Seit mehr als 15 Jahren engagiert sich Aktionskünstler Mike Mathes für den Frieden. Seine bunten Bilder erreichten nicht nur das Weiße Haus. Sie zeigen auch die Armut in den Favelas in Rio de Janeiro. Der Ausnahmekünstler appelliert an das katholische Kirchenoberhaupt, den eingeschlagenen Weg der Erneuerung fortzusetzen.
Wie viele Persönlichkeiten auf seiner farbenfrohen Leinwand zu sehen sind, kann Mike Mathes auf Anhieb gar nicht sagen. „Dafür müsste ich sie erst mal zählen", erzählt der Aktionskünstler. „Allerdings geht es mir auch gar nicht um die genaue Anzahl." Vielmehr steht die Botschaft der lebenden Leinwand – wie der Künstler das zehn Meter lange und 1,60 Meter hohe Transparent betitelt – im Vordergrund. Diesen Gedanken spiegelt auch der Name seines Gemäldes: die Botschaft an Papst Franziskus. „Das Ziel dieser Kunstaktion im Vatikan war es, unserem Papst beizustehen und ihn in seinen Neuerungen zu bestärken", bringt es Mathes auf den Punkt. „Die Menschen, die ich auf der Leinwand abgebildet habe, stehen sozusagen Pars pro Toto für die aktuellen Themen, mit denen sich der Vatikan und insbesondere Papst Franziskus auseinandersetzen." Und das ist eine ganze Menge. Das Banner erzählt von verschleierten Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche, Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Liebe und Unterdrückung von Homosexuellen. „Das letzte Thema greife ich beispielweise mit der Bildsequenz von Elizabeth Taylor und Rock Hudson auf", erklärt der Künstler. Mathes malt die beiden US-Superstars nebeneinander – als Zeichen der besonderen Verbundenheit und eines zum damaligen Zeitpunkt mutigen Bekenntnisses seitens der schillernden Hollywood-Diva. „Obwohl Rock Hudson homosexuell gewesen ist, konnte sich der Künstler aufgrund der gesellschaftlichen Zwänge nicht outen", erklärt Mathes. Dazu kam es erst Mitte der 80er-Jahre. Als Hudson dann auch noch an Aids erkrankte, schien er gänzlich von der Gesellschaft verstoßen zu sein. HIV-Infizierte wurden stigmatisiert. „Aus Angs vor einer Ansteckung grenzte man diese Menschen aus", kommentiert Mathes die bunte Bildsequenz. Schon ein Handschlag galt zum damaligen Zeitpunkt als gefährlich, ein Mückenstich als Garantie für eine Ansteckung mit dem tödlichen Virus. „Umso bedeutender war das Bekenntnis von Elizabeth Taylor", so Mathes. Die Diva blieb mit dem Schauspieler nicht nur weiterhin befreundet und gab Hudson die Hand, sondern teilte mit ihm in der Öffentlichkeit sogar ein Trinkglas. „Damit setzte Taylor ein öffentliches Signal", sagt Mathes, „für die Homosexuellen war diese Geste damals Gold wert."
Einen weiteren Schwerpunkt bei seiner lebenden Leinwand legt Mathes auf die Armut. Im Gegensatz zu dem vorherigen Beispiel wählte der Künstler für diese Schilderung keine prominente Persönlichkeit. Er versinnbildlichte das Thema mittels einer Freundin. „Eine sehr gläubige Frau aus Polen, die mittlerweile ihr Leben in Deutschland aufgebaut hat." Das Banner zeigt seine Bekannte als junges, verschüchtertes Mädchen in knöchelhohen Hosen und einem Topfhaarschnitt. „Sie übergab mir ihr Kinderbild bei einem unserer Treffen", erzählt Mathes, „und ich brachte die Abbildung auf die Leinwand." Daneben malte der Künstler eine südamerikanische Nonne. „Sie steht für meinen Appell an die Kirche in Bezug auf die Gleichwertigkeit von Mann und Frau."
