Jürgen Klopp war in Mainz ein Volksheld und erfolgreich. In Dortmund auch. Und in Liverpool schon wieder. Wie macht der Mann das? FORUM erklärt das Phänomen.
Das Fußball-Fans nicht nur ihren Spielern, sondern auch ihren Trainern immer wieder vorwerfen, ist die mangelnde Identifikation mit dem Verein – was erstens berechtigt und trotzdem zweitens ungerecht ist. Ihre Jobs suchen Trainer heute selten nach Faktoren wie Tradition, Stadt, Fans oder Stadion aus. Entscheidend sind – und das müssen sie für sie sein, wenn sie in dieser Hire-and-fire-Gesellschaft eine gute Trefferquote haben wollen – aktuellere Faktoren. Wie stark ist der Kader? Wie groß ist das Entwicklungspotenzial? Wie sind die Trainingsbedingungen? Wie komme ich mit dem Sportchef und weiteren direkten Vorgesetzten klar? Woher dieser Verein letztlich kommt, ist bestenfalls nachrangig.
Jürgen Klopp ist auch deshalb ein solch besonderer Trainer, weil er es geschafft hat, mit all seinen Vereinen (als Trainer) eine Identifikation aufzubauen und diese nach außen so zu leben, dass er als Teil des Vereins wahrgenommen wird. Dass man sich als Fan irgendwie kaum vorstellen kann, dass er mal woanders war und je woanders hinwechselt. Und das hat Jürgen Klopp bei inzwischen schon drei Vereinen geschafft.
Nun ja, er hatte das Glück, immer länger arbeiten zu dürfen. Doch das ist auch das Ergebnis seiner guten und eben leidenschaftlichen Arbeit. Klopp, der zudem das Glück hatte, bei seinen letzten beiden Wechseln durchaus die Wahl aus verschiedenen Angeboten zu haben, lässt augenscheinlich emotionale Aspekte in seine Entscheidung einfließen. Und er saugt seine Vereine vom ersten Tag an auf, versucht, sie zu verstehen und zu verinnerlichen – aber nicht als ein zeitlich begrenztes Projekt, sondern als eine Aufgabe, die von nun an möglichst lange dauert. Und er lebt nach seinem Motto: „Es ist nicht wichtig, was die Leute über dich sagen, wenn du kommst, sondern was sie über dich sagen, wenn du gehst."
Und so hat Klopp es nicht nur geschafft, bei seinen bisherigen drei Vereinen als Identifikationsfigur wahrgenommen zu werden, sondern sie auch zu prägen, ihnen ein Gesicht zu geben. Eine Philosophie. Etwas, wofür sie stehen. In Mainz mag das noch halbwegs einfach gewesen sein. Die 05er, bei denen er am Rosenmontag 2001 vom Spieler zum Trainer befördert wurde, waren laut Manager Christian Heidel vorher „die grauste aller grauen Mäuse". Klopp führte die Mainzer nicht nur erstmals in die Bundesliga, er stand für ein Image, dass der Verein zwar in den zehn Jahren danach ein wenig eingebüßt hat, von dem er aber dennoch nachhaltig profitiert. Als Klopp 2008 ging, kullerten sowohl bei ihm als auch bei den Fans ernstgemeinte Tränen. Und das, obwohl die beiden letzten Jahre streng genommen mit sportlichen Misserfolgen endeten. Erst mit dem Abstieg aus der Bundesliga, dann mit dem verpassten Wiederaufstieg.
Dortmund war ein Riesen-Wagnis
Dass Klopp danach Dortmund wählte – auch weil der FC Bayern sich laut Uli Hoeneß’ Absage „für einen anderen Jürgen K." entschied (Klinsmann) und der Hamburger SV sich an einer zerrissenen Hose störte – mag im Rückblick logisch klingen. Aber nur, weil Klopp aus dem Verein mitentscheidend das gemacht hat, was er heute ist. Damals war es ein Riesen-Wagnis. Der BVB war gerade dem finanziellen Kollaps entkommen und im Vorjahr 13. geworden. Nach wieder sieben Jahren ging Klopp zwar mit dem Gefühl, dass sich das innere Verhältnis am Ende etwas abgenutzt hatte, aber doch rollten wieder die Tränen. Denn der Trainer hatte den Verein nicht nur zu zwei Meistertiteln, einem Pokalsieg und einer Champions-League-Finalteilnahme geführt. Klopp hatte den BVB zu einem Klopp-Verein gemacht. So, wie er es vorher in Mainz getan hatte. Und die Fans liebten diesen Verein. Und damit auch diesen Trainer.
Der wollte nach den sieben „intensiven und emotionalen" Jahren in Dortmund erst einmal eine Pause auf unbestimmte Zeit einlegen und ließ sich auch von einigen reizvollen Anfragen aus dem In- und Ausland im Sommer nicht umstimmen. Intern ließ er verlauten, dass ihn wahrscheinlich nur ein Verein dazu bewegen könnte, früher als gedacht einzusteigen: der FC Liverpool. Die Reds hatte sich Klopp als Traumverein ausgeschaut, obwohl die damals eher für Tradition standen als für die Gegenwart. Zwischen 2009 und 2014 hatte der Verein sich nicht einmal für die Champions League qualifiziert. Wer auf ein Engagement mit Titelambitionen in England hoffte, der hoffte auf Anrufe von Manchester United, Manchester City, vom FC Chelsea oder dem FC Arsenal.
