Ob die Nudel oder das Frühstücksei, Erwin Lindemann oder Herr Müller-Lüdenscheidt: Die Sketche von Loriot gehören längst zum nationalen Kulturgut. Es sind zeitlose Episoden über die Tücken des Alltags und der zwischenmenschlichen Kommunikation. Am 12. November wäre der große Humorist 95 Jahre alt geworden.
Henri Nannen hatte ihn dereinst vom Hof gejagt. „Ich will den Kerl nie wieder im ,Stern‘ sehen", schimpfte der damalige Chefredakteur, als sich Anfang der 1950er-Jahre die Klagen gegen die Cartoon-Serie „Auf den Hund gekommen" häuften. Vielen Lesern stieß der Humor des neuen Zeichners übel auf. Etliche von ihnen drohten damit, den „Stern" nicht mehr zu kaufen oder ihre Abonnements zu kündigen. Also beendete das Magazin nach sieben Folgen die Zusammenarbeit mit dem Schöpfer der Serie: Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow – besser bekannt als Loriot.
Damals war noch nicht abzusehen, dass man ihn später als „Deutschlands komischste Figur" bezeichnen würde. Er selbst hätte sich wohl ohnehin nie so genannt. Denn Loriot blieb bei aller Popularität stets bescheiden. Als er 2006 einmal von einem Reporter des „Spiegels" gefragt wurde, ob seine Sketche womöglich nicht nur lustig seien, sondern sogar Literatur, weil in jenem Jahr etliche seiner Gags erstmals in einem dicken Prosaband veröffentlicht wurden, beantwortete der damals 83-Jährige die Frage auf seine ganz eigene Art. Loriot entgegnete: „Auf eine so eitle Frage könnte ich ja nur eitel antworten, ich hielte mich für Goethe oder so was. Damit kann ich nicht dienen. Aber als ich die Sketche nun las, nahm ich sie doch anders wahr. Zu meiner eigenen Überraschung fand ich manche sogar komisch."
Das wiederum ist eine glatte Untertreibung. Die Sketche von Loriot gehören längst zum nationalen Kulturgut. Jeder kennt sie: Die beiden älteren Herren Müller-Lüdenscheidt und Doktor Klöbner, die versehentlich in derselben Badewanne gelandet sind. Den Ehestreit um das Viereinhalb-Minuten-Frühstücksei. Die Nudel, die beim Rendezvous im Gesicht kleben bleibt. Oder den Lottogewinner Erwin Lindemann, der von einem Fernsehteam zu seinen weiteren Plänen befragt wird und am Ende völlig verwirrt zu Protokoll gibt, der Papst eröffne im Herbst mit seiner Tochter eine Herrenboutique in Wuppertal.
Die Steinlaus schaffte es in ein renommiertes Medizinlexikon
Loriots Sketche handelten von den Tücken des Alltags und der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie hielten der bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vor, ohne sie bloßzustellen. „Wenn jemand dabei die Deutschen verstand und sie deutete, ohne sie zu desavouieren, dann war es Loriot. Dann ist es sein Werk, das diese komische, zum Allergrauenvollsten wie zum Schönsten fähige Nation und ihre Psyche und Verhaltensmuster ausleuchtete wie kein anderes", schrieben Thomas Tuma und Martin Wolf nach seinem Tod 2011 im „Spiegel". In der „FAZ" formulierte es Jörg Thomann ähnlich: „Als Autor, Regisseur und meist Hauptdarsteller seiner Sketche skizzierte er mit pedantischer Präzision stets nur hauchzart überzeichnete Szenen des bundesrepublikanischen Alltags, die den Zuschauern immenses Vergnügen bereiteten und ihnen zugleich zur Selbsterkenntnis verhalfen. Die tragikomischen Patriarchen, die beflissenen Verkäufer, die steifen Bildungsbürger, die frustrierten Hausfrauen und verwirrten Rentner – es waren wir selbst oder jedenfalls Leute, die wir sehr gut kannten." Einer der Gründe für seine Beliebtheit: Loriot hielt sich stets von aktuellen Trends fern und schilderte stattdessen Allgemeingültiges. Es sind zeitlose Episoden, über die man generationenübergreifend lachen kann.
Dabei agierte Loriot auch anderweitig auf allerhöchstem Niveau: Er war ein Meister der deutschen Sprache. Zahlreiche seiner Formulierungen sind inzwischen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, so etwa das Jodeldiplom als eine Bezeichnung für einen vermeintlich überflüssigen Bildungsabschluss. Die Steinlaus, ein von Loriot gezeichnetes, fiktives Nagetier, bekam 1983 sogar einen Eintrag im renommierten Medizinlexikon Pschyrembel, der in späteren Ausgaben noch erweitert wurde. Selbst in der wissenschaftlichen Literatur hat Loriots Humor also Einzug gehalten. Humor sei „eine Eigenschaft wie andere dankenswerte oder bedauerliche Gaben, die ein Mensch so mitbekommt", hat Loriot einmal gesagt. Ob jemand mit Witz gesegnet ist, habe demnach nichts damit zu tun, welche Erfahrungen er in seinem Leben gemacht hat. Auch bei ihm deutete zunächst wenig darauf hin, dass aus ihm später einmal der wohl bekannteste deutsche Humorist werden würde.
