José Mourinho galt lange als einer der besten Trainer der Welt. Doch sein Lebenswerk bröckelt seit Jahren unaufhörlich. Schuld daran haben laut ihm nur die anderen – aber nie er selbst.
Zwischen Manchester United und José Mourinho kriselt es gewaltig – und das, obwohl sich die beiden Parteien ohnehin niemals richtig warm wurden. Dabei hatte sich Mourinho nichts sehnlicher gewünscht und auch mit nichts anderem gerechnet, als irgendwann im Old Trafford auf der Bank zu sitzen. Seit dem Jahr 2004, als er dort mit dem FC Porto durch einen Abstauber in der Nachspielzeit das Champions-League-Achtelfinale für sich entschieden hat und mit einem Jubelsprint in bester Mourinho-Manier sein Charisma feierte, war er fest davon überzeugt, irgendwann im „Theater of Dreams" aufzuschlagen. Er freundete sich mit Alex Ferguson an, zumindest versuchte er es. 2013, als dieser die Fußballbühne verließ, entschieden sich die Verantwortlichen aber für David Moyes. Im Jahr 2016 war es dann aber so weit. Weder Moyes noch Louis van Gaal konnten Fergusons Erbe auf demselben Niveau weiterführen, Mourinho bekam seine Chance. „Ich brauche drei Jahre", sagte Mourinho bei Amtsantritt. Zwei sind nun vergangen und sowohl United als auch „The Special One" sind in einer waschechten Krise angekommen.
„Ich brauche drei Jahre"
Nichts Geringeres als der schlechteste Saisonstart seit 29 Jahren steht momentan zu Buche, zudem gab es gegen den Zweitligisten Derby County im Ligapokal nichts zu holen und United schied aus. Der Fußball hat mit der offensiven Spielweise eines Ferguson nichts mehr zu tun – langweilig und defensiv trifft es eher. Hinzu kommt, dass der Trainer mit großen Teilen der Mannschaft im Clinch liegt. 105-Millionen-Euro-Star Paul Pogba erklärte kürzlich, er dürfe nicht mehr mit den Medien sprechen. Kapitän Antonio Valencia drückte bei einem Instagram-Beitrag, der die Ablösung von Mourinho forderte, den Gefällt-mir-Button, nur um das Stunden später mit einer öffentlichen Entschuldigung zurückzunehmen. Clublegende Paul Scholes nannte Mourinho gar eine „Peinlichkeit für den Verein". Diese drei Vorfälle ereigneten sich alle nach einem faden 0:0 gegen Valencia in der Champions League. Insider beschreiben die Stimmung und das Ambiente als unerträglich. Der große Knall schien bevorzustehen, für die meisten schon, als am darauffolgenden Wochenende Abstiegskandidat Newcastle mit 2:0 gegen die Red Devils führte. Zu Mourinhos Glück zog sich die Mannschaft selbst aus der Schlinge. Es wirkte nicht so, als hätten sie es für ihn getan. Der große Knall scheint nur verschoben.
Sollte dieser Knall eintreten und nicht der große Turnaround gelingen, dürfte in der Riege der Obersten von Man United ein Gefühl von Bestätigung aufkommen. Bobby Charlton und Ferguson sollen im Jahr 2013 verhindert haben, dass „Mou" Trainer von ManU wird. 2016 akzeptierten sie nur unter Murren diese Personalie. „Er ist ein wirklich guter Coach, mehr aber auch nicht", sagte Charlton damals und nahm der Annahme, Mourinho und Ferguson wären seelenverwandt, zudem noch jede Glaubwürdigkeit. „Er mag ihn nicht besonders", sagte er. Der Grund für die Skepsis war einfach zu finden: Mourinhos teils vogelwildes Auftreten als Trainer von Real Madrid. Spitze des Eisbergs war der Fingerbohrer ins Auge des damaligen Barcelona-Assistenten Tito Vilanova. „Ein United-Manager macht so etwas nicht", so Charlton.
Für viele liegt in seiner Zeit bei Real auch der Anfang vom Ende seiner Trainer-Laufbahn als einer der besten der Welt. Vom Superstar einer neuen Trainergattung, die es schaffte, Spieler komplett auf ihre Seite zu ziehen, wurde er dort zu einer Diva, die die Schuld überall sucht, nur nicht bei sich selbst. Für die heutige Generation etwas weit weg, aber trotzdem nicht vergessen: Mit Porto gelang ihm zuerst der Sieg im Uefa Cup, danach 2004 dann der Gewinn der Champions League. Bis heute eine der größten Sensationen der vergangenen 20 Jahre. So sollte es weitergehen. Beim FC Chelsea gab er sich dann den eigenen Spitznamen „The Special One" und ließ auf seine großspurigen Worte auch Taten folgen. Zwei Mal gewann er die Liga souverän, etablierte einen Club, den vorher niemand ernst im europäischen Fußball nahm. Als der Zauber nach vier Jahren vorbei war, schien in London eine Welt zusammenzubrechen. Spieler waren den Tränen nahe, Fans auch. Sein Weg führte ihn danach zu Inter Mailand. Dort schaffte er es, eine Mannschaft über ihrem Zenit zum ersten Champions-League-Sieg seit 1965 zu führen. Im Finale gegen Bayern schlug er damit seinen einstigen Lehrer Louis Van Gaal, ehe danach Spieler wie Marco Materazzi in seinen Armen weinten wie Schuljungen.
