Geschätzte 300 Homosexuelle in Uniform gibt es laut der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Saarland. Nur eine Handvoll hat sich je geoutet. Die Toleranz innerhalb der Polizei soll nun gestärkt werden, sagt der neue Gewerkschaftschef David Maaß. Denn die Angst vor Diskriminierung beeinflusst die Arbeit der Betroffenen immens.
Die Angst fährt manchmal mit auf Streife. Die Angst, zuzugeben, dass die eigene sexuelle Orientierung eine andere ist als die des Kollegen, der Kollegin. Die Angst, geoutet zu werden. Die Angst, sich zu verraten. Belächelt, gemobbt, diskriminiert zu werden.
Martina Grimm, 36, hat sich kurz nach der Ausbildung als lesbisch geoutet. Eingestellt als Polizistin wurde sie 2001, mittlerweile arbeitet sie als Dienstgruppenleiterin bei der St. Ingberter Polizei. Dass Frauen auf Frauen stehen, scheint innerhalb der Polizei akzeptierter zu sein als gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern, glaubt Grimm – „womöglich ein Klischee, eine Männerfantasie". Deshalb trauen sich Polizistinnen eher, zuzugeben, dass sie lesbisch sind. „An geouteten Männern bekomme ich nach meiner Kenntnis kaum eine Handvoll zusammen. Unter den Kolleginnen sind es mehr." Sie selbst hat keine schlechten Erfahrungen im Job gemacht, als sie sich geoutet hat. „Dieser Schritt ins Ungewisse ist ein Prozess, kein fixer Termin, und er braucht Mut. Ich wusste auch nicht, wie die Kollegen reagieren. Aber es befreit." Dennoch ist sie anfangs privaten Fragen ausgewichen. „Und was macht dein Freund?" – „Ich bin im Moment solo."
Schein-Ehen aus Angst vor den Kollegen
Stefan Schiber ist heute 49 Jahre alt. Geoutet hat er sich vor sechs Jahren. Seit 1989 arbeitet er bei der Polizei, war auf Streife, heute im Innendienst im Landespolizeipräsidium. Jahrzehntelang lebte er mit einer Lüge. Nur enge Freunde, auch befreundete Polizeikollegen, wussten, dass Schiber homosexuell ist. Sie hielten dicht. „Der psychische Druck war groß. Homosexuelle Männer haben oftmals einen höheren Anspruch an sich selbst in einem solch männerdominierten Berufsumfeld wie der Polizei – gerade, um den Verdacht auszuräumen, man sei schwul. Gleichzeitig verschleiern sie einen Teil ihres Lebens: Sie müssen genau aufpassen, was sie sagen, wie sie sich verhalten, um sich nicht zu verraten. Das kostet Energie, und die Angst, sich zu verraten, geht zulasten der Arbeit, und man isoliert sich von den Kollegen." Das größte Problem: Polizisten bauen aus Angst vor diskriminierenden Sprüchen und Verhalten ihrer Kollegen im Job und als Schutz in manchen Fällen eine Schein-Identität auf. „Es gibt Kollegen, die nach einem Coming-out ihrer Ehepartnerin erklären müssten, welche sexuelle Orientierung sie eigentlich haben", sagt Schiber.
1994 wurde der Paragraf 175 abgeschafft, ein Gesetz aus dem Jahr 1872, das Homosexualität unter Strafe stellte; seit 2011, mit der Verankerung des Diskriminierungsverbotes von homosexuellen, bisexuellen und transsexuellen Menschen in der saarländischen Verfassung, beschäftigt sich die Landespolizei aktiv mit diesem Thema, berichtet die Pressestelle des Landespolizeipräsidiums. Tatsächlich war es Stefan Schiber, der nach einem Bundeskongress lesbischer und schwuler Polizisten 2012 mit dem Mut zurückkehrte, sich aktiv innerhalb des Jobs für diese Menschen einzusetzen. Er schrieb dem Polizeipräsidenten. Von dort bekam er den Auftrag, ein Konzept zur Enttabuisierung zu entwickeln.
Das Grundproblem aus seiner Sicht: Viele Kollegen sähen in Homosexualität eine Schwäche. Der Job eines Polizisten verlangt nach Autorität und Respekt. Je anspruchsvoller der Polizeijob, je mehr er den Menschen körperliche und seelische Kraft und Ausdauer abverlangt, desto schwieriger wird es für schwule Männer, sich in einem solchen Umfeld vor den Kollegen als offen schwuler Mann zu behaupten. Auch hier besteht das Klischee, Schwule seien verweichlicht, weniger leistungsfähig, schwach.
Dass die jungen Polizisten sensibler für dieses Thema werden, dafür sorgen Grimm und Schiber in Seminaren. Sie sind seit 2014 die Beauftragten der saarländischen Landespolizei für alle Belange von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgendern, Intersexuellen. Sie geben in der Fachhochschule für Verwaltung in Göttelborn Kurse für die neuen Kollegen, die Polizisten werden wollen und sammeln in Zusammenarbeit mit der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamtes Daten für die Statistik über homophobe Straftaten im Saarland. „Die beiden Ansprechpartner für Homosexualität tragen dazu bei, das Thema ‚Homosexualität in der Polizei‘ zu enttabuisieren. Die beiden können von allen Bediensteten der saarländischen Vollzugspolizei bei Fragen und Problemstellung kontaktiert werden", sagt Polizeisprecherin Melanie Mohrbach. In der Praxis jedoch sei das schwierig, sagt Schiber: „Viele trauen sich nicht, uns im Arbeitsalltag anzusprechen, weil sie befürchten, schon allein ihr Kontakt zu uns beiden würde sie outen."
