstudie, an der 12.000 adipöse oder übergewichtige Menschen aus acht verschiedenen Ländern teilnahmen.
In der EU bislang nicht zugelassen
Geleitet wurde die Studie von Dr. Erin Bohula, Herzspezialistin an einem Lehrkrankenhaus der renommierten Harvard Medical School in Boston. Die wesentliche Erkenntnis aus der Studie lautete: Der Appetithemmer verursachte bei Langzeiteinnahme offenbar keine schweren Herzprobleme. Grund genug für Tam Fry, den Sprecher des britischen National Obesity Forums, einer sich mit Fettleibigkeit beschäftigenden Vereinigung, vom neuen „Heiligen Gral" der Abnehmmedizin zu sprechen: „Das ist, wonach alle gesucht haben".
Es könnte tatsächlich ein Meilenstein der Diät-Forschung sein. Frühere Abnehmpillen hatten gravierende Nebenwirkungen und sogar Todesfälle zur Folge. In den 1970er-Jahren war das Diabetesmittel Mediator als Appetitzügler auf den Markt gebracht und von rund fünf Millionen Menschen eingenommen worden. Allein in Frankreich sollen mindestens 500 Personen daran gestorben sein, andere Schätzungen gehen sogar von bis zu 2.000 Opfern aus. Seit 2009 ist es europaweit verboten. In den USA war das Präparat Phentermin in der nach ihm benannten Fen-Phen-Diät Ende der 1990er-Jahre in Verruf geraten, weil es zu Herzklappenfehlern mit Todesfolgen gekommen war. Seltsamerweise hatte die FDA fast zeitgleich mit Lorcaserin/Belviq Mitte 2012 einer neuen Phentermin-Wirkstoff-Kombination mit dem eigentlich gegen Migräne und Epilepsie entwickelten Arzneistoff Topiramat unter dem Handelsnamen Qsymia ebenfalls die Zulassung für den US-Markt erteilt. Der Schlankmacher Acomplia des französischen Pharmakonzerns Sanofi-Aventis war 2008 aus dem europäischen Handel genommen worden, weil bei Patienten neben Herz-Kreislaufproblemen auch psychische Nebenwirkungen wie Depressionen und Angstgefühle bis hin zu Suizidversuchen aufgetreten waren.
Für die neue Langzeitstudie wurde Lorcaserin über 40 Monate an zwei Probandengruppen getestet. Die einen bekamen den Appetitzügler, die anderen ein Placebo. Die Lorcaserin-Gruppe verlor im Schnitt vier Kilogramm Körpergewicht. Bei knapp 3.300 der Lorcaserin-Probanden wurde explizit und erfreulicherweise ergebnislos nach möglichen Schädigungen der Herzklappen gesucht. Über den gesamten Studienzeitraum verloren 39 Prozent der Lorcaserin-Gruppe mindestens fünf Prozent ihres Körpergewichts, in der Placebo-Gruppe verloren nur gut 17 Prozent ähnlich viel Gewicht. In der Lorcaserin-Gruppe hatten die Teilnehmer mit einem durchschnittlichen Ausgangsgewicht von 102 Kilogramm nach einem Jahr im Schnitt 4,2 Kilogramm abgenommen. Bei den Patienten mit Placebo waren es 1,4 Kilogramm. Nach 40 Monaten hatte sich die Differenz zwar auf 1,9 Kilogramm verringert, war aber immer noch signifikant. Auch positive Effekte bezüglich des Blutzuckers, Blutdrucks und der Nierenfunktion konnten in der Lorcaserin-Gruppe konstatiert werden. Ganz frei von Nebenwirkungen war die Einnahme von Lorcaserin allerdings nicht. Am häufigsten traten dabei Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit auf. Auch etwaige Auswirkungen auf die individuelle Gemütslage konnten nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
In der EU ist Lorcaserin bislang nicht zugelassen. Ob sich das infolge der Langzeitstudie ändern wird, bleibt abzuwarten. Bislang vertritt der zuständige Fachausschuss der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA) die Ansicht, dass die Gewichtsreduktion durch Einnahme des Medikaments Belviq zu „bescheiden" sei und die Einnahme ein erhöhtes Risiko zur Erkrankung am Serotonin-Syndrom mit sich bringen könne.