Im vergangenen Sommer ist der letzte Bundesliga-Dino gestorben: Nach 55 Jahren stieg der Hamburger SV als letztes Gründungsmitglied ab. Der direkte Wiederaufstieg sollte eigentlich ein Selbstläufer sein. Doch beim HSV weiß man nie.
Legt man die öffentliche Unruhe zugrunde, war beim Hamburger SV in den ersten Monaten seiner ersten Zweitliga-Saison schon wieder fast alles schiefgegangen. Bis Anfang Oktober hatte der im Sommer erstmals abgestiegene Bundesliga-Dino bereits zwei ganz heftige Heimniederlagen kassiert. Gegen Mannschaften, gegen die er in den Jahren zuvor allenfalls im Pokal oder generös im Freundschaftsspiel angetreten wäre. 0:3 hieß es gegen Holstein Kiel, 0:5 gar gegen Jahn Regensburg. In vier Spielen hintereinander schoss der HSV nicht ein einziges Tor. Und vor dem Spiel gegen Darmstadt 98 gab es zahlreiche Gerüchte, Trainer Christian Titz würde im Falle einer Niederlage schon vor der Entlassung stehen. Am Ende gewann der HSV in Südhessen mit 2:1 und war nach dem neunten Spieltag Tabellendritter, punktgleich mit dem Zweiten. Für viele war das alles der Beweis: Der HSV kann in diesem Jahr gar nicht so viel falsch machen, dass er am Saisonende nicht aufsteigt.
Nur in Hamburg sollten sie das nicht glauben. Jahrelang reihte sich beim großen und stolzen Club, der bis zu diesem Sommer als einziger von der Bundesliga-Gründung an, im Jahr 1963, immer dabei war, Fehler an Fehler. Es wurden Luftschlösser gebaut und teure Spieler gekauft, um kurz darauf Sportchef und/oder Trainer auszutauschen. Und dann holte man für diese Positionen Leute, die ganz andere Vorstellungen hatten und die bekamen auf sie zugeschnittene teure Spieler.
Da dies selbst beim großen HSV nicht aus den laufenden Einnahmen finanziert werden konnte, ging man eine Allianz mit dem Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne ein. Der Investor wurde für den HSV aber Fluch und Segen zugleich. Oder, wie es die „Welt" beschrieb: „Geldgeber und Unruhefaktor in Personalunion". Kühne war verständlicherweise nicht zufrieden mit dem Ergebnis seiner Investitionen und mischte sich fortan immer mehr in Vereinsbelange ein. Lieh sein Geld nur noch, wenn dafür bestimmte Spieler geholt wurden. So ermöglichte er 2012 die Rückkehr von Fan-Idol Rafael van der Vaart. Doch selbst diese sollte unter keinem guten Stern mehr stehen.
Im Sommer kündigte Kühne seinen Ausstieg an
Kühne war als erfolgreicher Unternehmer immer wieder erstaunt und erschrocken, wie dilettantisch beim HSV gearbeitet wurde, auch mit seinem Geld. Oliver Kreuzer bezeichnete er als „Drittliga-Manager", Dietmar Beiersdorfer bekam ins Stammbuch geschrieben, er sei als Vorstandsvorsitzender „vielleicht zu zögerlich und entscheidungsschwach". An Jens Todt gerichtet, sagte Kühne: „Das gehört zu einem Sportdirektor, dass er nicht nur gut einkaufen kann, sondern auch gut verkaufen." Über Trainer Thorsten Fink urteilte er: „Mir scheint es, als ob er die Mannschaft weder richtig führen noch motivieren kann." Und im August 2017 folgte schließlich das härteste Urteil. „Der HSV ist ein Phänomen, weil die Luschen immer hier hängenbleiben", sagte er im „Spiegel". Als gutes Beispiel diene „Lasogga. Ich weiß gar nicht, ob ich an ihm beteiligt war: Musste der nach einer halben guten Saison mit einem Fünfjahresvertrag und einem Jahresgehalt von über drei Millionen Euro ausgestattet werden? Das war Harakiri, der Flop des Jahrhunderts."
In Hamburg regte man sich über die Kühne-Einmischungen stets auf. Natürlich auch, aber nicht nur, weil sie oft sehr persönlich waren. Die meisten dachten wohl, Kühne solle sein Geld geben und dann ruhig sein. Doch auch, wenn Kühnes öffentliche Einmischungen in der Liga-Geschichte einmalig sind, hätte man sich ihren Kern doch das eine oder andere Mal zu Herzen nehmen sollen. Im Sommer 2018, nach dem Abstieg, kündigte Kühne seinen Ausstieg an, weil sich wohl ein schon deutlich vorher ausgesprochener Eindruck erhärtet hatte: „Ich habe wirklich schon viel zu viel Geld in dieses Hobby investiert."
