Vor 40 Jahren starben im Dschungel von Guyana mehr als 900 Menschen. Der fanatische Anführer der Sekte The Peoples Temple, Jim Jones, befahl seinen Anhängern, ihm in den Tod zu folgen. Wer den Suizid verweigerte, wurde gnadenlos massakriert.
Das Drama ereignete sich im Nordwesten des südamerikanischen Staates Guyana, nahe der Grenze zu Venezuela. „Wenn man uns nicht in Frieden leben lässt, so wollen wir jedenfalls in Frieden sterben. Der Tod ist nur ein Übergang auf eine andere Ebene." Mit diesen Worten leitete der US-amerikanische Sektenführer Jim Jones am Nachmittag des 18. November 1978 gegen 17 Uhr Ortszeit den wohl schrecklichsten kollektiven Selbstmord der Geschichte ein ‒ mit 909 Toten, darunter 276 Babys und Kinder. Mitten im Dschungel, wo Jones 1974 von der guyanischen Regierung ein 16 Hektar großes Gelände gepachtet und 1977 nach Rodungsarbeiten gemeinsam mit rund 1.100 Anhängern eine Siedlung namens Jonestown errichtet hatte. Der charismatische Jones propagierte Jonestown als Paradies auf Erden, als das neue gelobte Land ohne Rassendiskriminierung und mit sozialistischen Gemeinschaftsidealen. Tatsächlich war das religiös als Peoples Temple verbrämte Projekt aber nichts anderes als eine totalitäre Sektenkommune mit an Arbeits- oder Strafgefangenenlager erinnernden Zuständen und regelmäßiger Anwendung psychischer oder physischer Gewalt. Strafen und Schikanen machten die Mitglieder gefügig.
Die genauen Hintergründe der Tragödie liegen bis heute im Dunkeln. Nicht alle Anhänger hatten den tödlichen, in Pappbechern reihum verabreichten Cocktail aus Limonade, Valium und Zyankali zu sich genommen. Manche Leichen wiesen Schuss- oder Stichverletzungen auf. Es handelte sich also nicht um einen reinen Massensuizid, sondern in Teilen wohl auch um Mord. Den Kindern war das bittere Gift mit Einwegspritzen direkt in den Mund verabreicht worden. Auch die mit Maschinenpistolen als Siedlungswächter ausgestatteten Sektenmitglieder, die die Kommune tagtäglich hermetisch vor der Außenwelt abgeschirmt und Abtrünnige vor dem Verlassen der Gemeinschaft gehindert hatten, dürften bei dem Massaker ihre Hände mit im Spiel gehabt haben. Natürlich erwuchsen aus dem Ereignis auch jede Menge Verschwörungstheorien bis hin zu der bizarren Version, wonach Jim Jones ein CIA-Agent und das Dschungelcamp nichts anderes als ein Menschenexperiment des amerikanischen Geheimdienstes gewesen sei.
Flucht aus Angst vor den US-Behörden
Die zentrale Figur war der am 13. Mai 1931 in Crete im US-Bundesstaat Indiana geborene James Warren Jones. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, aber seine Mutter hatte in ihm dank eines persönlichen Traumerlebnisses schon früh einen neuen Messias gesehen. Jones suchte den Kontakt zu fundamentalistischen christlichen Kreisen – etwa zur Kirche der Nazarener oder der Pfingstbewegung – und entpuppte sich schon bald als begnadeter Prediger und Menschenfänger. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Marceline, die er 1949 geheiratet hatte, zog er 1950 nach Indianapolis im US-Bundesstaat Indiana, übernahm dort als gerade einmal 19-Jähriger eine Pfarrstelle in der methodistischen Gemeinde und gründete 1955, nachdem man ihn wegen seines vehementen Eintretens für Bürgerrechte und Rassenintegration entlassen hatte, seine erste eigene Glaubensgemeinschaft. Ein Jahr später ging daraus seine eigene Kirche, der Peoples Temple mit Sitz in Indianapolis, hervor.
Der als gut aussehender Mann im Stil eines Elvis Presley mit gescheitelten schwarzen Haaren und Piloten-Sonnenbrille beschriebene Jones bastelte sich eine aus sozialistischem Gedankengut und christlichem Erlösungsglauben gemixte Theologie zusammen, mit der er Zulauf vor allem bei Bedürftigen, vom kapitalistischen System Benachteiligten und unter der Rassendiskriminierung leidenden Afroamerikanern gewann. In den Glanzzeiten der Sekte mit bis zu 3.000 Anhängern Anfang der 70er-Jahre sollten 80 Prozent der Mitglieder dunkler Hautfarbe sein.
Obwohl Jones in Indianapolis bald zu einer angesehenen Persönlichkeit aufstieg, sich offiziell zum Methodistenpfarrer weihen ließ und zum Leiter der lokalen Menschenrechtskommission ernannt wurde, wechselte er 1965 gemeinsam mit einem harten Kern von 150 ihm treu ergebenen Jüngern infolge immer heftigerer Attacken von Rassentrennungsgegnern nach Kalifornien. Das neue Domizil des Volkstempels sollte eine Farm in Redwood Valley werden. Im 200 Kilometer entfernten San Francisco gewann die Sekte auch unter idealistischen Jugendlichen aus der Mittelschicht schnell Zulauf. Nicht zuletzt, weil sie in einem Armenbezirk ein Zentrum für kostenlose Gesundheitstests und Kinderbetreuung eingerichtet hatte. Diesem sozialen Engagement verdankte Jones die Berufung ans örtliche Bezirksschwurgericht und beste Kontakte zu den Medien sowie zu prominenten Persönlichkeiten wie dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Jimmy Carter, dessen Wahlkampf der Volkstempel auch finanziell dank eines auf zehn bis 15 Millionen Dollar geschätzten, von reicheren Mitgliedern rekrutierten Vermögens unterstützen konnte.
