Seit fast einem Jahr dreht die neue Luxemburger Straßenbahn ihre Runden. Ihre Transportkapazitäten aber sind bei unseren Nachbarn nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Verkehrsinfrastruktur steht im Großherzogtum weiter vor riesigen Herausforderungen.
Die Luxemburger Verkehrspolitik ist in Bewegung. Und das nicht erst, seitdem die Tram in der Hauptstadt seit Ende vergangenen Jahres ihre Bahnen zieht. Die Forderung nach einem multimodalen Mobilitätssystem seitens des Grünen-Politikers und Infrastrukturministers François Bausch hat deutlich Rückenwind bekommen. Bei den Parlamentswahlen Mitte Oktober ging seine Partei mit dem Hinzugewinn von drei Sitzen als klarer Sieger hervor. Das ist ein deutliches Bekenntnis der Luxemburger für ein besseres und vor allem nachhaltiges Verkehrssystem, das vor einem Kollaps steht, wenn alles beim Alten bleibt.
Allein der Blick auf die Pendlerzahlen macht deutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Rund 200.000 Personen kommen jeden Tag aus Frankreich, Belgien und Deutschland zum Arbeiten nach Luxemburg – und verstopfen gnadenlos die Autobahnen im Süden des Landes und um die Hauptstadt herum. Tendenz weiter steigend. Gleiches gilt für den extrem angestiegenen Lkw-Verkehr und die Luxemburger selbst, die für jeden Meter gern mit dem Auto fahren. Bis 2060 soll sich einer Prognose der Statistikbehörde die Einwohnerzahl von derzeit 580.000 verdoppeln. Allein auf den Kirchberg mit den europäischen Institutionen, Banken und Einkaufszentren sollen bis 2030 rund 60.000 Menschen pendeln – doppelt so viele wie heute. Das ist eine Riesenherausforderung an die Strategen der Verkehrsinfrastruktur. Bausch fordert daher ein multimodales Mobilitätssystem nach Vorbild der Schweiz, das bis 2035 nicht nur erarbeitet, sondern vor allem auch umgesetzt werden müsse. Dazu gehören verschiedene Bausteine wie der Weiterbau der Tram in Luxemburg-Stadt sowie eine schnelle Tramverbindung zwischen der Hauptstadt und der zweitgrößten Stadt im Süden, Esch-sur-Alzette, mit dem boomenden Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Belval samt Universität. Auch sollen Buskorridore auf den wichtigsten Verkehrsachsen eingerichtet und Teilstrecken auf der N7 vierspurig und auf der A3 dreispurig ausgebaut werden. Dabei sollen Busse und Carsharing Vorrang bekommen und der Busverkehr besser getaktet und aufeinander abgestimmt sein.
Einwohnerzahl soll sich verdoppeln
Zudem appelliert Bausch an die Luxemburger selbst, verstärkt auf den ÖPNV umzusteigen, mehr Fahrgemeinschaften für den Weg zur Arbeit zu bilden und das Fahrrad als Fortbewegungsmittel mehr in den Fokus zu rücken. Doch das erfordert ein Umdenken in den Köpfen der Menschen. Strecken unter einem Kilometer sollten zu Fuß und bis zu fünf Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. „Staat, Kommunen, Arbeitgeber und Bürger müssen bei Mobilitätsfragen enger zusammenarbeiten", sagt Bausch. Firmen könnten Plätze für Fahrräder bereitstellen, Carsharing fördern und Fahrpläne für den ÖPNV ausweisen. Geplant sind zudem mehr Park-and-Ride-Parkplätze im Grenzraum und der weitere Ausbau und die Modernisierung des Hauptbahnhofs Luxemburgs. Hinzu kommen der doppelspurige Ausbau der Strecke bei Sandweiler, der neue Bahnhof in Ettelbrück, die multimodale Plattform in Dudelange und die Strecke Luxemburg-Bettembourg.
Als einen erfolgreichen Meilenstein in der Verkehrsinfrastruktur bezeichnete Bausch die Tram, die nach über 50 Jahren im Dezember 2017 nach Luxemburg zurückgekehrt sei. Die knapp fünf Kilometer lange Strecke auf dem Kirchberg mit ihren acht Haltestellen wurde im Sommer um drei weitere Haltepunkte ohne zusätzliche Oberleitung verlängert. Ziel ist es, die derzeitige Endhaltestelle Luxexpo um vier Kilometer bis zum Flughafen Findel in die eine Richtung zu verlängern. Gleichzeitig soll bis 2021 die Strecke in die andere Richtung vom derzeitigen Endhaltepunkt Etoile/Stäreplaz über den Hauptbahnhof, das Lycée de Bonnevoie und Howald bis zu Cloche d’Or mit dem neuen Fußballstadion erweitert werden. Zwölf neue Straßenbahnzüge kommen 2019 zum Einsatz; ein weiteres Teilstück wird 2020 eröffnet. Auf 16 Kilometern Länge gibt es im vorläufigen Endausbau dann 24 Haltestellen mit neun Umsteigemöglichkeiten auf Zug, Bus oder Fahrrad. Findel, Luxexpo und Hohwald verfügen zudem über Park-and-Ride-Parkplätze. 32 Straßenbahnen mit einer Länge von je 45 Metern und 450 Plätzen, die allesamt aus dem spanischen Saragossa stammen, verkehren künftig zwischen Findel und Cloche d’Or innerhalb von 40 Minuten und entlasten die chronisch verstopften Straßen in der Hauptstadt. Die in der Hauptverkehrszeit alle drei bis sechs Minuten verkehrende Tram kann somit bis zu 10.000 Fahrgäste pro Stunde in eine Fahrtrichtung transportieren. Mit mehr als 17.000 Nutzern pro Tag auf dem ersten Teilstück würden nach Angaben der Betreiberfirma Luxtram S.A. die Erwartungen mit lediglich 8.400 Fahrgästen deutlich übertroffen. Die Projektkosten betragen knapp 600 Millionen Euro.
Bausch fordert neues Mobilitätsdenken
Neu in Betrieb ist im Übrigen auch seit Ende 2017 die autonom fahrende Seilbahn an der Roten Brücke am Rande des Kirchbergs mit Umsteigemöglichkeiten auf die Tram und den Zug auf halber Höhe sowie per Aufzug ins Tal der Alzette im Pfaffenthal.
Selbstfahrende Elektrobusse gibt es außerdem seit Mitte September im Industriegebiet Contern im Osten der Stadt Luxemburg. Zwei Shuttle-Busse verbinden testweise das Gewerbegebiet mit dem Bahnhof Contern. Mit an Bord auf der vier Kilometer langen Strecke ist immer ein Fahrbegleiter – die Hände am Lenkrad hat er allerdings nicht, denn der Bus hat keines. Der Begleiter ist nur für die Programmierung zuständig und kann im Notfall per Joystick eingreifen. Im Dezember dieses Jahres soll nach Angaben der Betreiberfirma Sales-Lentz Bilanz gezogen werden, ob sich der Einsatz autonom fahrender Elektrobusse auch andernorts lohne und wie die weitere Finanzierung sicherzustellen sei. Immerhin kostet der Betrieb eines einzigen Busses rund 200.000 Euro im Jahr.
In Luxemburg jedenfalls ist in der Verkehrsinfrastruktur einiges in Bewegung geraten. Das gilt auch für die Fahrpreise. Für beispielsweise vier Euro im Vollpreis kann man 24 Stunden lang alle Verkehrsmittel im gesamten nationalen Netz beliebig oft nutzen. Ein Zeichen dafür, dass ein Verkehrsverbund einfach und überschaubar funktionieren kann.