Die Schauspielerin Nadia Migdal wirkt in dem neuen Stück des Korso-Op-Kollektivs „Das Folgenreich – Atempause vor dem Sturm. Ein surrealer Thriller über Macht und Gehorsam" mit. Dabei reizt die 34-Jährige besonders das Konzept der hierarchiefreien Arbeit des Teams und des gemeinsamen Schaffensprozesses.
Frau Migdal, Sie kommen aus einer Musikerfamilie, wie kamen Sie zur Schauspielerei?
Mein Vater war Konzertpianist und meine Mutter ist Schriftstellerin. Wir haben einen Flügel zu Hause und ich begann schon als Kind Klavier zu spielen, wobei ich mit sechs Jahren die Geige als mein Instrument entdeckte. Ich war inspiriert durch meinen Onkel, der Geiger ist und meinen Opa, der eigentlich Opernsänger war, aber der auch hin und wieder spielte. Ich bin in einem Dreigenerationenhaus aufgewachsen. Musik war immer da. Es kommt auch öfter vor, dass ich in Theaterproduktionen mit der Geige umgehe.
Woher kommt die Faszination fürs Theater?
Ich bin in Bochum großgeworden. Unter der Leander Haußmann Intendanz bin ich exzessiv ins Schauspielhaus gegangen. Mit elf habe ich mit meinen Eltern das erste Mal bewusst ein „Erwachsenenstück" gesehen. Das war „Der Vater" von Niklas Frank, der abgerechnet hat mit seinem Vater. (In dem Stück rechnet ein Sohn mit seinem Nazi-Vater ab, Anm. d. Red.). Ein sehr krasses Stück, inhaltlich und ästhetisch, das mich zutiefst beeindruckt hat, auch wenn ich nicht alles verstanden habe. Aber ich habe gemerkt, was Theater in mir auslösen kann.
Inwiefern?
Als Autorin hat meine Mutter viel publiziert über Kunst und Literatur, die im KZ entstanden ist. Meine Großeltern sind zudem Holocaustüberlebende. Und so war das irgendwie immer ein Thema in meiner Familie. Dieses Theatererlebnis war ein Knackpunkt. Ich bin bestimmt bis zu 60 Mal im Jahr ins Theater gegangen und habe mir manche Stücke zigmal angeschaut. Ich wollte das immer wieder ergründen. Ein Stück ist immer wieder anders, je nachdem welche Menschen drinsitzen, und es hängt auch von meiner eigenen Tagesform ab. Dann war ich ein Jahr in Amerika und als ich zurückkam, war Matthias Hartmann Intendant. Da gab es theaterpädagogische Angebote für Leute, die Ambitionen hatten, was in die Richtung zu studieren. Und da war für mich klar: Ich bewerbe mich an der Schauspielschule. Ich bin dann in Zürich an der ZHdK genommen worden.
Wie hat sich Ihre professionelle Karriere gestaltet?
Während des letztens Jahres der Schauspielschule wurde ich in Tübingen am Theater engagiert, und da war ich dreieinhalb Jahre. Ich hatte eine ganz tolle Zeit, aber meine Neugierde war unglaublich groß, und so habe ich mich dann entschieden, freischaffend zu arbeiten und nach Wien zu ziehen. Dort war mein damaliger Freund am Burgtheater engagiert. Zweieinhalb Jahre blieb ich in Österreich und dann kam ein Angebot von Ulf Frötzschner, der 2015 in Trier Schauspieldirektor wurde.
Momentan wohnen Sie ganz woanders, nämlich in Tel Aviv.
Die Wohnung habe ich seit Anfang September. Ich bin eigentlich über meine Schwester dorthin gekommen, die als Geigerin dort immer wieder Konzerte gibt. Ich war sehr gepackt und gefesselt und irgendwie hat das bei mir sehr viel losgetreten über Fragen der Identität. Wo gehöre ich eigentlich dazu? Diese Stadt hat eine Faszination auf mich ausgeübt, sodass ich nach einigen Monaten für mich den Entschluss gefasst habe, hinzuziehen. Ich hatte vorher keinen festen Wohnsitz.
Wie das?
Vor einem Jahr gab es eine sehr heftige Zäsur in meinem Leben. Ich war zwei Jahre in Trier am Theater engagiert. Das ist mit einem sehr großen Knall auseinandergegangen. Der Intendant musste im Zuge eines Schuldenskandals gehen. Er hat wahnsinnige Gräben innerhalb des Theaters gezogen. Wir haben im Schauspielensemble fast alle unsere Verträge nicht verlängert, was sehr unüblich ist. Man wusste, man gibt ein fantastisches Ensemble auf, aber wir wussten auch, dass wir unsere künstlerische Vision an diesem Ort nicht mehr verfolgen können. Nach dieser Zeit habe ich keine Wohnung gemietet und war völlig frei, sodass ich von heute auf morgen sagen konnte, ich ziehe jetzt nach Tel Aviv.
Wie kommen Sie ausgerechnet wieder nach Saarbrücken?
Die Trier-Geschichte hat Wellen geschlagen, und so hat Nina (Schopka) davon gehört, dass sich das Ensemble auflöst. Sie fragte mich dann im Sommer an und erzählte von dem Projekt, das hier vor einem Jahr stattgefunden hat. Das hat mich sehr angefixt.
Das Stück ist ja, wie auch schon im letzten Jahr, komplett neu und wird von den Darstellern im Kollektiv erarbeitet.
