Meir Adoni ist ein Star am Herd in seiner Heimat Israel. In seinem neuen Restaurant „Layla" am Anhalter Bahnhof zeigt der Chef eindrucksvoll, wie weltläufig und modern die traditionelle Küche der Levante interpretiert werden kann.
Das Mittelmeer ist an den Anhalter Bahnhof gezogen. Es hat einen kulinarischen Ableger direkt neben dem Tempodrom bekommen, in der ansonsten zum Essengehen eher unangesagten Weltgegend. Das hat sich mit dem brandneuen „Layla" geändert. Auf die Tische in dem weitläufigen Restaurant kommen farbenfrohe und abwechslungsreiche Gerichte mit ordentlichem Soul-Food-Faktor, die mit der Weltläufigkeit von Tel Aviv und New York ebenso sehr wie mit der ländlichen Küche der Levante und Marokkos zu tun haben.
Chef Meir Adoni bringt die würzige, durchaus fleisch- und fischverliebte zeitgenössische Küche seiner israelischen Heimat nun mit nach Berlin. Verpasst ihr einen coolen Twist, stellt Teller auf den Tisch, die ebenso das Teilen wie Alleinessen erlauben. Das große, offene Küchengeviert ist das Zentrum des durchgestylten, großen Gastraums, der in kleineren Sessel- und Tischgruppen lässige Gemütlichkeit ausstrahlt.
Es ist so verblüffend wie erfreulich, dass in wenigen Wochen des Soft Openings an einem schlichten Montagabend der große Gastraum richtig gut gefüllt ist: Freundesgruppen scharen sich um die Holztische, manche auf Stühlen, manche versinken so wie wir in Sesseln, die einem britischen Club zur Ehre gereichen würden. Der Service wuselt, reicht Karten und Getränke aus, trägt Drinks von der Bar an die Tische, erläutert die Gerichte, die wie ein „Meeresfrüchte Chraime" nicht unbedingt selbsterklärend sind. In der Überraschung liegt also die besondere Würze der Gerichte von Meir Adoni: Hätte ich etwa vor meinem Besuch gewusst, dass mir der „Chraime", ein angeschärfter und mit Koriander akzentuierter marokkanischer Eintopf, in dem ordentlich Kabeljau, Stockfisch und Miesmuscheln herumschwimmen, besonders gut schmeckt?
Die dick eingekochte Soße ist Tomate pur und cremig. Das will man bis zur Neige auslöffeln und mit dem fluffigsten, lockersten Couscous mit Pinienkernen, das ich je gegessen habe, auftunken. „Meir bereitet nur handgemachtes Couscous zu, so wie er es von seiner Mutter aus deren marokkanischer Heimat kennt", erklärt Lilach Sapin. Sie ist Group Manager sämtlicher Lokale – vom „Lumina" und „Blue Sky" in Tel Aviv sowie dem „Nur" in New York ebenso wie nun vom „Layla". Deshalb ist sie auch das Gedächtnis des Unternehmens, auch wenn Adoni nicht vor Ort ist.
Couscous wie bei Muttern
Meir Adoni sei der Jamie Oliver Israels, las ich kürzlich. Er lernte in seiner Heimat, holte sich aber den Feinschliff und Einblicke in andere Küchen, Stile und Trends im „Cordon Bleu" in Sydney, im Pariser „Maison Lenôtre" sowie im „Noma" in Kopenhagen. Und der Mann ist ein Popstar am Herd – er wirbelt in der offenen Küche herum und gibt sich als gut gelaunter wie präziser Dirigent seines ziemlich großen Teams.
War da nicht ein Leo-Haarband am Pass zu sehen? Ja, doch, es mischen so einige Frauen in der Küche mit – erkenntlich mehr als andernorts. Es ist ebenfalls viel Ivrit inmitten von Englisch und manchmal geradebrechtem Deutsch zu hören. Das Sprachenlernen im internationalen Team wird kurzerhand charmant ins Gespräch eingebunden; unsere Smartphones werden als Übersetzungshilfe benutzt. Lilach Sapin, Gregory Thomas vom Service, der italienische Fotograf, die deutsche Freundin und ich finden unter Zuhilfenahme ziemlich vieler Sprachen und des Internets heraus: „Freekeh" ist ein grüner Hartweizen, der gedörrt und gekocht in der robusteren Geschmacksliga von braunem Reis mitspielt. Er darf im „Layla" ein Barschfilet mit weißer Auberginencreme begleiten.
Der „Forbidden Rice", wie Lilach Sapin ihn nennt, war einst in China dem Kaiser vorbehalten. Heutzutage ist sein Verzehr ganz demokratisch jedem erlaubt. Der „schwarze Reis", wie Gregory Thomas übersetzt, ist die Beilage zur gegrillten Kalbslende in ihrer Kruste aus türkischem Kaffee und Kardamom. Der rauchig süß-herbe „Layla"-Drink gibt den Gegenpart in meinem Glas dazu. Wie sprach doch die Begleiterin angesichts ihres „Blossom"-Cocktails zum Aperitif, in dem sich Wodka, Jasmintee-Soda, Thymian und Kamille diskret vereinen? „Lasst uns erst mal was essen, um eine Grundlage für die Drinks zu schaffen!"
