Eine Vielzahl von Tierarten stellt mit ungewöhnlichen Sinnesleistungen vergleichbare menschliche Fähigkeiten weit in den Schatten. Im Folgenden stellen wir einige besonders beeindruckende Beispiele vor.
Die Sinne werden häufig als „unsere Fenster zur Welt" bezeichnet. Wobei schon Aristoteles die fünf wichtigsten Sinneskanäle benannt hatte: Gehörsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn, Gesichtssinn und Tastsinn. Die moderne Physiologie hat noch weitere Sinne hinzugefügt, beispielsweise den Temperatursinn, den Gleichgewichtssinn, die Körperempfindung oder Tiefensensibilität, die Schmerzempfindung oder den Sinn für die Zeit namens innere Uhr. Viele Tiere verfügen über gleiche oder ähnliche Sinne wie der Mensch – in unterschiedlich ausgeprägten Varianten des Wahrnehmungsvermögens. Darüber hinaus gibt es in der Fauna aber auch zahlreiche Geschöpfe, die über verblüffende, für uns teilweise noch völlig unverständliche Sinnesfähigkeiten verfügen. Die sind längst in den Fokus der Forschung gerückt, weil der Homo sapiens durch deren Vereinnahmung grundlegend profitieren könnte.
Sehen
Der Begriff „Adlerauge" kommt nicht von ungefähr. Denn viele Raubvögel wie Adler, Falken oder Geier können eine Beute noch auf eine Entfernung von 1,5 Kilometern aus großer Höhe ausmachen. Möglich macht es eine Art eingebautes Fernglas in der Linse, wodurch sich bestimmte Bereiche des Blickfeldes vergrößern lassen. Generell verfügt das Vogelauge über eine ungewöhnlich weiche Linse, die sich blitzschnell scharf stellen kann, und über eine riesige Zahl von Seh- oder Sinneszellen. Während Säugetiere über zwei und Spinnen über acht Augen verfügen, haben Libellen die meisten Augen im Tierreich. Was bei ihnen wie ein einzelnes großes Augenpaar aussieht, sind in Wirklichkeit mehrere zehntausend funktionsfähige Einzelaugen, deren Bilder von der Libelle zu einem Mosaik zusammengesetzt werden. Auch andere Insekten profitieren dank ihrer Facettenaugen über einen Rundumblick. Über die größten Augen der Welt mit einem Durchmesser von über 30 Zentimetern verfügt der Riesenkalmar. Ein Sonderfall ist das Vierauge, ein lateinamerikanischer Küstenfisch, der als einziges bekanntes Lebewesen dank einzigartiger Pupillen über und unter Wasser gleichermaßen gut sehen kann. Dass viele Tiere, beispielsweise Katzen, im Dunkeln hervorragend sehen können, hat mit einer hinter der Netzhaut liegenden besonderen Zellschicht namens Tapetum lucidum zu tun. Die wirft das Licht wie ein Spiegel auf die Netzhaut zurück, die so die doppelte Lichtmenge verarbeiten kann. Ein wahrer Farben-Experte ist der Fangschreckenkrebs, der bis zu 100.000 Farben unterscheiden kann.
Hören
Im Vergleich zum Menschen besitzen viele Tiere ein erstaunliches Gehör. Während wir Menschen dazu in der Lage sind, Töne im Bereich von 20 bis 20.000 Hertz (Schwingungen pro Sekunde) wahrzunehmen, können beispielsweise Hunde im Bereich von 40 bis 46.000 und Pferde im Bereich von 31 bis 40.000 Hertz hören. Rinder und Elefanten können sogar Infraschall unterhalb des menschlichen Hörvermögens registrieren. Weil sich tieffrequenter Schall weiter fortpflanzen kann, können sich Elefanten wahrscheinlich über Strecken von bis zu zehn Kilometern miteinander verständigen. Wobei die Tiere trotz ihrer großen Ohren vor allem ihre extrem schallempfindlichen Füße, die die über den Boden ziehenden Schallwellen bestens empfangen können, zum Hören verwenden. Auch viele Insektenarten hören extrem gut. Manche können mithilfe von trommelfellartigen Membranen oder feinsten Härchen Töne im Ultraschallbereich von mehr als zwei Oktaven über dem menschlichen Hörvermögen wahrnehmen, andere Arten können Laute im Intraschallbereich zuordnen. Bei Schleiereulen sind die Gehöröffnungen am Kopf asymmetrisch angeordnet, wodurch die Tiere bei der Beutesuche die exakte Quelle des Tons viel besser bestimmen können und gewissermaßen zu einem räumlichen Hören befähigt werden. Manche Tiere haben keine Ohren. Heuschrecken hören beispielsweise mithilfe ihrer Beine, sie haben in ihren Kniegelenken eine Art Hörmembran, die ähnlich funktioniert wie ein menschliches Trommelfell. Auch Vögel nehmen Schall über das Trommelfell wahr, Amphibien zusätzlich auch mithilfe der Vorderbeine. Fische hören teilweise mit ihrer Schwimmblase.
