Was die „Vogue" martialisch als „Warcore" bezeichnet hat, präsentiert sich als trendige, größtenteils farbenfrohe Kopfbedeckung für moderne Großstadt-Kriegerinnen. Wahlweise gibt es die in den Varianten „Hoods" oder „Balaclavas".
Die Diskussion um das Verschleierungsverbot, vor allem der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum, hält in den meisten europäischen Ländern, trotz Verabschiedung entsprechender Gesetze, unverändert an. Auffällig ist daher, dass in jüngster Zeit auf Social-Media-Kanälen immer häufiger Modefotos gepostet werden, auf denen sogar Streetstyle-Stars ihr Gesicht verbergen. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Für den kommenden Winter haben sich prominente Designer dazu entschlossen, das Thema Vermummung auf die internationalen Laufstege zu hieven. Und zwar mit verschiedensten Umsetzungen von Hauben oder Kapuzen, die mal eher wie ein Hood – die Kopfbedeckung eines Hoodies – wie eine Balaclava aussehen, die einen großen Teil des Gesichts verhüllt und bislang vor allem in Kreisen von Militärs, islamischen Gotteskriegern, polizeilichen Einsatzkommandos, Gangstern, Terroristen, linksradikalen Autonomen, Motorradfahrern, Formel-1-Piloten, Comic- und Actionhelden oder Outdoor-Sportlern wie Skifahrern oder Bergsteigern getragen wurden.
Auch die feministische und regierungskritische russische Punkrockband Pussy Riot hatte die Balaclava-Sturmhaube in der schrillen Farbe Pink schon vor Jahren zu ihrem persönlichen Markenzeichen gemacht. Beyoncé hatte sich 2014 auf einem Promotion-Video für ihre „On the Run"-Tour mit einer Sturmhaube präsentiert, zwei Jahre später hatte sich der verbrecherische Gegenspieler von Isabelle Huppert in Paul Verhoevens Erotik-Thriller „Elle" mit einer Balaclava maskiert.
Verschiedenste Materialien
Die „Vogue" sieht in den Hauben einerseits eine modische Alternative zum Rollkragenpullover, andererseits hat sie den Trend in den größeren Rahmen der von ihr so getauften „Warcore" eingebettet. Denn ihrer Meinung nach haben unter der Ägide von Designern wie Matthew Williams für das Label Alyx und Virgil Abloh für die Brands Off-White und Louis Vuitton immer mehr Einflüsse und Details aus dem Militär Eingang in die High Fashion gefunden, beispielsweise Harnische, Tanktops, die an schusssichere Westen erinnern, Schnallengurte, Military-Pants mit unzähligen Taschen oder Wickelgamaschen. Die „Vogue" hat die Frage aufgeworfen, ob das aktuelle Interesse der Designer für „Warcore" mit den zahlreichen kriegerischen Brandherden und der daraus resultierenden Verunsicherung vieler Menschen dieser Welt zusammenhängen mag. Das wäre schon etwas makaber, weil martialische Kleidung als cooler Streetstyle-Look die Leiden der Betroffenen persiflieren würde.
Zudem haben sich die Kreativen der Edel-Brands schon seit jeher von Soldaten-Klamotten inspirieren lassen, als Beispiel sei an Military-Mäntel, Cargo-Hosen, Tarnmuster erinnert. Die neuen Kampfmonturen sind zumindest diskussionswürdig, wie die „Welt" jüngst in einer Stil-Kolumne angemerkt hat: „Der neue Kriegschic ‒ muss das sein? Nun ja, Mode reagiert auf ihre Umwelt, und die befindet sich nun mal in einem permanenten Ausnahmezustand. Bilder von Katastrophen und Kriegen haben sich tief ins kollektive Bewusstsein eingenistet, und manche Designer inspiriert das zu Schutzpanzern, die einigen Modefans durchaus gefallen. Streetstyle-Fotografen dokumentierten während der Männerschauen für den Frühling und Sommer 2019 mehrere Schauengäste, die sich wattierte Westen und Taschen voller Riemen um die Oberkörper schnallten."
Während die Gesichtsverhüllung in der westlichen Mode bislang vergleichsweise unberührtes Terrain war, sind Gesichtsmasken im Streetstyle anderer Kulturkreise schon lange weit verbreitet. In vielen asiatischen Ländern beispielsweise wurde der Mundschutz ursprünglich zur Protektion gegen gefährliche Virenkrankheiten eingeführt. Inzwischen wird er wegen der gravierenden Luftverschmutzung getragen. Koreanische Pop-Stars und ihre japanischen Kollegen pflegen die Gesichtsmaske regelmäßig in Styling-Sessions zu präsentieren. Die koreanischen Labels D. Gnak und 99 Prozent IS haben das Teil sogar auf ihren Laufstegen salonfähig gemacht.