Der aus Italien nach Berlin geholte Mixologe Emanuele Broccatelli hält viel von selbst gemachten Essenzen und Spirituosen, starken und gern auch bitterlastigen Drinks. Ich sage: „Der Barchef hat keine Angst vorm Alkohol." Die wie das ganze Restaurant von den israelischen Designern von „Bald" gestaltete Bar vergisst auch ohne Drink kein Gast so schnell: Der große ovale Tresen stellt sich raffiniert und elegant dem Gast im Eingangsbereich in die Quere. Mit einem semitransparenten Vorhang und Holzelementen locker vom Restaurantbereich abgetrennt, ist der Drink als Aperitif oder Begleitung zum Essen ganz nah. Umgekehrt fühlt sich ein Barbesuch nicht zwingend nach „Essengehen" an, obwohl auch dort serviert wird.
Ich habe das Vergnügen, bei unserem „dienstlichen" Besuch bereits das zweite Mal im „Layla" zu sein. So weiß ich, was ich erneut essen will. Ja, das Hamachi Sashimi mit der fein aufgeschnittenen Gelbschwanzmakrele, schwarzem Quinoa, Lakritz, ankaramellisierten Walnüssen, Seegras-Pulver, Zitrone und Baharat ist immer noch mein leichtfüßiger Favorit aus der „Something to start"-Ecke. Ich wickele mir die überlangen Sellerie- und Rote-Bete-Spaghetti auf die Gabel. Erwähnte ich, dass ich Rote Bete liebe?
Die Trägersubstanz für das Hamachi ist ein frischer, angeschärfter und leicht anisiger Salat. Ungeteilt macht der Teller einer Person allein Freude. Ebenso wie der dekonstruierte Caesar Salad mit Romanasalat, angeschmortem Kohl, Brechbohnen, Ei, Anchovis und Parmesan. Bulgur und Linsen gesellen sich beiläufig orientalisch dazu. Das „verlorene Brot" präsentiert sich als XXL-Croutons – so gibt’s mehr zu knuspern. Die Gerichte sind als Einzelteller wie auch fürs gemeinschaftliche Essen portemonnaieverträglich bepreist: Starter wie das Hamachi-Sashimi kosten zwischen sieben und 19 Euro, sind aber nicht unbedingt kleiner dimensioniert als ein Hauptgericht, wie etwa der Caesar Salad. Die Teller „To Continue", also zum „Fortführen" im Hauptgang, stehen für 13 bis 29 Euro auf der Karte.
Dessert zu Ehren Präsident Peres
Vor der geräucherten Kalbszunge mit Bries mache ich allerdings kehrt – bei allem „Nose to tail"-Verständnis werden die Textur von Zunge und ich keine Freunde mehr. Das „Layla Tatar" vom selben Tier mit geräucherter Auberginencreme, Labneh – einer arabischen, joghurtartigen Sauermilch-Spielart – von der Ziege, Sumach, grünen Gemüsen, Tahini und Olivenöl ist mir lieber. Über das Tatar weht ein leichtes Rauch-Aroma, beim Auberginen-Carpaccio ist es deutlich präsenter. Die Begleiterin ist schließlich die Nutznießerin meiner Empfindlichkeit gegenüber Rauch am Essen. Sie kann sich bei den schlotzigen, mit Tahini, Dattelhonig, Pistazien, Feta-Schnee und Rosenblüten-Flocken bedeckten Auberginenscheiben kaum zurückhalten. Der Fotograf kommt beim Hühnerleber-Parfait mit intensivem Blutorangengel, Tassos-Oliven und mit Fenchelsamen auf seine Kosten.
Unbedingt von der Brioche dazu nehmen! Vor intensiven Aromen macht Meir Adonis Küche nämlich so wenig Halt wie die Bar vorm Alkohol. Das führt zu rasch ausgeprägter Liebe wie Abneigung: Wo klare Kante auf dem Teller gezeigt wird, kristallisieren sich Geschmackspräferenzen rasch heraus.
Freunde des qualifizierten Weißmehl-Gebäcks kommen im „Layla" gut weg: Kubbana – eine jemenistische Brioche –, Bagel und Sauerteigbrot werden frisch gebacken und zu den Starters wie zu den ausgewachsenen Gerichten gereicht. Und zum Dessert. Zwei haben wir zunächst erfolgreich absolviert: die „Erde" mit den „Ein-Männlein-steht-im-Walde"-Pilzen unzweifelhaft das niedlichste und wohl auch schokoladigste Dessert des Jahres 2018. Der an Aromen feinteiligere „Neue Mittlere Osten" soll dem verstorbenen israelischen Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres die Ehre erweisen, verrät uns Lilach Sapin. Verschiedene Früchte, Aromen und Zutaten symbolisieren die unterschiedlichen Herkünfte und Traditionen: Zwischen aufgebrochenen Meringuen-Hälften treten Blutorangen- und Arrak-Sorbet mit Olivenöl-Vinaigrette hervor.
Danach erst kommt Lilach Sapin mit einem „ganz einfachen" Dritt-Dessert um die Ecke. „Ihr müsst mir sagen, ob das mit auf die Karte soll!" Das „Einfache" ist ein Hügel von Crème Brûlee auf einer Nusscreme plus Brioche. Ja, unbedingt auf die Karte nehmen! Der Kalorientraum ist ratzeputz verzehrt, die Abstimmung mit den Löffeln einstimmig. Angst vor Kalorien haben sie im „Layla" also auch nicht.