Jones ließ Suizid immer wieder proben
Erste Kratzer erhielt das gute Image der Sekte 1973, als Jones vorgeworfen wurde, einen Undercover-Agenten der kalifornischen Polizei zu homosexuellen Handlungen animiert zu haben. Noch mehr aber durch ausgestiegene Templer, die von skandalösen Zuständen innerhalb der Gemeinschaft berichteten. Angeblich sollen Vergewaltigungen, Prügelstrafen, Kindesmisshandlungen, Drogenexzesse und Elektroschockbehandlungen üblich gewesen sein. Auch dass Jones in seinen Predigten das Thema Erlösung und Seelenheil zunehmend hinter Aussagen zur Sexualität zurücktreten ließ, dürfte den Ruf der Sekte weiter beschädigt haben. Jones, der von seinen Anhängern nur als Dad oder Father angesprochen wurde, litt zudem durch wachsenden Drogeneinfluss immer häufiger unter Wahnvorstellungen bis hin zu einem Selbstverständnis als vermeintliche Gottgleichheit. Als der Sekte eine staatliche Untersuchung wegen sexueller Übergriffe drohte, ergriff Jones im Sommer gemeinsam mit rund 1.100 Getreuen gleichsam über Nacht die Flucht nach Guyana.
Für Außenstehende wirkte Jonestown wie eine bäuerliche Kommune, in der harte Arbeit bei wenig Nahrung auf der Tagesordnung stand. Wärter sorgten für eiserne Disziplin. Aufsässige Mitglieder wurden in Käfige gesperrt, mit Elektroschocks traktiert, bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt oder durch Drogen gefügig gemacht. Ein seltsames Ritual waren die sogenannten Weißen Nächte, in denen Jones regelmäßig einen Massenselbstmord proben ließ. Alle mussten sich dafür in einem Saal versammeln und aus einem Kessel vermeintlich vergiftete Limonade trinken ‒ eine bizarre Mutprobe, die bei allen Anhängern einen psychischen Dauerstresszustand auslöste.
Im Verlauf des Jahres 1978 betrachtete nicht nur die Regierung Guyanas das Treiben der Kommune immer kritischer. Auch in den US-Medien verschafften sich immer mehr Angehörige von Sektenmitgliedern mit ihren Anklagen Gehör. Der kalifornische US-Kongressabgeordnete Leo J. Ryan fasste den Entschluss, die Vorwürfe vor Ort zu untersuchen. Er traf am 17. November 1978 in Begleitung von Journalisten in Jonestown ein. Ihm wurde noch am gleichen Tag ein von Jones bestens inszeniertes Gemeinschaftsleben mit lauter glücklichen Menschen vorgeführt. Am nächsten Tag jedoch wagten sich 16 Sekten-Anhänger aus der Deckung und baten Ryan, sie mit in die USA zu nehmen. Dieser vermeintliche Verrat mündete in einer zunächst glimpflich verlaufenden Messerattacke gegen den Politiker. Doch nur einige Stunden später wurde Ryan gemeinsam mit vier weiteren Menschen hingerichtet. Als die fünf in eines der beiden abreisebereit auf dem zehn Kilometer entfernten Rollfeld von Port Kaituma wartenden Flugzeuge einsteigen wollten, wurden sie von einem Templer-Todeskommando getötet. Allein Ryan wurde von mehr als 20 Schüssen getroffen. Einige Überlebende schleppten sich – teils schwer verletzt – in den Dschungel.
Jones selbst hatte eine Kugel im Kopf
Für Jones war dies so etwas wie das Fanal für die tatsächliche Umsetzung seiner lange gehegten Massensuizid-Fantasien. Mit Verweis auf einen zu erwartenden Angriff seitens des US-Militärs trieb er seine Anhänger in den Tod. Er peitschte dafür seine Jünger, von denen gut 100 Personen an diesem Tag das Glück hatten, nicht auf dem Gelände zu sein, regelrecht an. Das weiß man so genau, weil seine letzten Anweisungen auf einem sogenannten Death tape, einer sichergestellten Bandaufnahme, gespeichert worden waren: „Sterbt mit Achtung, sterbt mit einer gewissen Würde." Oder: „Es schmeckt nur ein bisschen bitter."
Das Zyankali zeigte seine Wirkung schon nach wenigen Minuten. Das Gelände war mit Leichen übersät, die meisten mit Schaum vor dem Mund. Jones selbst wurde mit einer Kugel in der rechten Schläfe gefunden. Ob er sich selbst gerichtet hatte oder erschossen wurde, konnte nicht ermittelt werden. Nur zwei Menschen überlebten. Für die Toten hatte das Massaker übrigens noch ein makabres und unwürdiges Nachspiel. Zunächst weigerten sich sämtliche Behörden in den USA, die sterblichen Überreste der Opfer, von denen viele nicht mehr identifiziert werden konnten, auf ihren Friedhöfen bestatten zu lassen. Im Mai 1979 fanden schließlich 406 Jonestown-Opfer ihre letzte Ruhestätte in einem Massengrab auf dem Evergreen Cemetery im kalifornischen Oakland.