Der Schauspieler Burt Lancaster lebte den amerikanischen Traum. Zwar wurde er nicht vom Tellerwäscher zum Millionär, doch sein Lebenslauf liest sich recht ähnlich. Er schaffte es vom akrobatischen Seiltänzer und Damenwäsche-Verkäufer zum gefeierten Hollywoodstar und Charakterdarsteller in Filmen europäischer Kult-Regisseure.
Sein athletischer Body war sein Kapital und ermöglichte dem 1,85 Meter großen, blonden Mann mit den drahtigen Muskeln, dem breiten Strahlelächeln und dem schneeweißen Gebiss einen fulminanten Einstieg in die Glamour-Welt Hollywoods. Ohne jegliche Schauspielausbildung gelang ihm 1946 gleich mit seinem Leinwanddebüt im Alter von 32 Jahren in der Rolle eines Mordopfers in Robert Siodmaks Hemingway-Verfilmung „Rächer der Unterwelt", einem düsteren Thriller des Film-noir-Genres, der cineastische Durchbruch. Aus dem früheren Zirkusakrobaten, Trapezkünstler, Damenwäsche-Verkäufer, Barkeeper und Lastwagenfahrer war mit einem Schlag ein gefeierter Kinostar geworden.
Der Legende nach hatte der Zufall die Weichen für Burt Lancasters Entdeckung gestellt. Gerade von einem dreijährigen Dienst vornehmlich als Truppen-Unterhaltungsprogamm-Macher beim US-Militär im Zweiten Weltkrieg wieder in den Staaten angekommen, war er noch in Soldatenkluft in einem Aufzug steckengeblieben ‒ gemeinsam mit einem Broadway-Produzenten, der für ein Theaterstück genau auf der Suche nach einem Mann von der strotzenden Virilität eines Burt Lancaster war. Nicht Schauspielkunst war gefragt, sondern der Bursche sollte – gewissermaßen als Vorläufer eines Arnold Schwarzeneggers – allein aufgrund seines Aussehens möglichst viel Kraft und Präsenz auf der Bühne ausstrahlen können.
Qual der Wahl unter vielen Angeboten
Das Ende 1945 aufgeführte Broadwaystück „A Sound of Hunting" sollte zwar ein Flop werden, aber Lancaster konnte in der Rolle eines Sergeants so sehr überzeugen, dass mehrere Hollywood-Scouts auf den von der Presse zum „Mister Muskel mit Zähnen" getauften Akteur aufmerksam wurden. Gleich sieben Filmangebote führender Studios flatterten ihm ins Haus, die er gemeinsam mit seinem Agenten Harold Hecht sichtete. Schließlich entschied er sich für „Rächer der Unterwelt".
Auch im weiteren Verlauf seiner rund 44-jährigen Schauspielkarriere hatte er meist die Qual der Wahl unter einer Vielzahl von Filmangeboten. Lancaster war ein echter Leinwand-Malocher. Bis Ende der 1980er-Jahre wirkte er an zwei bis vier Werken pro Jahr mit und brachte es so auf insgesamt rund 90 Kino- und TV-Film-Engagements. Er mauserte sich dabei vom klassischen Draufgänger-Mimen zum durchaus ernsthaften Charakterdarsteller. Dabei lehnte er auch die eine oder andere lukrative Offerte ab. Beispielsweise „Endstation Sehnsucht", mit der stattdessen Marlon Brando ab 1947 seinen Ruhm begründen konnte. Oder „Ben Hur", bei der nicht einmal eine Rekordgage von einer Million Dollar Lancaster zum Mitwirken bewegen konnte und schließlich Charlton Heston 1959 den Titelhelden spielen durfte. Das übliche Klinkenputzen zugunsten neuer Engagements hatte Lancaster zeitlebens nicht nötig. Umso schmerzhafter dürfte es für ihn allerdings gewesen sein, dass er ausgerechnet bei seinem aktiven Bemühen um die Hauptrolle für das legendäre Mafia-Epos „Der Pate" im Jahr 1972 Marlon Brando unterlegen war.
Burton „Burt" Stephen Lancaster wurde am 2. November 1913 als Sohn eines Postangestellten und dessen Frau in East Harlem geboren, einem der damals raueren Viertel des New Yorker Stadtteils Manhattan. Dort musste er von Kindheit an lernen, sich zur Wehr zu setzen. Nicht ganz einfach für den schlaksigen Jungen, der daher schon früh ein großes Interesse an der Athletik entwickelte.
Eigene Produktionsfirma
Dank seiner sportlichen Top-Leistungen erhielt Lancaster ein Stipendium an der New York University. Doch statt sich ins Studium zu stürzen, arbeitete er lieber im Zirkus oder in Varieté-Theatern. 1932 lernte er seinen Freund Nick Cravat kennen, die beiden gründeten das Duo „Lang & Cravat" und traten als Hochseilartisten und Trapezkünstler auf Jahrmärkten, in Varieté-Shows oder auch im legendären Kay Brothers Circus auf. Eine Handverletzung sorgte jedoch 1939 für ein abruptes Ende von Lancasters hoffnungsvoller Akrobatenlaufbahn. Danach folgten bis zur Armee-Einberufung Gelegenheitsjobs, die Lancaster ebenso wenig Freude bereitet haben dürften wie seine erste Ehe mit der Zirkuskollegin June Ernst, die nach elf Jahren 1946 kinderlos geschieden wurde. Noch im gleichen Jahr heiratete er Norma Anderson, mit der er fünf Kinder hatte und von der er sich 1969 scheiden ließ. Zwischen 1991 und seinem Lebensende 1994 war er mit seiner dritten Ehefrau Susan Martin zusammen.
