„All" – das ist nicht nur ein leerer Bierkasten, sondern auch das Ziel einiger saarländischer Unternehmen. Denn die Weltraumindustrie ist auch hierzulande aktiv. Bislang gab es noch keine Forschungsprojekte aus dem Bundesland im All. Das könnte sich dank der ESA Ice-Cubes nun ändern, glaubt Astronaut Dr. Matthias Maurer.
Das Weltall und seine unendlichen Weiten ziehen Wissenschaftler aus aller Herren Länder magisch an. Die Erforschung fremder Planeten und Sonnensysteme, die Suche nach unbekanntem Leben, der Wettlauf zum Mond, Marsmissionen: Politiker aus den führenden Industrienationen überschlagen sich förmlich in ihren Visionen, wenn es um das Thema Weltraum geht. Dass dahinter knallharte Wirtschaftsinteressen stehen, zeigt die jüngste Entwicklung einer im Aufschwung befindlichen Weltraumindustrie.
Der Platzhirsch im All bleiben die USA. Neben der NASA verspüren zunehmend mehr Privatleute wie der Unternehmer Elon Musk mit seinem SpaceX-Raketenprogramm oder das Startup Orion Span mit visionären Hotelbauten im All Lust auf Weltraumabenteuer. Die 20 Jahre alte Internationale Raumstation ISS soll ab 2024 möglichst von privaten Investoren in einem Konsortium weiterbetrieben werden. Die Chinesen wollen dagegen bis 2022 ihre eigene Raumstation im All fertigstellen, neu und modern und mit 60 Tonnen deutlich leichter als die 460 Tonnen schwere ISS.
Japan stellt rund eine Milliarde Euro in einem Fonds für Weltraumforschung als Anschubfinanzierung zur Verfügung. Das Großherzogtum Luxemburg mit der kürzlich auf den Weg gebrachten Weltraumagentur gibt 200 Millionen Euro in einen Topf für Risikokapital. Auch Frankreich mit 100 Millionen und Italien mit 80 Millionen Euro haben längst die wirtschaftliche Bedeutung des Weltraums erkannt. Ziel aller Initiativen ist es, den Weltraum für die Wirtschaft lukrativ und anziehend zu machen.
ESA schüttet Milliarden aus
Und Deutschland? Man überlege noch, sagt Dr. Matthias Maurer, Materialwissenschaftler und Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Der gebürtige Saarländer geht davon aus, dass er 2020 den lang ersehnten Flug zur ISS antreten kann. Nur allzu gern würde er auch ein saarländisches Forschungsprojekt mit an Bord nehmen, wenn es zum sechsmonatigen Aufenthalt auf die ISS in 400 Kilometern Höhe geht. Sein deutscher Kollege Alexander Gerst begleitete bereits wissenschaftliche Projekte aus allen Bundesländern ins All, aber noch nie eines aus dem Saarland. Getestet werden dort Pumpen ohne mechanische Bewegung, Proteine für die Medikamentenentwicklung werden gezüchtet und Versuche in der Schwerelosigkeit durchgeführt oder Schlüsseltechnologien wie 3-D-Druck weiterentwickelt. Über 2.000 Experimente aus Physik, Biomedizin, Chemie, Technik oder Materialwissenschaften gab es bereits an Bord der ISS mit wertvollen Erkenntnissen für Wissenschaft und Fortschritt.
Da Flüge und Transport ins All sehr teuer sind, gibt es das ESA-Projekt Ice Cubes. In Würfeln – das kleinste Format ist 10 x 10 x 10 Zentimeter groß – können die Forschungsprojekte ihre Reise ins All antreten, zum Preis von 35.000 Euro für Unis und 50.000 Euro für die Industrie. „Dafür sollte sich im Saarland ein Joint Venture, Start-up oder ein Unibereich finden lassen", zeigt sich Matthias Maurer optimistisch.
Dass die Weltraumindustrie für die saarländische Wirtschaft durchaus lukrativ sein kann und auch bereits ist, macht der Blick auf die Zahlen deutlich. Die ESA vergibt Aufträge für rund fünf Milliarden Euro, davon etwa eine Milliarde Euro in Deutschland. Über eine Ausschreibeplattform können sich interessierte Unternehmen bewerben, alleine oder im Konsortium, je nach Qualität und Größe des Auftrags.
Welche Aktivposten das Bundesland in Sachen Weltraum hat, will auch die Politik bekannt machen. Bereits zwei Mal hat der Regionalverband Saarbrücken einen „Euro Space Day" sowie Workshops zum Thema veranstaltet, „um die Bedeutung der Weltraumindustrie überhaupt erst einmal bekannt zu machen und um interessierte Unternehmen zusammenzubringen", so Mirjam Altmeier-Koletzki vom Regionalverband. „Uns geht es außerdem darum, jungen Menschen zu zeigen, dass es im Saarland eine Reihe von hochinteressanten und qualifizierten Arbeitsplätzen gibt. Wir wollen die Menschen nach ihrer Hochschulausbildung im Land halten", so die Zielsetzung. Was viele oft nicht wissen: Die ESA sei auch als Auftraggeber für klein- und mittelständische Unternehmen interessant, erklärt Manfred Schneider vom Regionalverband. „Die KMUs sind oftmals sehr flexibel und spezialisiert, genau richtig für die ESA."