Etwa 3.300 Polizeibeamte und -angestellte gibt es im Saarland. Nach wissenschaftlichen Studien zu urteilen, sind statistisch davon etwa zehn Prozent homosexuell. „Das Thema ‚Homosexualität in der Polizei‘ ist uns als Gewerkschaft der Polizei extrem wichtig, da dieses Thema bislang noch von keiner Gewerkschaft bespielt worden ist", sagt David Maaß. Er ist seit Mai dieses Jahres Chef der saarländischen Polizeigewerkschaft GdP. „Bedenkt man, dass es in der saarländischen Polizei geschätzte 300 homosexuelle Kolleginnen und Kollegen gibt, die Outing-Quote aus Angst vor Diskriminierung nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt und diese Kolleginnen und Kollegen über Jahre hinweg Lügengerüste um ihr Privatleben aufbauen, dann ist es ureigenste Aufgabe einer Solidargemeinschaft, sich dieses Themas anzunehmen."
Toleranz ist das Stichwort. Polizistinnen und Polizisten, die diese nicht zeigen, bauen vor allem bei homosexuellen Kollegen massiven psychischen Druck auf. „Wir wollen durch interne, aber auch externe Öffentlichkeitsarbeit das Thema enttabuisieren. Je größer die Transparenz, desto eher wird es in Zukunft weitere Kolleginnen und Kollegen geben, die den Mut aufbringen, offen zu ihrer Sexualität zu stehen. Der immens hohe Druck, die eigene Sexualität geheimzuhalten, zehrt nicht nur an der Psyche, sondern wirkt sich auch negativ auf die Arbeitsleistung aus", erklärt David Maaß. Stefan Schiber hat das am eigenen Leib erfahren. Noch vor 20 Jahren waren die Repressionen gegenüber schwulen Kollegen deutlicher. Mobbing gehörte für offen schwule Kollegen zum Alltag, ihre sexuelle Orientierung war eine Karrierebremse. Das hat sich mittlerweile entspannt. Dafür sorgen auch Martina Grimm und Stefan Schiber in ihren Seminaren. „Unsere Sichtbarkeit innerhalb der Behörde soll die Berührungsängste vieler Kolleginnen und Kollegen mit dem Thema reduzieren", bringt es Grimm auf den Punkt. Dass sich dadurch nun mehr Kolleginnen und Kollegen outen, das glauben die beiden nicht. Auch raten sie nicht generell zum Coming-out, um den Alltag zu erleichtern – „das ist etwas sehr Persönliches, das muss jeder selbst entscheiden", sagt Grimm.
Vertrauen zwischen Polizei und Szene fehlt
„Innerhalb der Polizei wurde mit der Einrichtung der beiden Ansprechpartner schon ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Allerdings haben wir das Gefühl, dass das Thema ‚Homosexualität‘ weiterhin ein Nischenthema ist", sagt Maaß. Das soll sich nun ändern. Endlich, könnte man sagen, denn Beauftragte für Schwule und Lesben bei der Polizei gibt es in anderen Bundesländern bereits seit Jahren, in Berlin beispielsweise seit 1992. Lediglich das Saarland, Sachsen und Bayern hatten bislang keine solche Position. Grimm und Schiber sollen vor allem nach innen wirken. Offizielle Kontakte zur Szene, zum Lesben- und Schwulenverband im Saarland, gibt es im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht. Dabei wäre das notwendig: um verlorengegangenes Vertrauen zwischen der Polizei und der queeren Community wiederherzustellen. Aber auch, um das Dunkelfeld der homophoben Straftaten im Saarland zu erhellen. Beides hänge miteinander zusammen, sagt Schiber: „Immerhin hat die Polizei jahrzehntelang Homosexuelle als Straftäter verfolgt." Nun von der Polizei Hilfe bei einer homophoben Straftat zu erhalten, ist für manche Homosexuelle bis heute schwer vorstellbar.
Die Statistik für Hasskriminalität des Staatsschutzes weist im Jahr 2017 zwei homophobe Straftaten im Saarland aus, erklärt das saarländische Innenministerium. Dass diese Straftaten überhaupt ausgewiesen werden, geht auch auf die Arbeit von Grimm und Schiber zurück. Tatsächlich könnten es mehr sein, diese wurden aber vielleicht von den Opfern nicht angezeigt, von den Ermittlern nicht erkannt, nicht an den Staatsschutz gemeldet. Es bedürfe also vertrauensbildender Maßnahmen zwischen der Homosexuellen-Szene und der Polizei, um mehr über die Zahl von Hassverbrechen gegenüber Homosexuellen zu erfahren. Ein einfacher Informationsstand der Polizei beim Christopher Street Day wäre ein Anfang, so der bescheidene Wunsch der beiden Beauftragten.
Übrigens gab es auch vor 2014, bevor Martina Grimm und Stefan Schiber den Staatsschutz beim Sammeln von Daten über homophobe Straftaten im Land unterstützten, bereits eine Statistik darüber: Sie lag jedes einzelne Jahr zuvor bei null.