Bauchgefühl, Geistesblitz, inneres Wissen: Für die Intuition gibt es viele Namen. Was genau verbirgt sich dahinter? Was bringt es, ihr zu folgen und wie kann man lernen, sie zu hören?
Plötzlich hatte Ap Dijksterhuis so ein Bauchgefühl. Ich nehme die Wohnung, sagte er nach zwei Minuten. Das Bad hatte er noch nicht angesehen, 240.000 Euro standen auf dem Spiel. Er fällte seine Entscheidung in so kurzer Zeit, während alle anderen Interessenten noch unentschlossen die Räume erkundeten. Der Makler stimmte zu. Die schnellste Entscheidung seines Lebens, sagt der Sozialpsychologe heute. Und dennoch eine, die er nie bereut habe. Rückblickend kann er sich erklären, was ihm damals passiert ist. Intuition nennt es der Forscher. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?
Der Psychologe Gerd Gigerenzer macht drei Eigenschafen aus: „Erstens: Es ist schnell im Bewusstsein. Wir wissen sofort, was richtig ist. Zweitens: Wir kennen die Gründe nicht. Die Gründe liegen im Unbewussten. Drittens: Dennoch steuern Intuitionen sehr vieles in unserem menschlichen Verhalten." Ein Wissen also, das wir sofort zu erfassen scheinen, das aber nicht auf rationalen Fakten sondern mehr auf einer Art Gefühl basiert. Psychologie-Professor David G. Myers definiert Intuition in seinem Buch „Intuition: It’s Powers and Perils" als „unsere Fähigkeit für direktes Wissen, für unmittelbare Einsicht ohne Überlegung oder Verstand".
Woher kommt dieses Wissen? Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Dr. Joachim Bauer glaubt, dass die Intuition eine biologische Resonanz in uns sei. Sie entstünde, ohne dass wir bewusst darüber nachdenken oder sie kontrollieren können. Ausgelöst würde sie durch sogenannte Spiegelnervenzellen.
Ap Dijksterhuis hat bei der Entscheidung für seine Wohnung in Wahrheit eine ganze Fülle von Informationen verarbeitet. Die Küche war geräumig und modern, die Zimmer hell, der Allgemeinzustand gut. Begeistert davon, wie schnell die Intuition arbeitet, begann er die mentalen Prozesse zu erforschen. Dazu hat er Feldforschung betrieben. Haushaltswarenabteilungen, Parkplätze von Möbelhäusern, Fußballfans und Autokäufer – die verschiedensten Bereiche hat Dijksterhuis auf ihre Kaufentscheidungen hin überprüft. Sein Fazit: Die Intuition ist in der Lage, das wichtigste Kaufargument zu filtern und demnach richtig zu entscheiden. Immer wieder wird von Käufen berichtet, über die man rational betrachtet nur den Kopf schütteln kann. Arthur Guinness etwa gründete 1759 sein Unternehmen in einer kleinen und schlecht ausgestatteten Brauerei in Dublin. Den Pachtvertrag über 45 Pfund schloss er damals für 9.000 Jahre ab. Heute ist das eine echte Erfolgsgeschichte basierend auf dem Bauchgefühl, und doch kann uns die Intuition auch trügen.
Zugang zu eigenen Gefühlen
In einer Studie, die im britischen Magazin „Psychological Society Digest" veröffentlicht wurde, haben Forscher Probanden nach dem besten Weg gefragt, die Gefühle anderer Menschen nachzuvollziehen. Drei Viertel der Befragten empfahlen, auf den Instinkt zu hören. Die Wissenschaftler teilten die Probanden danach in zwei Gruppen ein: solche, die eher analytisch sind und jene, die eher intuitiv sind. Alle Testpersonen haben dann einen Empathie-Test gemacht, in dem sie die Emotionen anderer Menschen einschätzen sollten. Das Fazit: Die Analytiker hatten die besseren Testergebnisse. Ein und dieselbe Person konnte bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie vorab eine analytische Aufgabe erledigen sollte. Warum glaubt der Mensch, andere vor allem über intuitives Vorgehen besser verstehen zu können? Wissenschaftler sehen einen möglichen Zusammenhang in der Annahme, dass andere unsere Emotionen teilten. Wenn jemand eine Geschichte höre, die ihn wütend macht, tendiere er dazu, zu glauben, dass auch sein Gegenüber wütend darüber sein müsse – selbst wenn er oder sie eher traurig aussieht. Nicht immer also sollte man der eigenen Intuition voll und ganz vertrauen.