Anders war es aber in Spanien. Größer eben. Schließlich waren es die Königlichen. Ziel war es, die Dominanz des FC Barcelona zu brechen, gelungen ist ihm das nie wirklich. Mourinho gewann in drei Jahren zwar eine Meisterschaft und einmal den spanischen Pokal. Der Grundstein für die folgende Dominanz von Madrid mit La Decima und drei Champions-League-Triumphen in Folge wurde dabei aber nicht gelegt. In Madrid trieb der Trainer Mourinho seine Methoden ans Limit und hat daran seither zu knabbern.
Er verlas nach einem Spiel einen Zettel mit 13 Fehlern des Schiedsrichters, nur gegen seine Mannschaft natürlich, lauerte Unparteiischen in Parkhäusern auf und bedrohte Journalisten in Nebenzimmern. Feinde gab es für Mourinho und dessen Wahrnehmung an jeder Ecke. Für viele wirkten seine Reden nahe am Wahnsinn. Vor allem aber legte die Zeit bei den Königlichen zwei eklatante Schwächen Mourinhos offen. Trotz eines Kaders von Weltformat war er nicht in der Lage, attraktiven und offensiven Fußball spielen zu lassen, und ihm gelang es scheinbar nicht, seine Kommunikation zu den Spielern so intensiv aufzubauen wie zu seinen Zeiten bei Inter Mailand.
Lauerte Schiris in Parkhäusern auf
Viel schlimmer: Seine eigentliche Stärke schlug ins Gegenteil um. Er nutzte seine Spieler als Schutzschild und demontierte Iker Casillas, eine Ikone des Vereins. Bis heue haben ihm das viele nicht verziehen. Als er ging, weinte niemand. Damals bei Chelsea weinten Frank Lampard und Didier Drogba, bei Inter wie erwähnt Materazzi. Große Fußballer und starke Typen waren wie Wachs in seinen Händen. Doch in Madrid waren es gerade die Spieler, die wollten, dass er geht. Viele hatten intern damit gedroht, den Verein zu verlassen. „The Special One" hatte also sein „Special" eingebüßt, als er zum zweiten Mal bei Chelsea durch die Tür kam.
Zwar versuchte er mehr Gelassenheit auszustrahlen, wirkte dadurch aber eher distanziert und so, als hätte ihm die Zeit bei Madrid seine Überzeugungen geraubt. Und es kam, wie es kommen musste: Die zweite Amtszeit in London wurde zu einer Madrider Kopie. Eine Meisterschaft in der zweiten Spielzeit, kein guter Fußball und zunehmende Spannungen in der Kabine. Im dritten Jahr war dann Schluss. Spätestens jetzt fällt den meisten auf, dass sich diese Ereignisse in dubioser Art und Weise gerade wiederholen. Erfolg zu Beginn mit dem Gewinn der Europa League und Ligapokal im ersten Jahr, Vizemeisterschaft in der zweiten Spielzeit. Nun kommt die Ergebniskrise. Und damit fällt der einzige Grund weg, der solchen Fußball, wie Mourinho ihn spielen lässt, legitimiert. Der Journalist Diego Torres hat in einem Buch über die Madrider Zeit die Folgen der Mischung aus reaktivem Fußball und toxischer Propaganda beschrieben: „Die Spieler ermüdeten in ihrem Dasein aus dauernder Aufregung ohne den Genuss beim Spiel. Mourinho verstand es nicht, auch die nötigen fußballerischen Elemente einzubauen, um die Spannung hochzuhalten." So war es Pogba, der forderte, United müsse „angreifen, angreifen, angreifen". Die Folge? Er musste sein Amt als Vizekapitän abgeben. Die interne Stimmung hat dies nicht gerade aufgehellt.
Früher war Mourinho ein Menschenfänger, Stars wollten zu ihm, mittlerweile laufen sie weg oder kommen gar nicht erst. Unter diesen Umständen hat das Projekt United keine Zukunft mehr, für viele ist es eine Frage der Zeit. Und Mourinho? „Special" ist an seiner Arbeit als Trainer lange nichts mehr.