Riechen
Den besten Geruchssinn im gesamten Tierreich haben die Aale. Sie könnten einen Esslöffel Zucker noch im riesigen Bodensee erschnuppern. Möglich wird das durch hochempfindliche, in beweglichen Röhren angeordnete Riechzellen, die dem Fisch eine Art von 3D-Riechen ermöglicht. Damit finden Aale ähnlich wie Lachse mithilfe ihrer Riechgruben sicher den Weg zu ihrem Heimatfluss zurück. Ein Männchen des Seidenspinnerschmetterlings kann die von einem Weibchen ausgesandten Duftmoleküle über eine Entfernung von bis zu zehn Kilometern wahrnehmen. Schlangen nutzen das Züngeln zur Aufnahme der Duftspur eines Beutetieres. Die Zunge nimmt die Geruchsstoffe aus der Luft wahr und leitet sie an ein spezielles Organ im Gaumen weiter, die eigentliche Nase spielt dabei nur eine Nebenrolle. Viele Hai-Arten pflegen ihre Beute vor dem Zubeißen anzustupsen, weil sie nicht nur über Schnupperorgane im Kopf verfügen, sondern auch mit ihrer Haut riechen können. Die Riechorgane der Spinnen befinden sich an den vorderen Tastbeinen, bei den Skorpionen an der hinteren Unterseite des Bauches.
Tasten /Druckorientierung /Strömungssinn
Dass Fische und andere Amphibien in größeren Schwärmen ohne aneinanderzustoßen schwimmen können, verdanken sie dem sogenannten Seitenlinienorgan, einer Art Tastsinn auf Distanz. Mithilfe dieses Organs, das sich an der Oberfläche in Form von Hautporen zeigt, die zu einem mit gelartiger Masse gefüllten Schlauch in der Haut führen, können selbst kleinste Wasserbewegungen und Druckunterschiede wahrgenommen werden. Sobald ein Fisch im Schwarm die Richtung ändert, bemerken die direkten Nachbarn die Druckänderung und richten sich entsprechend aus. Auch Alligatoren können dank sensibler Sensoren auf den Unterkiefern und im Maul winzigste, von Beutetieren ausgelöste Wasserbewegungen registrieren. Seehunde benutzen dafür ihre rund 100 Schnurrhaare, die mit jeweils 1.600 Nervenzellen bestückt sind, was dazu im Vergleich Katzen mit ihren 160 Nervenzellen an den Barthaaren ziemlich alt aussehen lässt. Seekühe ertasten sich mit ihren den ganzen Körper bedeckenden Fühlhaaren den Weg in trüben Gewässern. Für Elefanten, die vergleichsweise schlecht sehen können, ist der Rüssel mit unzähligen Sensorenzellen als Tastorgan gleichsam überlebenswichtig.
Elektrosinn
Haie und Rochen sind dazu in der Lage, ihre Beute mithilfe einer passiven Elektroortung ausfindig zu machen. Was bedeutet, dass sie selbst zwar keine elektrischen Signale aussenden, aber sehr wohl noch allerkleinste elektrische Impulse aus ihrer Umwelt, beispielsweise ausgelöst durch den Herzschlag eines im Meeresboden versteckten Fisches, registrieren können. Haie benutzen dafür eine Art von Antennen namens Lorenzinischer Ampullen, die unter ihrer Kopfhaut eingebaut sind. Es gibt daneben aber auch einige Fische wie den Nilhecht oder einige Wels-, Aal- und Rochenarten, die selbst elektrische Signale produzieren können und damit eine aktive Elektroortung aufnehmen können. Ein Zitteraal beispielsweise kann eine Spannung von 800 Volt aufbauen, womit er seine Beute mühelos betäuben oder töten kann.