So wurde beispielsweise die Cera Novis aus Saarbrücken von der ESA entdeckt. „Die ESA hatte ein technisches Problem mit der Oberfläche von Raumsonden, die sehr hitzebeständig und Temperaturen von rund 400°C aushalten müssen", sagt der Geschäftsführer Dr. Frank Meyer. Cera Novis als Technologieführer für keramische Schutz- und Antihaftbeschichtungen entwickelte ein Material als hauchdünne Schutzbeschichtung. Von der ersten Idee bis zur Umsetzung dauerte es zehn Jahre. Wenn Ende Oktober die Raumsonde Bepi Colombo vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou zum Merkur startet, werden die Mitarbeiter von Cera Novis gebannt zuschauen. Denn diese Sonde trägt die Schutzschicht des Unternehmens. „Natürlich hoffen wir auf weitere Aufträge von der ESA oder der Airbus-Gruppe, aber bereits die Kompetenz, für die ESA zu arbeiten, ist gut für unser Image und unser Qualitätsmanagement", freut sich Dr. Frank Meyer.
Ähnliche Erfahrungen mit der ESA macht die Instillo Group aus Überherrn. Das Nanotechnologie-Unternehmen untersucht in einem Projekt Medikamente und deren Wirkstoffe für die Wundheilung von Astronauten in Schwerelosigkeit. Ein weiteres geplantes Projekt ziele auf die Züchtung von Algen, um bestimmte Stoffe wie Omega-3-Fettsäuren zu erhalten, die für Astronauten auf Langzeitmissionen im All notwendig wären, so der Geschäftsführer Dr. Bernd Baumstümmler. Die Marsmission lässt grüßen.
Saar-Unternehmen profitieren von der Raumfahrt
Ebenfalls erfolgreich in der Weltraumtechnik unterwegs sind Forschungsinstitute aus dem Saarland. Das Leibniz-Institut für neue Materialien (INM) entwickelt in Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig Materialien für Weltraumanwendungen. In einem Projekt geht es um sogenannte mikrostrukturierte Haftoberflächen zum Andocken an unkooperative Ziele im All, auf Deutsch: Es geht um die Entfernung von gefährlichem Weltraumschrott. Der vom INM entwickelte Haftmechanismus mit neuen Materialien funktioniert auch im Weltraum im Gegensatz zu den eingesetzten Greifsaugern und hält große Temperaturschwankungen und eine hohe Strahlenbelastung aus.
Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) aus Saarbrücken ist im Bereich Space Robotics Technologies vielseitig engagiert. Space 4.0 und Künstliche Intelligenz gehören eh zu den Schlüsseltechnologien in der Weltraumtechnik. Das DFKI erforscht speziell in Bremen eine neue Generation von Weltraumrobotern, die beispielsweise bei der Erforschung von Mars, Mond und anderen Himmelskörpern zum Einsatz kommen. Intelligente Roboter sollen zur extraterrestrischen Erkundung eingesetzt werden.
Aber auch traditionelle Unternehmen arbeiten für die ESA. So liefert die Saarstahltochter Saarschmiede die Teile der Außenhülle der Booster für die Ariane-5-Rakete. Der benötigte hochreine Spezialstahl wird im Elektrostahlwerk der Saarschmiede erzeugt und unter Vakuum noch einmal eingeschmolzen. Erst danach erfolgt die Schmiedung. Kleinere und schon länger am Markt erfolgreiche Unternehmen wie die Consulting- und Managementfirma CBM aus Bexbach im Bereich der satellitengestützten Gravimetrie oder die VSE NET-Tochter Euro Sky Park aus Saarbrücken auf dem Gebiet der Satellitenkommunikation sind mit Weltraumtechnologie vertraut. IT-Unternehmen wie Meta-Level oder Dialogika oder das zukünftige CISPA Helmholtz-Institut stehen in den Startlöchern und hoffen auf den einen oder anderen Auftrag von der ESA, sei es allein oder im Konsortium.
Für eine Vielzahl saarländischer Unternehmen ist das Weltall mit seinen ungeahnten Möglichkeiten bereits ein Stück Realität. Doch der Griff nach den Sternen könnte forciert werden, glaubt Astronaut Matthias Maurer: „Warum führt die Saar-Universität den zukunftsträchtigen und längst überfälligen Masterstudiengang Raumfahrt nicht ein wie an der Uni Luxemburg?" Eine Kooperation beider Unis wäre doch ein guter Weg, so Maurer. Man müsse es nur wollen.