Beim HSV haben sie in den vergangenen Jahren, auch mit ständig neuem Personal, gefühlt immer so weitergemacht. Eine schlechte Saison galt nicht als Warnschuss, sondern als Beweis dafür, dass es ja noch mal gut gegangen sei. Und mit frischem Kühne-Geld werde es nun schon wieder nach oben gehen. Auch nach dem härtesten Abstiegskampf träumte man in Hamburg noch vom Europacup. Doch nach Platz 15 im Jahr 2012, der bis dahin schlechtesten HSV-Platzierung überhaupt, folgte nur einmal ein Aufschwung mit Rang sieben. Danach retteten sich die Hamburger zweimal mit viel Glück in der Relegation, kämpften sich im Jahr darauf mit einem Kraftakt noch auf Rang zehn, wurden dann mit einem erneuten Kraftakt 14. – und waren im Jahr 2018 dann eben wirklich nicht mehr zu retten. Und nahezu alle Fans, ob sie dem HSV gegenüber nun positiv gestimmt waren oder nicht, kamen zu demselben Schluss: Dieser Verein wird der Bundesliga extrem fehlen. Aber selten war ein Abstieg auf Sicht verdienter und logischer. Die Fragen waren nun: Wie würde der HSV die Zweite Liga annehmen? Wie würde er in Sandhausen oder Heidenheim empfangen und klarkommen? Würde mit dem zu erwartenden Erfolg endlich mal ein wenig Ruhe einkehren? Und wie würde man mit der plötzlichen Favoritenrolle umgehen?
„Viel zu viel Geld in dieses Hobby investiert"
Der Etat des HSV und des Mitabsteigers Köln sind jeweils doppelt so hoch wie der des dritthöchsten eines Vereins aus der Zweiten Liga. „Transfermarkt.de" führt die Kölner mit einem Gesamt-Marktwert seiner Spieler von 76,5 Millionen Euro, die Hamburger mit 58,4 und den FC Ingolstadt als Dritten mit 22,65 Millionen.
Bei der Kader-Zusammenstellung mussten die Hamburger aber viel Flickschusterei betreiben. Teure Spieler, die für viele als „Altlasten" aus den schlechten letzten Jahren galten – wie Lewis Holtby, Pierre-Michel Lasogga oder Aaron Hunt – sollten zunächst verkauft werden. Im Rückblick muss man sagen, dass dies zum Glück nicht geklappt hat. Lasogga schoss den HSV nach Rückstand mit einem Hattrick zum Heimsieg gegen Heidenheim, Holtby und Hunt waren die Torschützen beim 2:1 in Darmstadt. Dazu wurden frische, junge Spieler geholt. Khaled Narey (23) aus Fürth, Hee-chan Hwang (22) aus Salzburg, David Bates (21) von den Glasgow Rangers oder Orel Mangala (20) aus Stuttgart. Solche Spieler wären beim HSV so manchem in den vergangenen Jahren sicher nicht standesgemäß erschienen. Doch dieses Umdenken tut dem Verein sicher gut.
Nach fast einem Drittel der Saison lässt sich festhalten: Der HSV hat nicht nur die zweitteuerste, sondern ziemlich sicher auch die zweitbeste Mannschaft dieser Liga. Dass er nach einem holprigen Start Dritter ist, lässt erahnen, dass der Aufstieg eigentlich ein Selbstläufer werden müsste, wenn die zusammengewürfelte Mannschaft sich findet. Doch von Ruhe sind sie in Hamburg immer noch weit entfernt.
Beim Sieg in Darmstadt fungierte Felix Magath als Experte beim TV-Sender Sky. Magath war als Spieler eine Ikone, schoss beim Gewinn des Europapokals der Landesmeister (der heutigen Champions League) 1983 das einzige Tor im Finale. Später war er in Hamburg Amateur-, Co- und schließlich auch Cheftrainer. Durch den Einfluss von Kühne sollte er später in ein hohes Amt gehievt werden. Nach dessen Ausstiegs-Ankündigung deutete Magath an, Anteile kaufen zu wollen. Dieser Magath urteilte nun fast in Kühne‘scher Manier über die Zustände beim – aktuellen! – HSV. Über Titz sagte er: „Es ist ja gerade die Zeit der Märchenerzähler. Titz ist ein Mann, der gut erzählen kann. Der Anspruch des HSV sollte ein anderer sein, als einen Unbekannten aus der Jugend zu holen und mit so einer Aufgabe zu betreuen." Beim Hype um Titz in dessen Anfangszeit „bekam man ja das Gefühl, als ob Pep Guardiola dreimal am Tag bei Titz anrufen würde." Und auch über den zurückgekehrten HSV-Boss Bernd Hoffmann sagte Magath: „Ich weiß nicht, ob es die richtige Konstellation für den HSV ist." Titz, der Hauptangegriffene, tat das, warum er ebenso beliebt ist: Er blieb ruhig und freundlich. Er telefoniere nur einmal am Tag mit Guardiola sagte er schmunzelnd und erklärte: „Ein so verdienter Mann wie Magath hat solche Kommentare nicht nötig." Worauf Magath antwortete: „Ich war der Meinung, ich habe mich sehr moderat ausgedrückt."
Es bleibt also spannend beim HSV. Und wahrscheinlich auch unruhig. Den Aufstieg kann der Verein eigentlich nicht vermasseln. Aber man glaubte ja auch sehr lange, dass der HSV nicht aus der Bundesliga absteigen kann.