Echoortung /Ultraschall-Sonar
Es gibt im Tierreich einige wenige Arten wie Fledermäuse, Salanganen und Fettschwalme, Höhlenflughunde, Zahnwale, Delfine oder einige Spitzmäuse-Gattungen, die sich mithilfe der Reflexion von Ultraschall-Lauten, auch Ultraschall-Echoortung genannt, im Dunkeln orientieren und das Sonar auch zum Ausweichen vor Hindernissen oder zum Beutefang benutzen. Das Sonar der Fledermäuse ist so perfekt, dass sie im Flug sogar Fäden, die dünner als menschliches Haar sind, registrieren und ihnen rechtzeitig ausweichen können. Das Sonar der Delfine, mit dessen Hilfe die Säugetiere auch über mehrere Oktaven im Ultraschallbereich miteinander kommunizieren können, startet mit einzelnen Klicklauten, die vermutlich im Nasenraum erzeugt werden. Die Echos werden von den Säugetieren offenbar mit dem Unterkiefer und damit verbundenen Organen empfangen. Delfine können die Lautstärke ihres Sonarklickens anpassen ‒ von einem Flüstern bis hin zu ohrenbetäubenden 220 Dezibel (zum Vergleich: laute Musik kann 120, Geschützfeuer 130 Dezibel erreichen).
Wärmeortung /Infrarotstrahlung
Schlangen, vor allem aus der Familie der Grubenottern, verfügen über die ungewöhnliche Fähigkeit, dass sie Wärmestrahlung oder Infrarotstrahlung gewissermaßen sehen können. Dafür nutzen sie das sogenannte Grubenorgan, das sich auf jeder Seite des Kopfes zwischen Auge und Nasenloch befindet. Mithilfe dieses Infrarotsensors kann das Kriechtier winzigste Unterschiede zwischen der Umgebungstemperatur und der Körpertemperatur des Beutetieres ausmachen, dem ruhiges Sitzen selbst bei stockfinsterer Nacht daher gar nichts nutzt. Auch der Schwarze Kiefernprachtkäfer kann Infrarotstrahlung erkennen.
Magnetfeld-Orientierung
Einige Tierarten verfügen über eine Art von eingebautem Kompass, mit dessen Hilfe sie sich zur Navigation am Erdmagnetfeld orientieren können. Es handelt sich wahrscheinlich um winzige Kristalle einer natürlichen magnetischen Substanz namens Magnetit, die in Schnabel oder Auge zu finden ist. Erwiesenermaßen können Bienen, Forellen oder auch Rotkehlchen magnetische Felder wahrnehmen. Womöglich verfügen aber auch Lachse, Wale oder Schildkröten über einen magnetischen Sinn.
UV-Licht-Ortung /polarisiertes Licht
Menschen können polarisiertes Licht nicht wahrnehmen. Aber Tiere wie Heuschrecken, Bienen, Ameisen oder Mausohrfledermäuse können es mit dem in ihren Facettenaugen eingebundenen Molekül Rhodopsin zur Orientierung mittels eines für sie erkennbaren Polarisationsmusters am Himmel nutzen. Einige Tiere wie Bienen oder Vögel wie der Bussard können UV-Licht sehen. Der Raubvogel nutzt diese Fähigkeit, um sich mithilfe des UV-Licht reflektierenden Mäuse-Urins bei dunkler Nacht zielsicher auf die Spur der Nager zu begeben. Die Bienen, andere Insekten und auch Blütenfledermäuse werden durch UV-Licht reflektierende Blütenpflanzen zum Nektar geführt. Auch einige Fischarten wie der Goldfisch können UV-Licht wahrnehmen.
Dank einer Reihe verschiedenster, von der Forschung noch nicht sicher identifizierter Sinnesfähigkeiten können Tiere offenbar Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Tsunamis vorhersehen – auch wenn die Existenz des sogenannten sechsten Sinnes bei so manchem Fauna-Lebewesen wissenschaftlich noch ziemlich umstritten ist. Aber erste Meldungen über ein seltsames Verhalten von Tieren im Vorfeld eines Erdbebens am Golf von Korinth stammen bereits vom griechischen Geschichtsschreiber Diodor. Demnach sollen sich fünf Tage vor der Katastrophe im Jahr 373 vor Christus Ratten, Käfer und Schlangen in einem riesigen Zug ins Landesinnere in Sicherheit gebracht haben. Ähnliche Beobachtungen konnten in der Neuzeit beispielsweise rund um den Ätna auf Sizilien vor Vulkanausbrüchen oder 2004 in Sri Lanka vor dem Eintreffen der verheerenden Flutwelle gemacht werden. Das animalische Alarmsystem auf seine Verlässlichkeit zu überprüfen, ist jedenfalls eine spannende Aufgabe für die Wissenschaft.