Am 12. November 1923 wurde er in Brandenburg an der Havel geboren. Aufgewachsen war er seit 1927 jedoch in Berlin, bis er 1938 mit seinem Vater und seinem ein Jahr jüngeren Bruder nach Stuttgart übersiedelte. Die Familie von Bülow war ein altes mecklenburgisches Adelsgeschlecht, dessen Wappentier ein Pirol war, ein gelber Singvogel – die französische Bezeichnung dafür lautet „Loriot", daher sein späterer Künstlername.
Zwei überaus erfolgreiche Kinofilme
Viele Mitglieder der Familie machten Karriere in Militär und Verwaltung; Bernhard von Bülow, ein Verwandter Loriots, war sogar Reichskanzler im deutschen Kaiserreich. Auch Loriot schlug zunächst die Offizierslaufbahn ein und kämpfte im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront. Nach Kriegsende verdingte er sich übergangsweise als Holzfäller, ehe er von 1947 bis 1949 in Hamburg Malerei und Grafik studierte. Seine ersten Aufträge hatte er als Karikaturist, unter anderem, wie schon erwähnt, beim „Stern", wo man die Entscheidung Nannens später übrigens revidierte und noch jahrelang erfolgreich mit Loriot zusammenarbeitete.
1954 erschien Loriots erstes Buch: „Auf den Hund gekommen: 44 lieblose Zeichnungen". Neben seiner Tätigkeit als Humorist hatte er in dieser Zeit auch kleinere Auftritte als Schauspieler, unter anderem in Bernhard Wickis „Die Brücke" (1959) sowie in Andrew Martons Kriegsfilm „Der längste Tag" (1962). Den Durchbruch auf der Leinwand erlebte er fünf Jahre später jedoch in seiner gewohnten Rolle. Von 1967 bis 1972 moderierte Loriot für den Süddeutschen Rundfunk die Fernsehsendung „Cartoon", die ursprünglich als eine Sendereihe internationaler Zeichentrickfilme gedacht war. Bald baute er jedoch auch Sketche ein, in denen er selbst die Hauptrolle übernahm; zudem wurde Loriots Moderation zunehmend zu einem eigenständigen humoristischen Element der Sendung. Dieses Prinzip setzte er später auch in der sechsteiligen Fernsehserie „Loriot" bei Radio Bremen fort, in der ab 1976 sowohl Zeichentrickfilme als auch gespielte Sketche gezeigt wurden, letztere oft mit Evelyn Hamann in der weiblichen Hauptrolle. Mit ihr drehte Loriot auch den Kinofilm „Ödipussi", der am 9. März 1988 Premiere hatte – um 17 Uhr erst in Ostberlin, um 20 Uhr dann im Westteil der Stadt. Es war somit die einzige Uraufführung im geteilten Deutschland, die in beiden Landesteilen am selben Tag stattfand. Der Film handelt vom 56-jährigen Paul Winkelmann, der immer noch zu Hause unter der Obhut seiner resoluten Mutter Louise wohnt und eines Tages eine Frau kennenlernt, Margarethe Tietze, was seinen streng geregelten Alltag mächtig durcheinanderwirbelt. Mit „Pappa ante portas" kam 1991 ein weiterer Film in die Kinos, wieder mit Loriot und Hamann in den Hauptrollen – die Geschichte des Vorruheständlers Heinrich Lohse, der seine neu gewonnene Freizeit durch Mitarbeit im Haushalt füllt, obwohl er dafür keinerlei Geschick besitzt. Es war der erfolgreichste in Deutschland produzierte Film des Jahres und gilt heute ebenso wie „Ödipussi" als Klassiker des einheimischen Kinos.
„Lieber Gott, viel Spaß" stand in Traueranzeige
2006 zog sich Loriot endgültig aus dem Fernsehgeschäft zurück, denn wegen der entstandenen Schnelllebigkeit sei in diesem Medium keine humoristische Qualität mehr zu erzielen. Seine letzte öffentliche Rede hielt er 2009 in seiner Geburtsstadt Brandenburg an der Havel. Am 22. August 2011 schied der Humorist in seiner langjährigen Wahlheimat Ammerland am Starnberger See friedlich aus dem Leben. „Lieber Gott, viel Spaß!", hieß es ein paar Tage später in einer Traueranzeige des Art Directors Clubs. Loriot hätte das sicher gefallen. Was denn auf seinem Grabstein stehen sollte, war er zu Lebzeiten einmal gefragt worden. Seine Antwort war typisch für ihn: „Zweckmäßig wäre es, wenn der Name darauf stünde."