Klopp hoffte, irgendwann in Liverpool einsteigen zu können. Die Aura dieses Vereins faszinierte ihn. Klopp glaubte, genau deswegen dort hinzupassen und dort etwas bewegen zu können. Im Oktober 2015 war es so weit, und Geschäftsführer Ian Ayre durfte stolz erklären: „Es hätte keinen anderen Job gegeben, der ihn aus seinem Sabbatjahr hätte holen können. Wir haben also zur richtigen Zeit angerufen und das richtige Ergebnis erzielt." Klopp selbst betonte bei seiner Vorstellung, er wolle „einen wilden Fußball" spielen lassen. Und sagte: „Ich bin nicht hier, weil Liverpool dem BVB ähnelt. Ich bin hier, weil Liverpool so ein geiler Verein ist. Es ist einer der größten Vereine der Welt." Auf die Frage, wie er sich angesichts der legendären Selbstbezeichnung von Kollege José Mourinho („I am the special one") selbst sehe, sagte Klopp: „I am the normal one." Und erklärte: „Ich bin ein ganz normaler Kerl, komme aus dem Schwarzwald. Meine Mutter sitzt vielleicht gerade vor dem Fernseher, guckt diese Pressekonferenz und versteht kein Wort – aber sie ist sehr stolz. Ich bin ein ganz normaler Kerl."
„Nicht der beste Trainer der Welt"
Die Herzen der Liverpooler hatte der Menschenfänger – so nannten sie ihn schon in Mainz – damit schon vor dem ersten Spiel erobert. Er wisse, dass er „nicht der beste Trainer der Welt" sei, sagte Klopp später noch, und immer wieder erzählt er mit großer Selbstironie von seinen begrenzten Fähigkeiten als ewiger Zweitliga-Spieler. Sein Credo „Es darf kein anderes Team geben, das einen größeren Willen besitzt als wir", brachte er aber stets überzeugend rüber.
Den Fußball, den er in Dortmund habe spielen lassen, nannte Klopp selbst „Heavy-Metal-Fußball". Und mit diesem eroberte er schnell die Beatles-Stadt Liverpool. Obwohl das erste Jahr nach dem Einstieg nach einem Drittel der Saison noch nicht wirklich gut verlief. Inzwischen ist die sportliche Entwicklung unter dem deutschen Coach in Liverpool absolut sichtbar. Liverpool spielt leidenschaftlichen Vollgas-Fußball und ist zumindest wieder ein ernster Anwärter auf Titel. Doch das ist nur ein Teil der Begründung für Klopps Beliebtheit in der Arbeiterstadt. Er sei „not cocky", loben sie ihn, nicht eitel. Und sie ehren ihn mit Schals, T-Shirts oder Transparenten mit Aufschriften wie „Klopp, King of the Kop" oder „In Klopp we trust".
Und „Kloppo" verstand es auch immer, die große Mehrzahl seiner Spieler durch seine mitreißende Art hinter sich zu vereinen. „Wenn er glühende Kohlen ausgelegt hätte, wären wir für ihn darüber gelaufen", sagte ein Dortmunder Spieler im Rückblick. Und in Liverpool stellte Abwehrspieler Ragnar Klavan schnell fest: „Wenn er redet, hören alle zu. Er hat so was Mitreißendes, für ihn machst du automatisch einen Meter mehr, weil du ihn nicht enttäuschen willst." Der frühere Bundesliga-Stürmer und heutige Sportdirektor des FC Basel, Marco Streller, spielte nie unter Klopp, berichtete aber nach der ersten Begegnung mit ihm: „Wir kannten uns vorher nicht, aber ich hatte das Gefühl, er wusste alles über mich. Dabei war ich nur ein durchschnittlicher Bundesliga-Stürmer. Er hat mich in ein paar Minuten so beeindruckt, ich wäre sofort durchs Feuer für ihn gegangen."
„Wenn er redet, hören alle zu"
So schafft es Klopp, aus der Mannschaft das Optimum rauszuholen. Allenfalls leicht überdurchschnittliche Spieler wie Kevin Großkreutz oder Erik Durm formte er zu wichtigen Stützen einer internationalen Spitzenmannschaft und zu Weltmeistern. Was ihm in Liverpool noch fehlt, ist ein Titel. In Dortmund holte er deren drei, in Mainz ist der erstmalige Aufstieg sicher vergleichbar. In Liverpool sagte Klopp am Anfang: „Wenn ich hier fünf Jahre war und nichts gewonnen habe, werde ich nicht in die Geschichte von Liverpool eingehen." Und der Druck auf ihn ist durch zuletzt exorbitante Ausgaben von 280 Millionen Euro in einem Jahr auch deutlich gestiegen. Aber alle Beobachter sind sich sicher, dass er bereits in die Geschichte eingegangen ist. Weil es mit drei Final-Teilnahmen, unter anderem in diesem Sommer in der Champions League, verdammt knapp war bisher. Und weil er Liverpool schon genauso zu seinem Verein gemacht hat, den er liebt und lebt wie davor die Clubs in Mainz und Dortmund.