Präsident Trump radikalisiert das politische Klima in den USA
Amerikas Politik gleicht immer mehr einem Horror-Film. Der Zuschauer fragt sich unwillkürlich: Wann ereignet sich die nächste Katastrophe? Am Samstag vergangener Woche tötete ein Weißer elf Menschen in der „Tree of Life"-Synagoge in Pittsburgh. Es war der 46-jährige Robert Bowers, der seinem Hass auf Juden mit einem halbautomatischen Sturmgewehr und drei Handfeuerwaffen freien Lauf ließ. Wenige Tage zuvor erschütterte eine Serie von 13 Paketbomben das Land, die an linksliberale Politiker wie Barack Obama oder Hillary Clinton verschickt worden waren. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um den 56-jährigen Cesar Sayoc, ebenfalls ein Weißer und zudem glühender Anhänger von US-Präsident Donald Trump.
Trump trägt sicher keine direkte Mitschuld an den Verbrechen. Doch der Chef des Weißen Hauses hat eine Kultur der Empörung, der Wut und des Hasses geschaffen, die im Gefühlshaushalt der Gesellschaft Schleusen öffnet, die vorher geschlossen waren. Seit dem Präsidentschaftswahlkampf 2016 liebt es Trump, auf seine politischen Gegner in vormals nie gekannter Schärfe verbal einzuprügeln. „Sperrt sie ein!", lautete ein zentraler Satz aus den Niedermach-Orgien gegen seine demokratische Kontrahentin Hillary Clinton. Seine Anhänger brüllten die Kampf-Vokabeln als hässlichen Refrain. Politik wurde zum Zirkus der negativen Emotionen.
Auch bei den Hetz-Tiraden gegen Einwanderer aus Mexiko ging es darum, Ressentiments zu schüren. „Sie bringen Drogen, sie bringen Kriminalität, sie sind Vergewaltiger", polterte der Republikaner. Seine Basis jubilierte. Die Idee einer mehr als 3000 Kilometer langen Grenzmauer wurde zur Heilsbotschaft. Es passt zu Trumps schwarzweißmalender Rezeptur, die als nostalgische Mogelpackung daherkommt. „America First" – „Amerika zuerst": Der Slogan des Präsidenten ist ein Versprechen, dass sein Land zur globalen Dominanz der 50er- und 60er-Jahre zurückkehrt, als Kühlschränke von General Electric und Autos von General Motors oder Ford über den ganzen Erdball exportiert wurden.
Trumps Parolen sind eine Polit-Droge, die berauschen kann, aber zwangsläufig zu einem bitteren Erwachen führen wird. Denn heute ist die Welt politisch und wirtschaftlich multipolar. Mit China wächst zudem ein Rivale heran, der mit strategischer Konsequenz vorgeht und den USA zumindest in ökonomischer Hinsicht in den kommenden Jahrzehnten den Rang ablaufen wird.
Trumps Wähler blenden diese Zusammenhänge aus und fahren voll auf die simplen Urteile und Vorurteile ihres großen Anführers ab. Je mehr Krawall und je mehr Sündenböcke, desto besser. Der politische Gegner wird zum Feind, der vernichtet werden muss. Dieser Geist der Radikalisierung, der vom Präsidenten befeuert wird, fällt bei Leuten wie dem Synagogen-Attentäter Robert Bowers oder dem mutmaßlichen Paketbomben-Bastler Cesar Sayoc auf fruchtbaren Boden.
Doch wo das rhetorische Fallbeil vorherrscht, findet eine Debatte nicht mehr statt. Die Vorstellung, dass sich Parteien auf einen Kompromiss einigen können, hat sich überlebt. „Wir haben einen Punkt erreicht, an dem das Fundament unserer Demokratie zertrümmert wird", resümiert Thomas Friedman, Kolumnist der „New York Times".
Trump ist allerdings nicht die alleinige Ursache dieser Entwicklung, sondern nur der vorläufige Höhepunkt. Die Polarisierung der amerikanischen Politik begann Mitte der 90er- Jahre. Der Haudrauf-Republikaner Newt Gingrich war von 1995 bis 1999 Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Seine Devise: die Verteufelung von Präsident Bill Clinton und seiner Demokraten. Gingrich blockierte Gesetzesvorhaben im Kongress, wo es ging. In den Jahrzehnten zuvor hatten Republikaner und Demokraten als Plattform-Parteien in der politischen Arena agiert. Sie vertraten allgemeine Grundsätze, verbohrten sich aber nicht in ideologischen Eifer. Ab 2009 verbreitete die rechtspopulistische Tea-Party-Bewegung Gingrichs unversöhnliches Betondenken. Feindbild Nummer eins: der demokratische Präsident Barack Obama.
Die Zwischenwahlen zum Kongress am 6. November werden entscheiden, ob sich der Niedergang der politischen Kultur in Amerika weiter verschärft. Verteidigen die Republikaner ihre Mehrheit in beiden Parlamentskammern, wird Trump dies als Bestätigung seines Bulldozer-Kurses begreifen.