Wer sich seinen Urlaubsort von einem lokalen Stadtführer zeigen lassen will, wird in Zukunft an Get Your Guide kaum mehr vorbeikommen. Vor zehn Jahren haben vier Freunde in Zürich das inzwischen in Berlin ansässige Weltunternehmen gegründet. Tao Tao war einer davon.
Jung. Sehr jung. Das ist der erste Gedanke, der einem in dem Sinn kommt, wenn man Tao Tao gegenübersitzt. Der 28-Jährige wirkt noch jünger als er ohnehin ist. Schnell aber revidiert man seine Einschätzung, denn der in Peking geborene Unternehmenschef strahlt eine Weltläufigkeit und Souveränität aus, die beeindruckt. Nach einer langen Odyssee ist Tao inzwischen wieder dorthin zurückgekehrt, wo seine Welttour nach dem Umzug aus China begann – nach Berlin. Seine Mutter hatte in den 80er-Jahren als erste chinesische Physikerin ein Promotionsstipendium für Deutschland bekommen und war nach Westberlin gezogen. Tao erinnert sich noch daran, wie sie in einer Sozialwohnung an der Autobahnausfahrt in Steglitz wohnten. Die weiteren Lebensstationen führten ihn nach München, dort machte er sein Abitur, in die USA, wo er auf verschiedenen Eliteschulen lernte und nach Zürich zum Studium.
Studenten mit einer Idee
Die Idee zu Get Your Guide – einer Vermittlung von Sightseeing-Angeboten für Städtetouristen – kam den Jungs einer Züricher Studenten-WG im Jahre 2007. Damals waren die jungen Männer zu einer Studentenkonferenz in Peking eingeladen. Taos Freunde reisten allerdings einige Tage vor ihm in die chinesische Kapitale und erlebten dort ohne Orts- und Sprachkenntnisse eine eher durchwachsene Zeit. Erst als auch Tao ankam, ändert sich das. Der lotste seine Freunde zielsicher durch seine Geburtsstadt und zeigte ihnen Orte, die nur Insider kennen. „Plötzlich war alles interessanter und auch billiger", erinnert sich Tao lachend. Aus diesem Erlebnis entstand eine Geschäftsidee. Warum sollen nicht alle Reisenden den Luxus genießen, sich von einem Einheimischen durch eine für sie fremde Stadt führen zu lassen? Der erste Versuch, die Idee umzusetzen, scheiterte allerdings. Vor den Olympischen Spielen in Peking im Jahre 2008 warben Tao und seine Kumpels chinesische Studenten an, die Olympiagäste durch die Stadt führen sollten. Die potenziellen Guides waren schnell gefunden. Allein die Aussicht, ihre Fremdsprachenkenntnisse trainieren zu können, war für sie schon Lohn genug. „Wir sind damals wohl etwas blauäugig rangegangen", meint Tao rückblickend. Schnell stellte sich nämlich heraus, dass die Nachfrage nach ungelernten Guides gleich null war. Die Orts- und Sprachkenntnisse der chinesischen Studenten waren schlichtweg zu gering, um potenzielle Kunden begeistern zu können. Schnell war Tao und seinen Mitstreitern klar, dass sie sich auch bei Stadtführungen nicht auf Amateure verlassen konnten. So entstand die Idee einer Internetplattform, auf der man professionelle Führungen in allen großen Städten der Welt buchen konnte. Dadurch, dass man nun die Dienste von Profis vermittelte, stieg die Qualität des Angebots, das zudem durch einsehbare Kundenbewertungen transparenter wurde.
„Wir hatten damals einfach Lust, etwas Eigenes zu machen", sagt Tao. Er erzählt, dass kein einziger Touristiker, mit dem sie damals über ihre Pläne gesprochen haben, an den Erfolg des Unternehmens geglaubt hat. Das schreckte die Studenten aber nicht ab. Sie wollten einfach ausprobieren, ob sich ihre Idee umsetzen lässt. „Und falls es nicht klappt, haben wir etwas für unseren Lebenslauf." So hätten sie sich damals getröstet, sagt Tao. Trotz kritischer Stimmen blieben die Jungunternehmer aus der WG aber immer optimistisch, denn der weltweite Reisemarkt entwickelte sich im Eiltempo – in China und Indien entstanden riesige neue Märkte. Millionen von Menschen begannen, dorthin zu reisen. Und auch im Lande des Reiseweltmeisters Deutschland veränderten sich die Urlaubswünsche – der stete Wechsel zwischen Strand und Bar genügte nicht mehr. Wer heute verreist, will etwas erleben. „Wir wussten, wir haben einen großen und unberührten Markt vor uns", so Tao über die Anfangsphase des Unternehmens.
