Klimaschutz, Arbeitsplätze, Versorgungssicherheit, Strukturwandel: Der Ausstieg aus der Braunkohle und der Kohleverstromung ist ebenso anspruchsvoll wie komplex. Bis Ende des Jahres soll die „Kohlekommission" Vorschläge auf den Tisch legen und ein Enddatum nennen.
Widersprüchlicher könnten die Interessen kaum sein. Geradezu symbolhaft nahm sich schon der Start im Juni aus. Während die Kommission versuchte, sich ans Arbeiten zu machen, führte eine RWE-Ankündigung plastisch vor Augen, wo Frontlinien verlaufen. Die Rodung des Hambacher Forstes lieferte später die Bilder dazu. Das Stück noch baumbestandenen Landes im Westen ist aber nur Teil des Problems.
Die Kommission sollte sich um „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (WSB)" kümmern, so der offizielle Titel. Bereits 2015/16 war eine solche Kommission im Klimaschutzplan der Bundesregierung vorgesehen. Sie sollte einen „Instrumentenmix" vorlegen, der „wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Klimaschutz zusammenbringt".
Der landläufig bekannte Name als „Kohlekommission" kommt aus dem Auftrag, einen „Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums" vorzulegen.
Außerdem sollen Maßnahmen vorgeschlagen werden, welchen Beitrag die Energiewirtschaft leisten soll, „um die Lücke zur Erreichung des 40 Prozent-Reduktionsziels so weit wie möglich zu reduzieren". Damit steht bereits in den Formulierungen zur Einsetzung der Kommission das Eingeständnis, dass Deutschland dieses 40-Prozent-Ziel wohl nicht erreichen wird, sich aber anstrengen will, ihm zumindest nahezukommen. Das Ziel sah eigentlich vor, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren.
Auch wenn die „40" als Ziel nicht mehr zu halten ist, taucht sie trotzdem noch auf, zumindest als Seitenzahl. Auf eben 40 Seiten hat die Kohlekommission jetzt einen Zwischenbericht vorgelegt auf dem Weg, vor der UN-Klimakonferenz im Dezember („COP 24") im polnischen Kattowiz einen Endbericht fertig zu haben, der das internationale Image Deutschlands in Sachen Umwelt- und Klimaschutz etwas aufhellen soll.
40 Prozent weniger Emissionen
Ein Enddatum für den Kohleausstieg zu nennen, behält sich die Kommission für diesen Schlussbericht vor. Vorerst ging es darum, die strukturpolitischen Fragen anzupacken. Konkret: Welche Region soll mit welchen Maßnahmen beim Ausstieg aus der Braunkohle aufgefangen werden.
Während im Hambacher Forst (und vor Gerichten) die Auseinandersetzung um das größte Abbaugebiet im Westen tobte, schlugen ostdeutsche Regierungschefs in Berlin massiv Alarm vor den Diskussionen in der Kohlekommission.
Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen stünden „vor einer ähnlichen Situation wie nach der Wende von 1989", warnte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und ergänzte: „Diese Zumutungen wie in den 90er-Jahren wollen wir den Menschen nicht noch einmal zumuten." Gebrochene Biografien ohne einen Ausgleich, damit haben viele Ostdeutsche böse Erfahrungen gemacht. Eine Wiederholung könnte das ohnehin zerrüttete Vertrauen in Staat und Politik noch weiter erschüttern – mit entsprechenden Folgen, befürchten die Landeschefs. Ebenso wie Woidke pocht Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) deswegen auf Gerechtigkeit: Die Einhaltung der Klimaziele sei ja gut und richtig, „aber das kann nicht nur Aufgabe der Ostdeutschen in den Braunkohlerevieren sein, sondern das muss dann auch von 82 Millionen Bundesbürgern getragen werden". Woidke, Haseloff und deren sächsischer Kollege Michael Kretschmer (CDU) fordern für die betroffenen Reviere in ihren Ländern und auch im fernen Rheinland einen Strukturausgleich von 60 Milliarden Euro. Sie nennen das Bonn-Berlin-Gesetz als Vorbild: Das hatte dafür gesorgt, dass die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn durch den Wegzug der Regierung Richtung Berlin wirtschaftlich nicht ins Bodenlose stürzte.
Nahe Bonn steht der Hambacher Forst symbolisch für den Spagat der Meinungen und Forderungen. Auch das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen steht mitten im Strukturwandel. Die letzte Steinkohle wird im Dezember ans Tageslicht geholt. In weiten Teilen des Reviers hat dieser Ausstieg tiefe Narben hinterlassen, die zu schließen Jahrzehnte brauchen könnte. Das Saarland hat diesen Prozess bereits vor einigen Jahren durchleben müssen. Wenig verwunderlich, dass sich in dieser Diskussion um Hilfen im Strukturwandel auch die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) vernehmbar zu Wort gemeldet hat. Für sie ist die ganze Debatte etwas zu eindimensional geraten – es geht ja nicht nur um einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle. Bei dieser Herangehensweise, so Rehlinger, werde vergessen, dass Regionen mit Steinkohlekraftwerken, wie eben das Saarland, ähnliche Probleme mit dem Strukturwandel haben wie die Braunkohle-Länder. In einem Brief an den Vorsitzenden der Kohlekommission Matthias Platzeck (SPD) verwies Rehlinger darauf, dass auch das Saarland finanziell berücksichtigt werden müsse. Denn die wegfallenden Beiträge der Steinkohlekraftwerke zur Wertschöpfung in der Region müssten durch neue staatliche Investitionshilfen für regionale Infrastrukturen sowie Forschungs- und Entwicklungsvorhaben kompensiert werden, so Rehlinger.
Regierungschefs fordern 60 Milliarden
Dass es Entschädigungen und Auffangmöglichkeiten geben muss, ist jedem klar. Die Einschätzungen der Notwendigkeiten liegen dagegen denkbar weit auseinander. Die ostdeutschen Regierungschefs haben bei ihrem gemeinsamen Auftritt eine Summe von 60 Milliarden Euro präsentiert, der Bund hat 1,5 Milliarden vorgesehen, flankiert durch „begleitende Förderprogramme" über einen unbestimmten Zeitraum hinaus. Im Zwischenbericht werden nun die Möglichkeiten aufgelistet, wie in jedem Revier mit der gezielten Ansiedlung aus den Bereichen digitaler Fortschritt, Infrastruktur- und Energieforschung und Modellprojekten hochwertige Arbeitsplätze entstehen sollen.
Umweltschutzverbände machen derweil weiter Druck. Die Kohlekommission müsse „ihre große Chance nutzen, Deutschland nach einem verlorenen Jahrzehnt endlich wieder zu einem Klimaschutzland zu machen", sagt Michael Schäfer, Leiter Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.
In einer repräsentativen Emnid-Umfrage im Auftrag des BUND im vergangenen Jahr hatte sich eine deutliche Mehrheit (59 Prozent) dafür ausgesprochen, Kohlekraftwerke baldmöglichst stillzulegen, knapp drei Viertel (73 Prozent) befürworteten Maßnahmen, mit denen die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens doch noch erreicht werden könnten. Aus Sicht des Auftraggebers BUND ein klares Signal für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030.
Als der Co-Vorsitzende der Kohlekommission, Ronald Pofalla, angeblich einen Zeitraum zwischen 2035 und 2038 als Ausstiegsszenario nannte, hagelte es Proteste von allen Seiten. Selbst Mitglieder der Kommission zeigten sich „irritiert". Die Suche nach einem Datum geht weiter.