Sarah Ward von der Universität Missouri-Columbia hat untersucht, wie sich die Intuition auf das moralische Verhalten auswirkt. 100 Probanden sollten angeben, wie intuitiv sie sich selbst einschätzen. In einem ersten Experiment sollten sie sich vorstellen, dass sie einen Fehler bei der Arbeit gemacht haben und danach einen Kollegen dafür beschuldigt hätten. Um sich besser in diese Situation hineinzuversetzen, bekamen sie eine entsprechende Geschichte zu lesen. Ward vermutete, dass die Vorstellung einer unmoralischen Handlung dazu führe, dass die Probanden sich schämten oder schuldig fühlten. Vorangegangene Forschung hatte bereits gezeigt, dass solche Gefühle dazu führen können, dass sich Menschen schmutzig oder verunreinigt fühlten. Ward nahm an, dass sie daher eher bereit wären, Handwaschmittel zu kaufen. Und tatsächlich: Menschen, die mehr auf ihre Intuition hörten, gaben mehr für Handwaschmittel aus, nachdem sie über die moralische Entgleisung gelesen hatten.
In einem zweiten Experiment sollten die Probanden über eine Zeit berichten, in der sie moralisch tatsächlich fehlerhaft gehandelt hatten. Danach sollten sie einen unlösbaren IQ-Test absolvieren und die eigene Leistung im Nachhinein selbst einstufen. Um die Probanden zum Lügen zu verführen, erzählten Ward und ihre Kollegen ihnen, dass die besten zehn Prozent ein Lotterie-Ticket bekämen. Mehr als 23 Prozent schummelten tatsächlich bei dem Test. „Unser zweites Experiment konnte zeigen, dass Menschen, die tendenziell auf ihr Bauchgefühl hören, wenig versucht sind zu betrügen, nachdem sie an eine Zeit erinnert wurden, in der sie sich moralisch schlecht verhalten haben." Die Psychologin glaubt, die Probanden versuchten dadurch das Verhalten der Vergangenheit zu kompensieren. Hinsichtlich moralisch relevanter Entscheidungen rät sie, sowohl privat als auch beruflich auf die Intuition zu hören.
Die Intuition kann von Nutzen sein, sie kann uns aber auch in die Irre führen. Gerade in zunehmend komplexen Zeiten jedoch scheint sie Hochkonjunktur zu haben. Denn das menschliche Bewusstsein kann nur einen winzigen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens erfassen. Selbst wer nur dösend im Sessel sitzt, muss pro Sekunde elf Millionen Sinneseindrücke verarbeiten. Die Rechnung ist einfach: Das Bewusstsein schafft es, davon gerade einmal 40 Eindrücke gleichzeitig zu verarbeiten, der Rest wird aus mangelnden Kapazitäten an den Autopiloten weitergeleitet.
Grundsätzlich, sagen Experten, verfügt jeder Mensch über Intuition, aber nicht jeder kann die innere Stimme gleich gut hören. Während einige sich scheinbar routiniert auf ihr Bauchgefühl verlassen, scheinen andere den Zugang völlig verloren zu haben. Der amerikanische Autor Paul Ferrini führt das auf die Hektik des Alltags zurück. Sie stimuliere den Menschen ununterbrochen. Das mache es schwer, in sich hineinzuhören.
Die US-Psychologin Diana Raab erklärt verschiedene Wege, die Intuition zu stärken. Besonders wichtig sei es dabei, regelmäßig zu üben. Sie schlägt vor, etwa Meditation oder geführte Körperreisen auszuprobieren und darüber einen erleichterten Zugang zu den eigenen Gefühlen zu gewinnen. Auch die Technik der kreativen Visualisierung, bei der man sich seine Zukunft oder bestimmte Bereiche ganz genau vorstellt und sich in diese hineinfühlt, könne hilfreich sein. Zudem könne der Mensch lernen, welche psychischen Stärken er habe. Ob er etwa über Körperempfindungen, Hören, Sehen oder intuitives Wissen am meisten und besten wahrnehme. Wer seine Stärken kenne, könne das Gefühl der Intuition besser verankern.