Zu Beginn seiner Karriere machte sich Lancaster vor allem als Western- und Piratenheld sowie als Mantel- und Degen-Darsteller einen Namen. Gerne stellte er seinen muskelbepackten Oberkörper freizügig zur Schau und übernahm die meisten der gefährlichen Stunts als ehemaliger Akrobat selbst. Dank seiner schon 1949 zusammen mit Harold Hecht und dem Filmemacher James Hill gegründeten Produktionsfirma Hecht-Hill-Lancaster gelang ihm eine Unabhängigkeit und ein Mitspracherecht gegenüber dem übermächtigen Hollywood-Studiobetrieb, wie es damals in Schauspielerkreisen ungewöhnlich war.
Zu den bekanntesten Filmen der 1950er-Jahre zählen „Der Rebell" (1950), „Der rote Korsar" (1952), sein erster Western „Tal der Rache" (1951), „Jim Thorpe ‒ All-American" (1951), „Massai" (1954) oder der Western „Vera Cruz" von 1954. Besonders „Vera Cruz" stellte so etwas wie eine Schnittstelle zwischen dem klassischen Hollywood-Kino und moderneren Entwicklungen dar. Der Film sollte Vorbild für viele Italo-Western der 1960er-Jahre werden und dürfte so manchen europäischen Autorenfilmer auf den einen amoralischen Abenteurer verkörpernden amerikanischen Schauspieler aufmerksam gemacht haben. Für seine Rolle als Bauernfänger im Streifen „Der Regenmacher" erhielt Lancaster 1957 eine Golden-Globe-Nominierung als bester Hauptdarsteller.
Oscar für Rolle in „Elmer Gantry"
Den einzigen Golden Globe und seinen einzigen Oscar erhielt Burt Lancaster 1961 für die Hauptrolle des hochstaplerischen Wanderpredigers „Elmer Gantry". Damit hatte sich der inzwischen 47-Jährige endgültig als herausragender Charakterdarsteller etabliert. Dennoch ließ das Interesse in Hollywood, wo gerade der Niedergang des altbewährten Studiosystems seinen Anfang nahm, langsam nach. Nachdem „Der Gefangene von Alcatraz" 1962 fertiggestellt war und Lancaster 1963 eine weitere Nominierung für Golden Globe und Oscar eingebracht hatte, durfte er sich über eine Anfrage des italienischen Star-Regisseurs Lucchino Visconti freuen, der ihm die Hauptrolle eines sizilianischen Fürsten im aufwändigen Historienepos „Der Leopard" übertrug – einem Meisterwerk aus dem Jahr 1962.
1974 wurde Lancaster nochmals von Visconti für das Drama „Gewalt und Leidenschaft" engagiert, zwei Jahre später war er in Bernardo Bertoluccis Italien-Epos „1900" in der Rolle eines alternden Großgrundbesitzers zu sehen. Auch die Zusammenarbeit mit dem französischen Kult-Regisseur Louis Malle bei „Atlantic City" sollte 1982 mit einer Golden Globe- und einer Oscar-Nominierung belohnt werden. Ab 1969 war Lancaster gelegentlich auch an TV-Produktionen beteiligt, beispielsweise im deutschen Mehrteiler „Väter und Söhne" (1986). Sein letzter Kinofilm an der Seite von Kevin Costner sollte die poetische Baseball-Komödie „Feld der Träume" aus dem Jahr 1989 sein. Ende 1990 erlitt Lancaster einen Schlaganfall, durch den sein Sprachzentrum so sehr geschädigt wurde, dass Schauspielern nicht mehr möglich war.
Moralwächtern ein Dorn im Auge
Während Lancaster am Filmset je nach Laune zwischen Diva und Despot hin und her schwankte, setzte er sich im wahren Leben stets für die gute Sache ein. Er war aktiver Teil der Bürgerrechtsbewegung, marschierte an der Seite von Martin Luther King nach Washington und unterstützte im Wahlkampf Tom Bradley, den ersten schwarzen Bürgermeister von Los Angeles. Er zählte auch zu den prominenten Gegnern des Vietnamkriegs und machte sich stark für die Rechte von Homosexuellen. Grund genug für das FBI, über den aus seiner Sicht gefährlichen Liberalen Geheimakten anzulegen, in denen Lancaster zudem als sexuell ausschweifend und orientierungslos verdächtigt wurde. Trotz heterosexuellem Ehelebens hatte das FBI in seinen Papieren Lancasters wiederholte Teilnahme an homophilen Treffen festgehalten. Für FBI-Direktor Edgar Hoover war der Schauspieler spätestens seit der berühmten Strand-Liebesszene mit Kollegin Deborah Kerr im Klassiker „Verdammt in alle Ewigkeit" 1953, für den der Mime 1954 seine erste Oscarnominierung erhalten hatte, ein rotes Tuch. Der Kuss am Strand von Hawaii zählt fraglos zu den erotischsten Momenten der Filmgeschichte, in den Augen von Hoover war er allerdings moralisch absolut verwerflich. Lancaster selbst, der am 20. Oktober 1994 im Alter von fast 81 Jahren in Los Angeles infolge eines Herzinfarktes starb, fand das gestellte Liebesspiel weniger spannend, sondern beklagte sich nach dem Dreh vielmehr über die Unmengen von Sand in seiner Hose.