Geld aus Übersee
Eine gute Idee allein reicht jedoch nur selten aus, um ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen. Es braucht auch Kapital. „Die ersten Geldgeber", so erzählt Tao, „waren unsere Familien". Und weiter: „Damals haben wir uns selbst ein Gehalt bezahlt, das 40 Prozent des Mindestlohns der Schweiz entsprach. Nach der Aufbauphase reichte die Unterstützung durch die Verwandten für den nächsten Schritt nicht mehr aus. Nach dem Umzug von Zürich nach Berlin benötigte das junge Unternehmen 2013 dann „richtig Geld" – jetzt sollte expandiert werden. Die Vermittlung von Stadtführungen im Internet war damals aber eine völlig neue Idee, ein entsprechendes Vorbild gab es nicht – also auch kein nachweisbares Erfolgsmodell. Deutsche und auch Schweizer Geldgeber schreckte das ab, amerikanische aber zog genau das an. Eine gute Geschäftsidee und keine Konkurrenz – das war für die Investoren aus Übersee die ideale Kombination. „Die erste Buchung kam damals von Johannes’ Mutter", so Tao. Die Rede ist von Johannes Reck, einem der drei weiteren Firmengründer.
In den vergangenen Jahren hat sich Get Your Guide rasend schnell entwickelt. Heute bietet das Unternehmen über 40.000 touristische Aktivitäten in mehreren Tausend Reisezielen an – von der klassischen Busrundfahrt bis hin zu kulinarischen Spaziergängen und geführten Pub-Touren. Seit der Gründung hat man bisher mehr als 20 Millionen Aktivitäten vermittelt. Nicht zum Angebot gehören Komplettreisen von mehreren Tagen oder Wochen, sondern immer nur Besichtigungen, Touren oder Führungen vor Ort.
Vermittlung als Geschäftsmodell
Get Your Guide bietet aber keine eigenen Touren an, sondern tritt lediglich als Vermittler auf. Für den Kunden ist dieser Service kostenfrei, der Anbieter muss aber etwa 30 Prozent seiner Einnahmen weiterreichen. Für viele kleine Anbieter, die mit engen Margen kalkulieren, ist das zu viel.
Manchmal wundert sich Tao über wütende Kritiken von Kunden, die Get Your Guide für die Qualität von Führungen und Touren verantwortlich machen. „Die wissen nicht, dass wir nur der Vermittler sind", sagt er. Zwar versucht Taos Team schwarze Schafe aus der Plattform zu verbannen, doch bei der Vielzahl der Angebote scheint das aussichtslos. Trotzdem muss der Kunde natürlich nicht die Katze im Sack kaufen. Anhand der Bewertungen kann er die Qualität des Angebots selbst einschätzen.
Inzwischen sind die Neu-Berliner, die weltweit größte Online-Buchungsplattform für Ausflüge und Touren. Und das Wachstum soll weitergehen. In den kommenden Jahren ist der Gang an die Börse geplant. Ein genauer Zeitplan steht zwar noch nicht fest, doch für die weitere Expansion brauchen die Jungunternehmer Geld, und das soll von den Aktionären kommen. Trotz des rasend schnellen Aufstiegs ist der Ehrgeiz bei Tao nach wie vor da. Geht es nach ihm, dann geht es immer weiter nach oben. Er frage sich die meiste Zeit, wie man mit Get Your Guide in „die nächste Liga" aufsteigen könne. Und dann schiebt er hinterher: „Die wichtigste Eigenschaft von Gründern ist Unzufriedenheit als Konstante."
Mitarbeiter aus aller Welt
In Berlin zieht das Unternehmen im kommenden Jahr in eine neues Haus um – das alte Umspannwerk Ampere im Norden vom Prenzlauer Berg wird dann die Weltzentrale von Get Your Guide. Und auch die Zahl der Mitarbeiter steigt – von derzeit 350 auf mehr als 800. „Wir arbeiten in einem Markt, der unheimlich am Wachsen ist", sagt Tao. Warum das so ist, erklärt er auch: „Es wird immer wichtiger, was man erlebt und nicht, was man besitzt."
Einer der Gründe, warum die Firma 2013 nach Berlin umgezogen ist, sei die Internationalität der Stadt gewesen, so Tao. „Hier ist es viel einfacher als früher in Zürich, Leute aus aller Welt anzuwerben. Trotzdem: Der einheimische Markt kann den Bedarf des „Ausflugvermittlers" nicht decken. Nur zwölf Prozent der aktuellen Mitarbeiter sind Deutsche. Etwa die Hälfte ist dagegen allein wegen des Jobs nach Berlin gezogen. Hier könne man einfach nicht genügend IT- Spezialisten finden, zudem suche man bei Get Your Guide oft auch Mitarbeiter mit ungewöhnlichen Sprachkenntnissen. „Wer mit Anbietern auf Bali oder Thailand verhandelt, muss das in deren Landessprache tun", so Tao.