Diesen Winter sind Gesichtsmasken nun auch auf den internationalen Catwalks des Abendlandes aufgetaucht. Die Hoods stellen die wohl am wenigsten problematische Variante dar. Die meisten Exemplare sind eng an Kopf und Hals anliegend geschnitten, wie bei Dior, Preen by Thornton Bregazzi, Lanvin, Vivienne Westwood oder Marni. Es gibt aber auch weiter gearbeitete, glockenförmig an Nonnen-Kopfbedeckung erinnernde Modelle wie die von Maison Margiela, Calvin Klein oder Valentino. Chanel hat Strick-Hoods in seiner Kollektion, andere Designer haben sich für Leo-Print entschieden, aber auch Leuchtfarben wie Silber (Calvin Klein) oder Blau (Balenciaga) sind angesagt. Da das Gesicht weitgehend frei bleibt, kann es mit einem möglichst ausdrucksstarken Make-up voll zur Geltung gebracht werden. Weil das Haar unter der vor Wind und Wetter bestens geschützten Kapuze verborgen ist, ist ein Hood auch ein perfektes Hilfsmittel für einen Bad-Hair-Day.
Die Balaclava, im Deutschen als Sturmhaube oder Sturmmaske bekannt, verdankt ihren Namen einem kleinen Örtchen unweit von Sewastopol, wo im Jahr 1854 während des dort wütenden Krimkriegs britische Truppen damit ausgestattet worden waren. Danach wurden sie zum festen Inventar beim Militär und schließlich über den Wintersport zum festen Bestandteil der Garderobe weiterer Fitness-Aktivitäten. Je nach Design bedecken die aktuellen Accessoires das Gesicht mehr oder weniger stark, lassen nur Augen, Augen und Nase oder auch Augen, Nase und Mund frei, und rahmen das Gesicht damit gewissermaßen ein. Sie sind nicht mehr nur klassisch aus Wolle gestrickt, sondern es gibt sie auch aus Materialien wie Fleece, Neopren oder Seide.
„Die Balaclava ist für die kommende Saison das, was wuchtige Turnschuhe für den Frühling und Sommer waren: ein absoluter Renner", so die Einschätzung des „Harper’s Bazaar"-Magazins. Zudem könne die Haube die Chance erhöhen, die private und intime Sphäre der Trägerin besser zu schützen: „Mit der Skimaske macht man sich unkenntlich, kann sich unerkannt bewegen und bleibt privat … Als Kommentar gegen die zunehmende Überwachung eignet sich die Balaclava in jedem Fall als gutes Statement-Piece." Auch die „Welt" vermag der Haube keinen besonderen Schönheitswert zuzugestehen. Aber das sei im „Ugly-Zeitalter" ohnehin längst kein Kriterium mehr.
Mit Mund- und Stirnschutz
Hauptakteure des Balaclava-Hypes sind Raf Simons für Calvin Klein sowie Alessandro Michele für Gucci. Beide Designer setzen dabei nicht etwa auf klassisches Schwarz, sondern auf einen leuchtenden Farben-Mix, mit dem frau auch beim Après-Ski für Furore sorgen könnte. Ziemlich sportiv wirken die handgestrickten Sturmhauben von Calvin Klein, die auf der Piste garantiert einen guten Kälteschutz bieten könnten. Bei Gucci gibt es zwar auch einige alltagstaugliche Strick-Modelle, doch daneben muss Michele natürlich auch wieder dem Gucci-Bad-Image gemäß mit einigen Kreationen provozieren, die dank Bommeln, Troddeln oder Quasten problemlos auch von Haremsdamen getragen werden könnten. Andere wecken Assoziationen an Comic-Helden wie Batman und Co.
Alexander Wangs Balaclavas sind in dunklen Matrix-Tönen gehalten und könnten Skistars ebenso gefallen wie Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton. Bei Dior wurden die Hauben mit einem Mützenschirm aufgepeppt. Die Neopren-Versionen von Preen könnten auch beim Tiefsee-Tauchgang gute Dienste leisten. Die von Jeremy Scott für Moschino entworfenen Mützen könnten in manchem Fetisch-Studio zu effektvollem Einsatz gebracht werden. Und Alyx-Chefdesigner Matthew Williams, der auch für Nike eine bis zum Brustkorb reichende schwarze Balaclava samt Swoosh-Logo entworfen hat, verpackte die Köpfe seiner Models in eine Kombination aus Sturmhaube, Mund- und Stirnschutz.