Beim Stichwort Schönheitschirurgie denken die meisten Menschen an Botox und all die kleinen Hilfsmittel, mit denen man die Spuren des Alterns verschwinden lassen möchte. Weniger bekannt ist, welch großen Anteil die rekonstruktive Chirurgie ausmacht. Michael G. (32) hat eine Magenverkleinerung durchführen lassen, verlor über 150 Kilogramm. Er berichtet von seinem Leben im alten und nun im neuen Körper.
Vor zwei Jahren brachte Michael G. noch fast 250 Kilogramm auf die Waage. Heute ist er bei 97 Kilogramm angekommen. Schon als Grundschüler war Michael übergewichtig. Er bediente sich am Kühlschrank, ohne dass seine Eltern etwas mitbekamen. Auch bei den Großeltern eine Etage darunter griff Michael gern mal heimlich zu. „Andere Kinder hatten Lust auf ein Bonbon, ich aß lieber eine Wurst“, erinnert sich der junge Mann. „Iss deinen Teller leer“ – diese Aufforderung konnte sich Michaels Mutter sparen. Eher fragte sie irgendwann vorsichtig: „Meinst du wirklich, dass du noch eine dritte Portion brauchst?“ Krankheit? Vererbung? Gewohnheit? Michael möchte sein Übergewicht ungern auf die Gene schieben. Er spricht lieber von falscher Ernährung.
Fehlernährung
Michael führt sein Übergewicht auf Fehlernährung, fehlendes Sättigungsgefühl und natürlich auf den Bewegungsmangel zurück. Und dazu kommt: Von Beruf ist Michael auch noch Koch. Eine Tätigkeit, bei der man immerzu kosten muss. Während der Arbeit hatte Michael allerdings gar nicht mal so viel Hunger. Aber spätabends zu Hause fing das große Essen an: Pizzas, zwei Steaks, noch ein Würstchen … Wenig Bewegung, essen, arbeiten, schlafen: So sah Michaels Leben mit 29 Jahren aus. „Ich habe mich mit Essen befriedigt. Das Sättigungsgefühl war nicht da. Ich habe gegessen bis zum Overkill.“ Michael kann sich nicht erklären, warum er so viel Essen zu sich nehmen musste. Er tippt vielleicht eher auf ein psychisches Problem.
Ein Leben voller Ausreden
Als Michael über 200 Kilogramm wog, begann er unter Schlafapnoe zu leiden. Zwei Jahre lang hatte er nachts keinen Tiefschlaf mehr. Morgens wachte er auf und fühlte sich nach zwölf Stunden im Bett komplett gerädert. Am Frühstückstisch schlief er ein, auf der Arbeit ebenfalls. Autofahren wurde problematisch. Er traute sich nicht mehr, allein 25 Kilometer weit zu fahren. Die Angst einzunicken, war zu groß. So fing er mit dem Rauchen an. Am Steuer zu rauchen hält wach, man ist beschäftigt. „In solchen Situationen legt man sich für alles Ausreden zurecht.“ Hinzu kam, dass er sich auch immer stärker zurückzog. Der Freundeskreis wurde kleiner und kleiner. Vor seiner Magen-Operation war Michaels Leben massiv eingeschränkt. Das Nötigste an Familienkontakt – zu mehr war er nicht in der Lage. Und die Arbeit? Acht Stunden am Tag Überlebenskampf. Manche Kollegen unterstützten ihn, andere schauten lieber weg.
Der richtige Zeitpunkt
Warum kam die Entscheidung für eine Magenverkleinerung nicht früher? Fünf Jahre zuvor hatte Michael bereits an eine solche Operation gedacht, aber ihm fehlte der Wille. Vor allem wegen einer Aussage seines Hausarztes: Laut einer Studie von 13 Universitäten sind viele Menschen, die so drastisch abgenommen haben, weniger glücklich, die Suizidrate liege sogar um 300 Prozent höher. Ein Stück Lebensgefühl gehe den Leuten verloren.
2015 suchte Michael ein Schlaflabor in Rammstein auf. Dort zeigte sich eine mit 60 Prozent „lebensgefährlich niedrige“ Sauerstoffsättigung. Michael wog 235 Kilogramm, als er sich zum ersten Mal bei seiner Krankenkasse nach einer Magenverkleinerung erkundigte. Sein erster Antrag wurde abgelehnt. Drei Wochen lang musste Michael ein Ernährungsprotokoll führen. Sein zweiter Antrag wurde schließlich genehmigt. Operiert wurde er am 31. März 2016 in Zweibrücken. Durch den „Schlauchmagen“ wurde sein Magen um 80 Prozent verkleinert. Am Anfang konnte er nur ein halbes Brötchen essen und kaum etwas trinken.
Neues Leben
Seither hat Michael 150 Kilogramm abgenommen. „Man vergisst schnell, wie es früher war“, sagt der junge Mann mit einem Lächeln. Einige Details kommen zurück an die Oberfläche. Beispielsweise schaute er sich damals, bei der Suche nach einem Platz, auf der Terrasse vor einem Café immer zuerst die Stühle an: Mit oder ohne Armlehne? In Stühle mit Lehnen passte er einfach nicht rein. Daher gab’s immer eine kleine Ausrede: Lass uns reingehen, draußen ist’s zu heiß.
Seit dem Eingriff fühlt sich Michael selbstbewusster. Er genießt eine bessere Mobilität, hat mehr Selbstantrieb und seit Juli 2017 eine Freundin. Sie unterstützt ihn sehr, begleitet ihn zu den Arztterminen, wechselt ihm die Bandagen. Jetzt läuft er die Treppe hoch, ohne außer Atem zu kommen. Er kann seine Schuhe binden, da der Bauch ihn nicht mehr behindert. Ein neues Leben hat begonnen.
Massive Hautüberschüsse
Im Anschluss an die Magen-OP gibt es aber noch viel zu tun: Die massiven Hautüberschüsse müssen entfernt werden. Das ist die Aufgabe der plastischen und ästhetischen Chirurgie. Ein langer Weg, aber das Ende ist in Sicht. Bei Dr. Barbara Veldung hat Michael sechs OPs hinter sich – es fehlen noch zwei.
Sie riet ihm, nicht im Internet zu recherchieren, sondern ihr zu vertrauen und sich an bestimmte Regeln zu halten, zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören. Trinken kann Michael während des Essens immer noch nicht. Nach einem Brötchen ist er jetzt satt. Früher konnte er ein Bier auf ex trinken.
100.000 bis 150.000 Euro dürfte die ganze Behandlung Michaels Einschätzung nach gekostet haben. Sein Traumgewicht waren weniger als 100 Kilogramm, das hat er erreicht. Betroffenen empfiehlt Michael auf jeden Fall, sich in einer solchen Situation operieren zu lassen. Wenn er übergewichtige Menschen sieht, drängt es ihn zu sagen: „Du brauchst nicht so weiterzuleben!“ Es sollte einem bewusst sein, dass man etwas dafür tun muss. Geschenkt bekommt man die höhere Lebensqualität nicht: Die Bereitschaft zur OP ist ein wichtiger Schritt.