Keine Ladesäule in der Nähe? Ein Berliner Start-up hilft Besitzern von Elektroautos mit einer ungewöhnlichen Idee: Es liefert den Strom per Fahrrad.
Amelie ist ausgepowert. Der BMW i3, den seine Besitzer tatsächlich so genannt haben, braucht neuen Strom. Doch Nachschub ist nicht verfügbar, denn das Elektroauto steht in einer normalen Parkbucht im Berliner Bezirk Friedrichshain. Weit und breit ist keine Ladesäule in Sicht. Die Rettung kommt in Form eines E-Bikes. Maron Chatzifrantzis, 34, zieht einen Anhänger mit einer Metallbox hinter sich her. Darin verborgen: Batteriepakete. 180 Kilogramm wiegt die Fracht, weshalb sich das E-Bike „wie ein Lkw fährt", wie Chatzifrantzis schnaufend bemerkt. Als er am Auto ankommt, geht alles ganz schnell: Anhänger abstellen, Ladekabel raus, Stromknopf an. Schon werden Amelies Reserven wieder aufgefüllt.
Chatzifrantzis arbeitet als Stromkurier beim Berliner Start-up „Chargery". Die Firma will mit ihren mobilen Batterie-Anhängern eine Marktlücke im Bereich der E-Mobilität schließen: Wenn Ladesäulen belegt oder nicht verfügbar sind, springt Chargery ein. Innerhalb von 30 Minuten – so das Versprechen des Unternehmens – ist einer der Stromkuriere am Auto, um es mit neuer Energie zu versorgen.
„Die Idee dazu kam uns, als wir von einem Benzin-Lieferdienst für Bentleys hörten", erzählt Christian Lang. Der 31-Jährige ist einer von drei jungen Männern, die Chargery im August vergangenen Jahres gegründet haben. „Einen Benzindienst für Luxusautos braucht kein Mensch", meint Lang. „Aber Elektroautos? Das hat Zukunft."
Ursprünglich hatten die Gründer eine geradezu futuristische Lösung im Sinn: Roboter sollten Elektroautos vollautomatisch mit Strom beliefern. Heute lacht Lang, der zuvor bei Audi gearbeitet hat, über die eigene Idee: „Wir haben uns für die Realität entschieden. In Großstädten kommt man mit dem Fahrrad einfach besser voran." Außerdem könne man direkt neben den Fahrzeugen parken.
Ein Ladenlokal in Berlin-Mitte dient Chargery als Büro und Werkstatt zugleich. Hier nehmen die Mitarbeiter ihre Aufträge entgegen, reparieren Fahrräder, laden die Akkus neu auf. Zehn Mitarbeiter hat das Start-up inzwischen, die Gründer mitgerechnet. Was die Firma mit ihrem Service verdient, will Lang nicht verraten. „Wir stehen ja erst ganz am Anfang."
Im Hinblick auf die Kunden zeigt er sich auskunftsfreudiger: Bislang arbeite man vor allem mit dem Carsharing-Dienst „DriveNow" zusammen. Pro Tag könne man etwa 25 Autos in Berlin aufladen, Tendenz steigend. Langfristig sollen weitere Städte und auch Privatkunden hinzukommen.
Ob die Idee dauerhaft eine Zukunft hat, muss sich zeigen
Dabei ist die Situation in Berlin im Vergleich zu anderen Städten geradezu komfortabel. Knapp über 2.000 Elektroautos sind laut Kraftfahrtbundesamt in der Hauptstadt angemeldet. Ihnen stehen etwa 500 öffentliche Ladesäulen im Stadtgebiet gegenüber, die von unterschiedlichen Anbietern vorgehalten werden. Hinzu kommen diverse private Ladestationen, etwa in Garagen oder Carports.
Momentan braucht Chargery etwa vier Stunden, um ein Fahrzeug komplett aufzuladen. Vor Ort nutzen die Strom-Kuriere die Zeit, um die Carsharing-Autos zu warten. Die Fahrer füllen beispielsweise Wischwasser nach, saugen die Fußmatten ab, prüfen den Reifendruck. Der zusätzliche Service und Personalaufwand erklärt auch den Preis, der deutlich höher ist als die Ladung an einer regulären Stromtankstelle – wie viel genau, verrät Lang aber wie gesagt nicht.
Noch ist Deutschland weit entfernt vom selbstgesteckten Ziel, bis 2020 eine Million Elektroautos auf der Straße zu haben: Am 1. Januar 2018 waren laut Kraftfahrtbundesamt nur 53.861 E-Autos angemeldet. Aber: Im Vergleich zum Vorjahr entsprach dies einer Steigerung von mehr als 58 Prozent. Entsprechend optimistisch ist Lang, was das eigene Geschäftsmodell angeht: Viele Carsharing-Anbieter planten den Kauf von Elektroautos. Auch im Privatkundensektor gebe es viel Potenzial.
Bleibt die Frage: Warum sollten Besitzer von Elektroautos überhaupt auf Dienste wie Chargery zurückgreifen? Immerhin wächst auch das Ladenetz ständig. Christian Lang lächelt. „Die Leute bestellen auch für viel Geld eine Pizza, obwohl sie zu Hause essen können." Außerdem werde es noch lange dauern, bis flächendeckend genügend Ladesäulen verfügbar sind.
Der Automobil-Club ADAC beurteilt die Lage ähnlich. Zwar sei die Situation inzwischen viel besser als noch vor einigen Jahren. „Ein solches Service-Angebot ist aber vielleicht eine Ergänzungslösung, die eine etwaige Lücke schließen kann", meint ADAC-Sprecher Christian Buric – „insofern das Angebot aus Verbraucherschutzsicht fair ist." Patrick Jochem, Experte für Elektromobilität am Karlsruher Institut für Technologie, sieht die Sache dagegen skeptischer. Gerade in Großstädten könne man E-Autos nicht nur zu Hause, sondern auch beim Arbeitgeber oder während des Einkaufens laden. „Wenn überhaupt, dann sind solche Angebote auf dem Land interessant. Aber auch dann dürfte es sich für einen Fahrraddienst kaum lohnen, extra dort hinzufahren."