Wir entwickeln das Stück gemeinsam, jeder mit den Kapazitäten, die er hat. Man kann sich mit allem einbringen. Es gibt niemanden, der die Machtposition hat und sagt: Ich entscheide das jetzt, weil ich in dieser Position bin. Es zählen die besseren Argumente und die interessanteren Gedanken oder Ideen, sodass man sich am Ende darauf einigt.
Können Sie in ein paar Sätzen beschreiben, worum es im Stück geht?
Es gibt Themenkomplexe, die wir bearbeiten, zum Beispiel Macht, Gehorsam und Strafe. Wir kreieren eine Collage aus verschiedenen Materialien, die sich aus philosophischen Texten, Statements von Politikern aus Interviews und auch teilweise aus Improvisationen zusammensetzen. Es gibt auch eine geschriebene Szene von dem Autor Gregor Kloppenburg.
Gibt es denn überhaupt einen Punkt, an dem das Stück fertig ist?
Es gibt natürlich ein paar Punkte, die man irgendwann erreicht hat. Man geht dann ans Ausprobieren und holt auch andere Ohren und Augen dazu. Wir schicken unserem Dramaturgen die entwickelten Texte. Der gibt seine Ideen dazu und verändert was. Dieses Auge von außen, das braucht man schon. Aber ich denke, ein Stück ist selbst bei der Premiere nicht fertig. Es entwickelt sich im Raum mit den Zuschauern noch weiter. Man spürt Spannungen zwischen Zuschauern und Bühnenraum, dadurch kann sich ein Abend ja auch immer verändern und entwickeln. Es ist toll, wenn das passiert und das wird hier sicherlich auch so sein.
Wie werden die Schwingungen mit dem Publikum denn sein?
Wir haben keine klassische Bühnensituation, die Zuschauer werden durch die Räume im Bunker geführt und können sich in gewisser Art und Weise frei positionieren. Es ist eine Art Parcours, man ist als Zuschauer nicht an einem Fleck geparkt. Bei uns gibt es keine Trennung zwischen Zuschauern und Spielern.
Sie sind im Fernsehen auch in einem Comedy-Format zu sehen. Sie sind ein sehr lebenslustiger Mensch, macht das die Komödie leichter?
Das bin ich sicherlich. (lacht) Das eine hat nur mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun. Es gibt sicher Fallen, in die man tappen kann, egal ob beim Fernsehen oder Theater. Wenn man versucht, etwas einfach nur zu veralbern, dann passiert oft das Gegenteil. Je ernster man die Situation, den Konflikt der Figur nimmt, desto komischer kann das sein. Bei der Tragödie kommt man nicht so leicht in die Versuchung, etwas zu verulken oder sich anzubiedern oder um die Lacher zu buhlen. Allerdings ist Humor etwas sehr Individuelles. Ich mag es nicht, Dinge zu generalisieren.
Warum?
Weil es ein Trugschluss ist, zu denken: So funktioniert es! Das finde ich auch nicht spannend für mich selbst. Wo ist da die Herausforderung? Ich finde es interessant, wenn man ein Risiko eingeht und nicht weiß, ob es am Ende tatsächlich aufgeht.
Haben Sie große Ziele für die Zukunft?
Ich habe nicht das eine Ziel. Ich bin 34, es wäre verfrüht, das zu sagen. Vielleicht muss man es noch nicht mal mit 80 haben. Ich bin ein rastloser Mensch und sehr intuitiv. Ich empfinde diese extreme Freiheit, die ich gerade habe, dass zum Beispiel so ein Projekt möglich ist, als unglaubliches Geschenk. Das bereichert mich ungemein. Ich will keinen Job, für den ich als Schauspielerin in einer Bittstellerposition sein muss. Ich will eine Aufgabe und ich will eine Herausforderung, und ich bin gerade auf der Suche nach Konstellationen, die das Potenzial haben. Wenn ich mir diese Freiheiten beibehalten kann, ohne mich künstlich unterordnen zu müssen in eine Hierarchie, die ich für überflüssig halte, dann bin ich glücklich. Und ich bin gerade glücklich.
Das ist ein tolles Lebenskonzept.
Die Suche nach diesem Glück treibt mich an und auch die Freude, wenn ich es dann finde und wenn ich merke, dass etwas aufgeht, wenn ich gewisse Strukturen nicht als gegeben annehme. Gerade als ich von der Schauspielschule kam, habe ich das ja gesehen, dass man immer wieder in dieser Situation ist: Wo ist eine Vakanz? Wo bewerbe ich mich? Dann werde ich zu einem Vorsprechen eingeladen und dort ist ein riesiges Machtgefälle. Da sitzen Menschen, die entscheiden, du wirst genommen oder du wirst nicht genommen. Und ich komme darin kaum vor. Ich möchte in den Diskurs kommen und ich möchte Dinge hinterfragen dürfen. Aber diese Ebene existiert oft nicht. Ich verstehe schon auch, warum es sie nicht gibt, wegen Zeitdruck und so weiter. Ich nehme das für mich aber einfach nicht mehr an.
Was müsste sich verändern?
Ich glaube, wir unterschätzen als Schauspielgemeinschaft, dass wir zusammen etwas bewegen können, wenn wir gewisse Dinge formulieren. Wir haben uns sehr an dieses System gewöhnt. Zum Beispiel wenn es jemanden gibt, der mich versucht zu degradieren, bei Gehaltsverhandlungen oder auf Proben. Und ich frage mich: Warum darf der das jetzt nochmal genau? Das sind Fragen, denen wir uns immer wieder stellen, auch gesellschaftlich in jeglicher Debatte, etwa beim Sexismus oder Rassismus. Wir können im Theater mal direkt bei uns anfangen.