Auch im Umgang mit seltenen Krankheiten sieht der Künstler noch viel Verbesserungsbedarf. „Für dieses Thema porträtierte ich ein 15-jähriges Mädchen mit Rett-Syndrom." Die tiefgreifende Einwicklungsstörung nimmt den Betroffenen die Chance auf ein gesundes Leben. „Zunächst entwickeln sich die Babys noch ganz normal", erklärt Mathes. Doch spätestens nach zwölf Monaten geht die Entwicklung der Kleinkinder zurück. „Ein wichtiges Thema, mit dem sich auch die Kirche befassen sollte", so Mathes. So wie auch das posttraumatische Belastungssyndrom. „Wenn Soldaten aus dem Krieg zurückkehren und sich nicht mehr in der friedlichen Welt zurechtfinden", greift Mathes den Gedanken auf, „interpretieren das viele als Schwäche. Dabei ist das eine persönliche Tragödie." Den Protagonisten, der auf seiner Leinwand abgebildet wurde, kennt Mathes persönlich. „Er gründete eine Selbsthilfegruppe, um Menschen, denen solches widerfahren ist, zu helfen."
Arbeit an der Leinwand dauerte drei Jahre
Insgesamt drei Jahre arbeitet der saarländische Aktionskünstler an seiner „Botschaft an Papst Franziskus". „Nicht durchgehend", erklärt Mathes. Immer wieder muss der Künstler unterbrechen, um Auftragsarbeiten entgegenzunehmen. Damit finanziert Mathes seinen Lebensunterhalt. Doch die Freizeit fließt in sein Herzensprojekt, das gigantische Transparent.
Sobald der letzte Pinselstrich trocken war, machte sich Mathes auf den Weg in den Vatikan. Drei Tage verbringt der Künstler im Kirchenstaat. Den ersten gleich am Petersdom vor dem imposanten Obelisk auf dem heiligen Platz. Sobald er den Petersplatz betrat, wickelte sich der Künstler in sein Transparent und zeigte sich so den überraschten Besuchern. „Ich wusste nicht genau, wie ich dort ankomme, deswegen musste am Anfang auch alles relativ schnell gehen", beschreibt er seine Kunstaktion. Um seine lebendige Kunst gut präsentieren zu können, bringt Mathes eine Reproduktion mit. „Vier Meter auf 60 Zentimeter, damit es handlicher und einfacher für mich wird." Die anfänglichen Bedenken lösen sich schnell auf, die Besucher sind von seinem Statement begeistert. „Die Menschen kamen auf mich zu, sprachen mich auf die Leinwand an und machten Fotos", resümiert Mathes. Anschließend sollte die Leinwand über eine Vertrauensperson an Papst Franziskus weitergeleitet werden.
„Schließlich habe ich es ihm zu verdanken, dass ich diese Aktion gestartet habe", betont der Künstler. Oder besser gesagt, seinem neuen Papstnamen Franziskus, den er gleich nach seiner Wahl durch die Kardinäle angenommen hatte. „Franziskus war nämlich ein Bettelmönch", erklärt Mathes. Als Sohn eines reichen Tuchhändlers führte Franziskus zunächst ein wildes, frevelhaftes Leben. Doch dann erlebte der später Heiliggesprochene von heute auf morgen eine Erweckung. „Er legte seine Kleider nieder und führte ein Leben als Bettelmönch im Einklang mit der Natur." Anstatt zu predigen, lebte Franziskus den Menschen seine Werte von Humanität und Menschlichkeit vor. „Gleichzeitig ließ er sich aber auch nicht den Mund verbieten", erzählt Mathes. Franziskus kam sogar bis zum Papst und bekam eine Audienz, bei der er ihn so in seinen Bann zog, „dass ihn der Papst einfach walten ließ." Damit stieß Franziskus auch zum Teil den Wandel der Kirche an.
„So wie unser Papst Franziskus es heute tut", zieht Mathes eine Parallel zur Jetztzeit. „So wie auch sein Namensgeber verzichtete auch unser Papst auf manche Privilegien. Er fährt keine Luxuskarosse, trägt ganz normale Straßenschuhe statt den traditionellen roten. Er versucht wirklich etwas zum Besseren zu ändern, anstatt nur Lippenbekenntnisse zu machen. Und dabei möchte ich ihn unterstützen."